Ich muß gestehen, es gibt da einen Teil in mir, der, genau wie du, die diskrete Schönheit dessen, was du »Oberflächlichkeiten« nennst, zu schätzen weiß. - Ja, alter Knabe, ich weiß, daß ich diesen Ausdruck zuerst benutzt habe, aber wir kommen nicht weiter, wenn du mich ständig wegen derlei Nebensächlichkeiten unterbrichst.
Aufgrund dieser meiner kleinen Schwäche muß ich ebenfalls zugeben, daß meine Freude, wenn sie bei meinen Anblick in einen Rausch des Entzückens geriet und quietschte und die Arme um mich schlang, fraglos nicht ganz so groß war, als sie hätte sein können, wäre die junge Dame etwas wohlproportionierter gewesen. Sie war recht dünn und auf eine fast schmerzhafte Weise knochig. Ihre Nase war lang, das Kinn fliehend, ihr Haar recht strähnig und lang und mausfarben; ihre Augen hatten eine undefinierbar graugrüne Farbe. Ihre Wangenknochen waren breit, so daß sie einem Backenhörnchen glich, das sich gerade tüchtig mit Nüssen und Kernen vollgestopft hat. Kurz gesagt, sie gehörte nicht zu dem Typ Frau, bei deren Erscheinen alle anwesenden jungen Männer schwerer atmen und versuchen, in ihre Nähe zu gelangen.
Aber sie hatte ein gutes Herz. Mit einem wehmütigen Lächeln ertrug sie es, wenn junge Männer, die sie zum ersten Mal sahen, plötzlich gequält zusammenzuckten. Und sie stand ihren sämtlichen Freundinnen nacheinander mit demselben wehmütigen Lächeln als Brautjungfer zur Seite. Unzähligen Kindern war sie Taufpatin, anderen Babysitterin, und sie gab ihnen so geübt und versiert das Fläsch-chen, wie man es in einem langen Monat voller Sonntage nicht besser sehen könnte.
Sie brachte den bedürftigen Armen warme Suppe, ebenso den unbedürftigen, auch wenn manche behaupteten, daß gerade die unbedürftigen ihre Suppe eher verdient gehabt hätten. Sie versah diverse Tätigkeiten in der hiesigen Kirche - einmal für sich und jeweils einmal für ihre sämtlichen Freundinnen, die dem billigen Nervenkitzel der Kinos den Vorzug vor aufopfernder, selbstloser Arbeit gaben. Sie unterrichtete Kinder in der Sonntagsschule und hielt sie bei Laune, indem sie ihnen (wie sie glaubten) komische Gesichter schnitt. Hin und wieder ließ sie sie auch alle die neun Gebote aufsagen. (Das über Ehebruch ließ sie aus, denn die Erfahrung hatte sie gelehrt, daß das unweigerlich zu peinlichen Fragen führte.) Außerdem arbeitete sie ehrenamtlich in der öffentlichen Bibliothek.
Natürlich hatte sie irgendwann in dem Alter, dem schon eine Vier vorangestellt ist, alle Hoffnung aufgegeben, je zu heiraten. Schon im Alter von zehn Jahren schien ihr selbst die Chance auf eine beiläufige Affäre mit dem anderen Geschlecht ein unerfüllbarer Traum zu sein.
Es kam häufig vor, daß sie zu mir sagte: »Ich bin nicht unglücklich, Onkel George. Die Welt der Männer bleibt mir verschlossen, ja, ausgenommen du und mein unglückseliger verstorbener Papa, aber wenn man Gutes tut, macht einen das doch viel glücklicher.«
Danach besuchte sie die Insassen der örtlichen Haftanstalt, um dort die Rückkehr auf den rechten Weg und gute Taten zu predigen. Nur ein oder zwei der übleren Sorte flehten an den Tagen, wenn sie ihren Besuch angekündigt hatte, um Einzelhaft.
Doch dann traf sie Octavius Ott, einen neuen Nachbarn und jungen Elektriker mit einem verantwortungsvollen Posten beim Elektrizitätswerk. Er war ein redlicher junger Mann -ernst, arbeitsam, standhaft, mutig, ehrlich und anständig -, aber er war nicht das, was wir beide hübsch nennen würden. Ich möchte es wirklich nicht übertreiben, aber offen gestanden hätte vermutlich niemand in der gesamten Menschheitsgeschichte ihn als hübsch bezeichnet.
Er hatte schütteres Haar - nein, um die Wahrheit zu sagen, es war schon mehr als schütter, man konnte eigentlich fast nur noch in der Vergangenheitsform davon sprechen -, eine gewölbte Stirn, Stupsnase, dünne Lippen, abstehende Ohren und einen vorspringenden Adamsapfel, der nie richtig zur Ruhe kam. Die wenigen tatsächlich noch verbliebenen Haare hatten einen rostigen Farbton, und Gesicht und Arme waren gänzlich mit unregelmäßigen Sommersprossen bedeckt.
Es begab sich, daß Maggie und Octavius einander zum ersten Mal auf der Straße begegneten. Beide waren gleichermaßen unvorbereitet, und beide reagierten wie zwei nervöse Pferde, die sich unvermittelt zwölf Clowns mit schockfarbenen Perücken gegenübersahen, die alle gleichzeitig in ihre Trillerpfeifen pusteten. Ich rechnete fast damit, daß sowohl Maggie wie auch Octavius scheuen und wiehern würden.
Aber der Augenblick ging vorüber und beide rangen den Panikanfall, der sich ankündigte, erfolgreich nieder. Sie legte lediglich die Hand auf die Brust, als wollte sie verhindern, daß ihr Herz auf der Suche nach einem sichereren Versteck aus dem Brustkorb sprang, während er sich über die Stirn strich, als wollte er eine gräßliche Erinnerung tilgen.
Ich hatte Octavius schon einige Tage vorher kennengelernt und konnte sie daher einander vorstellen. Beide streckten zaghaft die Hand aus, als wären sie sich nicht sicher, ob ihre Visionen tatsächlich Substanz besaßen.
Am späten Nachmittag brach Maggie dann endlich ihr langes Schweigen. »Dieser Mr. Ott scheint mir ein recht sonderbarer junger Mann zu sein«, sagte sie.
Ich antwortete mit jener originellen Metapher, die sich bei all meinen Freunden großer Beliebtheit erfreut. »Du darfst ein Buch nicht nach seinem Einband beurteilen.«
»Aber der Einband existiert nun einmal, Onkel George«, sagte sie ernst, »und wir dürfen das nicht außer acht lassen. Ich wage zu sagen, das die normale, frivole und gefühllose Frau nichts mit Mr. Ott zu tun haben möchte. Von daher wäre es ein Akt der Barmherzigkeit, ihm zu zeigen, daß nicht alle jungen Frauen vollkommen überheblich sind, sondern daß es wenigstens eine gibt, die sich nicht von einem jungen Mann abwendet, nur weil er so eine bedauerliche Ähnlichkeit hat mit - mit -«
Sie machte eine Pause, da ihr kein passendes Mitglied des Tierreichs einzufallen schien, so daß sie kleinlaut, aber vergnügt fortfahren mußte: »- womit er eben Ähnlichkeit hat. Ich muß gütig zu ihm sein.«
Ich weiß nicht, ob Octavius einen Vertrauten hatte, bei dem er seinem Herzen in derselben Weise Luft machen konnte. Vermutlich nicht, denn wenn überhaupt, dann sind nur die wenigsten von uns mit einem Onkel George gesegnet. Dennoch wage ich im Lichte späterer Ereignisse die Prognose, daß ihm genau dieselben Gedanken durch den Kopf gingen - natürlich in umgekehrter Weise.
Wie auch immer, beide bemühten sich, freundlich zueinander zu sein, anfangs noch zaghaft und zögerlich, aber dann herzlich und zuletzt leidenschaftlich. Aus zufälligen Begegnungen in der Bibliothek wurden Besuche im Zoo, dann ein Abend im Kino, dann Tanzveranstaltungen, bis man die Zusammentreffen nur noch als -wenn du den Ausdruck verzeihen magst - Stelldichein bezeichnen konnte.
Die Leute gingen davon aus, daß der andere nicht weit sein konnte, wenn sie einen der beiden sahen, denn sie waren ein unzertrennliches Paar geworden. Einige in der Nachbarschaft beschwerten sich bitterlich, daß Maggie und Octavius zusammen mehr waren, als das menschliche Auge ertragen konnte, und mehr als ein elitärer Hochnäsiger investierte in Sonnenbrillen.
Ich will nicht sagen, daß es mir gänzlich an Verständnis für derlei Standpunkte gebrach, aber andere - toleranter und vermutlich vernünftiger - wiesen darauf hin, daß die Züge des einen durch einen sonderbaren Zufall genau komplementär zu den entsprechenden Zügen des anderen seien. Wenn man die beiden zusammen sah, schienen sich die Wirkungen gegenseitig aufzuheben, so daß man sie gemeinschaftlich leichter ertragen konnte als jeden für sich. Wenigstens behaupteten das einige.
Schließlich kam der Tag, an dem Maggie zu mir hereinplatzte. »Onkel George, Octavius ist das Licht meines Lebens. Er ist stark, unbeirrbar, liebenswert und entschlossen. Er ist ein wunderbarer Mann.«
»Innerlich, meine Liebe«, sagte ich, »ist er das alles ganz gewiß. Aber seine äußere Erscheinung -«
»Bewundernswert«, sagte sie stark, unbeirrbar, liebenswert und entschlossen. »Onkel George, er empfindet so für mich, wie ich für ihn, und wir werden heiraten.«