»Ach? Und wie haben sie das gemacht?«
»Sie kamen auf den Gedanken, daß der Name des Klubs - Klub der Fallenden Profitrate - ein schlechtes Vorzeichen wäre, das einen Einfluß auf die Amtszeit des Vorsitzenden haben könnte. Deshalb haben sie ihren Namen geändert und nannten sich fortan KZV.«
»Was bedeutet KZV?«
»Klub der Zufälligen Verteilung natürlich«, sagte George. »Ihr Präsident ist jetzt seit zehn Jahren im Amt, und ihm geht es blendend.«
Als der Kellner mit meinem Wechselgeld zurückkam, legte George zufällig sein Taschentuch darüber und ließ mit einer schwungvollen Geste Taschentuch und Geldscheine in seiner Brusttasche verschwinden. Dann stand er auf, winkte mir noch einmal zu und verließ das Restaurant.
Spiegel der Seele
An jenem Morgen war mir nach philosophischen Äußerungen zumute. In trauriger Erinnerung schüttelte ich den Kopf und sagte: »Kein Wissen gibt's, der Seele Bildung im Gesicht zu lesen. Er war ein Mann, auf den ich gründete ein unbedingt Vertraun.«
Es war ein ziemlich kühler Sonntagmorgen, und George und ich saßen an einem Tisch in einem Bagel-Cafe. Ich erinnere mich, daß George gerade seinen zweiten Sesam-Bagel aufgegessen hatte, der großzügig mit Frischkäse und Weißfisch belegt war.
Er sagte: »Stammt das aus einer der Geschichten, die du regelmäßig für weniger anspruchsvolle Magazine zusammenzimmerst?«
»Zufälligerweise ist das ein Shakespeare-Zitat«, erwiderte ich. »Aus Macbeth.«
»Ach ja, deine Vorliebe für Plagiate habe ich ganz vergessen.«
»Wenn man ein passendes Zitat benutzt, ist das kein Plagiat. Was ich sagen wollte - ich hatte einmal einen Freund, den ich für einen Mann mit scharfem Verstand und gutem Geschmack hielt. Ich habe ihn zum Essen eingeladen. Mitunter habe ich ihm sogar Geld geliehen. In den überschwenglichsten Tönen habe ich sein Aussehen und seinen Charakter gelobt. Und stell dir vor, all das habe ich getan, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, daß er von Beruf Literaturkritiker war -wenn man das denn einen Beruf nennen will.«
George sagte: »Und trotz all deiner selbstlosen Taten, hat dein Freund einmal eines deiner Bücher besprochen und es gnadenlos verrissen.«
»Ach?« sagte ich. »Hast du die Rezension gelesen?«
»Nein. Ich habe mich nur gefragt, wie die Rezension eines deiner Bücher wohl ausfallen könnte, und mir ist sofort die einzig mögliche Antwort eingefallen.«
»Mich hat nicht gestört, daß ihm mein Buch nicht gefallen hat, George - zumindest nicht mehr, als eine solche belanglose Feststellung jeden Schriftsteller stören würde -, aber daß er Ausdrücke wie >seniler Schwachsinn< verwendet hat, ging mir dann doch zu weit. Seine Behauptung, das Buch sei für Achtjährige geschrieben, die jedoch besser daran täten, Ringelreihen zu spielen, ging eindeutig unter die Gürtellinie.« Ich seufzte und setzte an: »Kein Wissen gibt's ...«
»Das sagtest du bereits«, unterbrach mich George.
»Er schien so freundlich zu sein, so angenehm, so dankbar selbst für die kleinsten Aufmerksamkeiten. Woher sollte ich wissen, daß er in Wirklichkeit ein bösartiger, heuchlerischer Schweinehund war?«
George sagte: »Er war Kritiker. Das liegt in seiner Natur. Einen solchen Beruf ergreift man nur, wenn man selbst die eigene Mutter verleumden würde. Ich kann gar nicht glauben, daß du dich auf so lächerliche Weise hast an der Nase herumführen lassen. Du bist schlimmer als mein Freund Vandevater Robinson, und ich sage dir, er ist einmal als Kandidat für den Nobelpreis für Naivität im Gespräch gewesen. Seine Geschichte ist recht eigentümlich ... «
»Bitte«, sagte ich, »die Rezension ist in der aktuellen New York Review of Books erschienen - fünf Spalten Gift und Galle. Ich bin wirklich nicht in der Stimmung für eine deiner Geschichten.«
Das habe ich mir schon gedacht [sagte George], und du hast vollkommen recht. Sie wird dich von deinen unbedeutenden Sorgen ablenken.
Mein Freund Vandevater Robinson war ein ausgesprochen talentierter junger Mann. Er war gutaussehend, kultiviert, intelligent und kreativ. Er hatte die besten Schulen besucht und war in ein reizendes junges Mädchen namens Minerva Schlump verliebt.
Minerva war eine meiner Patentöchter und hing sehr an mir - was durchaus verständlich ist. Jemand, der so anständig ist wie ich, kann einer jungen Dame von recht stattlicher Figur natürlich nicht erlauben, daß sie ihn ständig umarmt oder auf seinem Schoß sitzen will. Aber Minerva hatte ein so einnehmendes Wesen, so kindlich und unschuldig und vor allem so handfest, daß ich in ihrem Fall eine Ausnahme machte.
Natürlich verzichtete ich in Gegenwart von Vandevater auf dergleichen Vertraulichkeiten, denn er konnte sehr unvernünftig sein, wenn er eifersüchtig war.
Diese seine Schwäche hat er einmal in Worte gefaßt, die mich tief berührten. »George«, sagte er, »seit meiner Kindheit wollte ich mich in eine junge Frau von überragender Tugendhaftigkeit, unberührter Reinheit und - wenn ich das so sagen darf - porzellanhafter Unschuld verlieben. Minerva Schlump - ich wage es kaum, diesen göttlichen Namen auszusprechen - ist die Frau, die ich immer gesucht habe. Ich weiß, daß ich mich in ihr nicht täuschen kann. Sollte ich jemals herausfinden, daß mein Vertrauen mißbraucht worden ist, wüßte ich nicht, wie ich weiterleben soll. Ich würde ein verbitterter alter Mann werden, der seinen Trost nur noch in so armseligen Dingen wie einer Villa, Bediensteten, einem Klub und einer reichen Erbschaft sucht.«
Der Ärmste. Er täuschte sich in der jungen Minerva keineswegs. Sie mochte sich zwar mit Vergnügen auf meinen Schoß setzen, doch ich wußte sehr gut, daß sie das ohne einen Hintergedanken tat. Das war jedoch das einzige, worin er sich nicht täuschte. Der junge Mann besaß einfach kein Urteilsvermögen. Verzeih mir, wenn ich das so offen sage, aber er war genauso unbedarft wie du. Ihm mangelte es an dem Wissen, die Seele eines Menschen im Gesicht ... Ja, ich weiß, du sagtest das bereits. Ja, ja, du hast es zweimal gesagt.
Erschwerend kam hinzu, daß Vandevater gerade eine Stelle als Kriminalbeamter bei der New Yorker Polizei angetreten hatte.
Es war schon immer sein Wunsch gewesen (abgesehen davon, das perfekte Mädchen zu finden), Kriminalbeamter zu werden. Er wollte einer jener scharfsinnigen, hakennasigen Herren werden, die jeden Bösewicht in Angst und Schrecken versetzen. Zu diesem Zweck studierte er in Groton und Harvard Kriminologie und las mit großer Gewissenhaftigkeit jene bedeutenden Kriminalberichte, die von Autoritäten wie Sir Arthur Conan Doyle und Agatha Christie zu Papier gebracht wurden. Das alles, sowie der Einfluß seiner Familie, dessen er sich ohne Zögern bediente, und die Tatsache, daß sein Onkel Bürgermeister von Queens war, verschaffte ihm eine Stelle bei der Polizei.
Überraschenderweise war ihm kein Erfolg vergönnt. Seine Fähigkeit, aus Beweisen, die andere gesammelt hatten, unumstößliche logische Schlüsse zu ziehen, ohne auch nur seinen Sessel zu verlassen, war unübertroffen. Leider war er vollkommen unfähig, selbst Beweise zu sammeln.
Er neigte in unfaßbarem Maße dazu, alles, was andere Leute ihm erzählten, für bare Münze zu nehmen. Jedes Alibi - ganz gleich wie fadenscheinig - stürzte ihn in Zweifel. Ein stadtbekannter Betrüger mußte ihm nur sein Ehrenwort geben, schon glaubte er alles, was er ihm erzählte.
Das hatte sich bald so weit herumgesprochen, daß sich sämtliche Verbrecher - vom einfachsten Handtaschendieb bis zum höchsten Politiker oder Unternehmer - nur noch von Vandevater vernehmen lassen wollten.
»Wir wollen Vandevater«, rieten sie.
»Ihm werde ich alles erzählen«, sagte der Taschendieb.
»Ich werde ihn über die von mir sorgfältig geplanten Ereignisse in Kenntnis setzen«, sagte der Politiker.