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Ich wiederholte die Geschichte noch einmal, und er sagte verwundert: »Du sprichst die absolute, die reine Wahrheit, Onkel George. Glaubst du, Minerva wird mir jemals verzeihen?«

»Natürlich«, sagte ich. »Trage sie auf Händen und mache weiter Jagd auf den Abschaum der Unterwelt in den Spirituosengeschäften, Vorstandsbüros und Rathausfluren, aber richte deinen scharfsinnigen Blick niemals auf die Frau, die du liebst. Die vollkommene Liebe gründet sich nur auf vollkommenem Vertrauen. Und du mußt ihr vollkommen vertrauen.«

»Das werde ich, das werde ich«, rief er.

Und das hat er seither auch getan. Inzwischen ist er zum besten Kriminalbeamten der Polizei und in den Rang eines Wachtmeisters mit besonderem Aufgabenbereich aufgestiegen. Sein Büro befindet sich im Erdgeschoß, direkt neben der Waschmaschine. Er hat Minerva geheiratet, und sie leben in vollkommener Harmonie miteinander.

Sie überprüft die überragenden Qualitäten von Vandevaters Küssen wieder und wieder, in einem nicht enden wollenden Taumel der Glückseligkeit. Manchmal ist sie sogar willens, eine ganze Nacht mit einem Mann zu verbringen, der für eine Untersuchung in Frage kommt, doch das Ergebnis bleibt stets das gleiche. Vandevater ist unübertroffen. Inzwischen ist sie Mutter zweier Söhne, von denen einer eine leichte Ähnlichkeit mit Vandevater besitzt.

Soviel zu deiner Behauptung, mein Freund, daß meine und Azazels Bemühungen stets katastrophale Folgen haben.

»Dennoch«, sagte ich, »wenn ich deiner Geschichte Glauben schenke, dann hast du gelogen, als du Vandevater erzählt hast, Minerva hätte nie einen anderen Mann berührt.«

»Das habe ich getan, um das unschuldige junge Mädchen zu retten.«

»Aber wieso hat Vandevater nicht bemerkt, daß du lügst?«

»Ich nehme an«, sagte George und wischte sich Frischkäse von den Lippen, »das lag an meinem unantastbar würdevollen Auftreten.«

»Ich habe da eine andere Theorie«, sagte ich. »Ich glaube, daß weder du noch dein Blutdruck, die elektrische Leitfähigkeit deiner Haut oder deine kaum wahrnehmbaren hormonellen Reaktionen den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge feststellen können. Und deshalb gelingt das auch sonst niemandem, der sich auf diese Anhaltspunkte verläßt.«

»Lächerlich«, sagte George.

Frühlingsgefühle

George und ich blickten über den Fluß hinweg zum Campus des College am anderen Ufer hinüber. Nachdem sich George auf meine Kosten satt gegessen hatte, war er in eine nostalgische Rührseligkeit verfallen.

»Ach, Collegezeiten!« seufzte er. »Was kann einem das Leben bieten, das diese Erfahrungen übertreffen könnte?«

Ich musterte ihn überrascht. »Sag bloß, du bist auf's College gegangen!«

Er blickte mich herablassend an. »Weißt du etwa nicht, daß ich der beste Präsident bin, den die Pi-Pa-Po-Verbindung jemals gehabt hat?«

»Aber wie konntest du die Studiengebühren bezahlen?«

»Stipendien!« sagte er. »Ich wurde förmlich mit Stipendien überschüttet, nachdem ich in den Studentenwohnheimen meine Fähigkeiten in den Schlachten ums kalte Büffet unter Beweis gestellt hatte. Außerdem hatte ich einen wohlhabenden Onkel.«

»Ich wußte nicht, daß du einen wohlhabenden Onkel hast, George.«

»Als ich die vereinfachten Studiengänge nach sechs Jahren abgeschlossen hatte, weilte er leider nicht mehr unter uns. Zumindest nicht mehr in dem Maße wie vorher. Das wenige Geld, das er vor dem Ruin retten konnte, hat er schließlich einem Heim für bedürftige Katzen vermacht. In seinem Testament hat er außerdem einige Bemerkungen über mich hinterlassen, die ich hier nicht wiedergeben möchte. Ich führe ein trauriges Leben, stets von allen verkannt.«

»Irgendwann einmal«, sagte ich, »mußt du mir das in allen Einzelheiten erzählen.«

»Aber«, fuhr George fort, »die Erinnerung an meine Collegezeit erfüllt mein entbehrungsreiches Leben mit einem goldenen Glanz. Diese Erinnerungen sind mit ganzer Macht zurückgekehrt, als ich vor einigen Jahren wieder einmal den Campus der alten Tate University besucht habe.«

»Sie haben dich noch einmal eingeladen?« fragte ich und versuchte, nicht allzu ungläubig zu klingen.

»Ich bin sicher, sie hätten es getan«, sagte George. »Aber eigentlich bin ich auf Wunsch eines lieben Kommilitonen aus meiner Collegezeit dorthin zurückgekehrt - dem alten Antiochus Schnell.«

Da dich meine Geschichte offenbar fasziniert [sagte George], will ich dir mehr über den alten Antiochus Schnell erzählen. Damals waren wir unzertrennliche Freunde, er war mein fidus Achates (warum ich allerdings dergleichen klassische Anspielungen auf einen Simpel wie dich verschwende, weiß ich selbst nicht). Obwohl er viel stärker gealtert ist als ich, erinnere ich mich noch heute an die Tage, als wir zusammen Goldfische geschluckt, uns mit unseren Freunden in Telefonzellen gedrängt oder mit einer geschickten Handbewegung vergnügt quieksenden Studentinnen die Höschen heruntergezogen haben. Kurz gesagt, wir haben all die erhabenen Freuden eines fortschrittlichen Instituts genossen.

Als mich also der alte Antiochus Schnell in einer Angelegenheit von größter Wichtigkeit zu sehen wünschte, war ich sofort zur Stelle.

»George«, sagte er, »es geht um meinen Sohn.«

»Den jungen Artaxerxes Schnell?«

»Richtig. Vor einem Jahr hat er sein Studium an der alten Tate University begonnen, aber er bereitet mir große Sorgen.«

Meine Augen verengten sich. »Ist er in schlechte Gesellschaft geraten? Hat er Schulden gemacht? Oder sich mit einer ältlichen Kellnerin eingelassen?«

»Schlimmer! Viel schlimmer!« sagte der alte Antiochus Schnell mit versagender Stimme. »Er hat es mir selbst nie erzählt - wahrscheinlich fehlte ihm der Mut dazu -, aber einer seiner Kommilitonen hat sich mit einem schockierten Brief vertraulich an mich gewandt. George, alter Freund, mein armer Sohn - ich will es geradeheraus sagen und nichts beschönigen - studiert Differenzialrechnung!«

»Er studiert Differenz...«, ich konnte es nicht über mich bringen, dieses schreckliche Wort auszusprechen.

Der alte Antiochus Schnell nickte verzweifelt. »Und Volkswirtschaft. Er besucht tatsächlich Kurse und ist sogar beim Lernen beobachtet worden.«

»Gütiger Himmel!« sagte ich entsetzt.

»Ich kann es immer noch nicht fassen, George. Wenn Artaxerxes' Mutter davon erfahren würde, wäre das ihr Ende. Sie ist eine sensible Frau und nicht bei bester Gesundheit. Im Namen unserer alten Freundschaft beschwöre ich dich, George, der Tate University einen Besuch abzustatten und der Sache auf den Grund zu gehen. Wenn der Junge von irgend jemandem zu diesem Lerneifer überredet wurde, bring ihn irgendwie wieder zu Verstand -um seiner Mutter und seiner selbst willen, wenn schon nicht für mich.«

Mit Tränen in den Augen schüttelte ich ihm die Hand. »Nichts wird mich aufhalten können«, sagte ich. »Kein anderer Gedanke soll mich von dieser heiligen Pflicht ablenken. Und wenn es mich den letzten Tropfen Blut kostet - und da wir gerade bei Kosten sind: Ich brauchte einen Scheck.«

»Einen Scheck?« sagte der alte Antiochus Schnell mit bebender Stimme. Er war schon immer einer großer Geizhals gewesen.

»Hotelzimmer«, sagte ich, »Essen, Getränke, Trinkgelder, Inflation und allgemeine Unkosten. Es ist für deinen Sohn, mein alter Freund, nicht für mich.«

Nachdem ich den Scheck schließlich erhalten hatte und im Tate angekommen war, verlor ich keine Zeit und verabredete ein Treffen mit dem jungen Artaxerxes. Ich erlaubte mir gerade einmal ein gutes Abendessen, einen hervorragenden Brandy, eine erholsame Nacht und ein gemütliches Frühstück, bevor ich ihn in seinem Zimmer aufsuchte.

Der Anblick dieses Zimmers erschütterte mich zutiefst. An sämtlichen Wänden befanden sich Regale, die nicht etwa mit irgendwelchem gefälligen Schnickschnack gefüllt waren, mit Flaschen, die der Kunst des Winzers Ehre gemacht hätten, oder gar mit Fotos reizender Mädchen, die auf unerklärliche Weise ihrer Kleidung verlustig gegangen waren - nein, in den Regalen standen Bücher.