»Wo ist Ashtaroth?« rief er. »Wo ist meine liebste Ashtaroth, die eben noch in meinen Armen lag?«
Dann bemerkte er mich und sagte mit einem Zähneknirschen: »Ach, du bist's! Ist dir klar, daß du mich gerade in dem Augenblick gerufen hast, als Ashtaroth ... Aber lassen wir das.«
»Stell dir vor«, sagte ich, »wenn du mir rasch geholfen hast, kannst du eine halbe Minute nachdem du verschwunden bist wieder in dein Kontinuum zurückkehren. Ashtaroth wird sich über deine plötzliche Abwesenheit gewundert haben, aber sie wird noch nicht wütend sein. Dein Wiederauftauchen wird sie mit großer Freude erfüllen, und was immer ihr gerade getan habt, könnt ihr noch einmal tun.«
Azazel dachte einen Augenblick nach und sagte dann mit einem für seine Verhältnisse liebenswürdigen Tonfalclass="underline" »Dein Geist ist klein, du primitiver Wurm, aber verschlagen. Das kann jemandem mit meinen überragenden geistigen Fähigkeiten, dem seine offene und aufrichtige Natur Schwierigkeiten bereitet, zum Vorteil gereichen. Was für eine Hilfe benötigst du?«
Als ich ihm von Artaxerxes' und Philomels Misere erzählte, dachte er einen Augenblick nach und sagte dann: »Ich könnte ihm stärkere Muskeln schenken.«
Ich schüttelte den Kopf. »Muskeln allein sind nicht genug. Geschicklichkeit und Mut ist, was er am dringendsten braucht.«
Azazel erwiderte entrüstet: »Soll ich mir etwa meinen Schwanz dafür ausreißen, um seine geistigen Fähigkeiten zu vergrößern?«
»Hättest du etwas besseres vorzuschlagen?«
»Natürlich. Schließlich bin ich dir nicht umsonst unendlich überlegen. Wenn dein schwächlicher Freund seinen Feind nicht direkt angreifen kann, wie wäre es dann mit wirkungsvollen Ausweichmanövern?«
»Du meinst, indem er sehr schnell davonläuft?« Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß das besonders eindrucksvoll wäre.«
»Ich habe nicht gesagt, daß er flüchten soll; ich meinte Ausweichmanöver. Ich müßte lediglich seine Reaktionszeit stark verkürzen, was bei meinen Fertigkeiten ein Leichtes ist. Damit er seine Kraft nicht sinnlos verschwendet, könnte ich es so einrichten, daß diese kürzere Reaktionszeit von einem Adrenalinschub ausgelöst wird. Mit anderen Worten, er wird nur über diese Fähigkeit verfügen, wenn er sich in einem Zustand der Furcht, der Wut oder anderer starker Gefühle befindet. Du mußt lediglich ein kurzes Treffen mit ihm arrangieren, und ich werde mich um alles kümmern.«
»Abgemacht«, sagte ich.
Innerhalb der nächsten Viertelstunde besuchte ich Artaxerxes in seinem Zimmer im Studentenwohnheim und gab Azazel Gelegenheit, von der Brusttasche meines Hemdes aus einen Blick auf ihn zu werfen. Azazel war somit in der Lage, das autonome Nervensystem des jungen Mannes aus nächster Nähe zu beeinflussen und dann zu seiner Ashtaroth zurückzukehren und das fortzusetzen, wobei ich ihn gestört hatte.
Als nächstes verfaßte ich einen Brief, imitierte dabei geschickt die Schreibweise eines Collegestudenten - mit Wachsstift geschriebene Druckbuchstaben - und schob ihn unter Bullwhips Tür hindurch. Ich mußte nicht lange warten. Bullwhip hing eine Nachricht ans schwarze Brett, in der er Artaxerxes aufforderte, ihn in der Wirtsstube des Leckenden Feinschmeckers zu treffen, und Artaxerxes hütete sich davor, abzulehnen.
Philomel und ich kamen ebenfalls dorthin und standen am Rande einer Menge fröhlicher Collegestudenten, welche die Vorstellung kaum erwarten konnten. Artaxerxes, dem die Zähne klapperten, hielt einen schweren Wälzer mit dem Titel Handbook of Chemistry and Physics in Händen. Selbst in dieser extremen Situation konnte er von seiner Sucht nicht ablassen.
Bullwhip stand breitbeinig da, und seine Muskeln zeichneten sich auf furchterregende Weise unter dem mit Bedacht zerrissenen T-Shirt ab. Er sagte: »Schnell, mir ist zu Ohren gekommen, daß du über mich Lügen verbreitet hast. Da ich ein echter Kerl bin, gebe ich dir die Chance, alles abzustreiten, bevor ich dich in Stücke reiße. Hast du jemandem erzählt, du hättest mich ein Buch lesen sehen?«
Artaxerxes sagte: »Ich habe dich einmal in einem Comic blättern sehen, aber du hast das Heft falsch herum gehalten. Deshalb war ich nicht der Meinung, du würdest darin lesen und habe das auch niemandem erzählt.«
»Hast du jemandem gesagt, ich hätte Angst vor Mädchen und würde den Mund groß aufreißen, ohne daß etwas dahinter wäre?«
Artaxerxes sagte: »Ich habe einmal gehört, wie ein paar Mädchen das gesagt haben, Bullwhip, aber ich habe es nicht wiederholt.«
Bullwhip hielt einen Augenblick inne. Das Schlimmste kam noch. »Okay, Schnell, hast du jemals zu jemandem gesagt, ich sei eine heimliche Schwuchtel?«
Artaxerxes sagte: »Nein, Sir. Ich habe gesagt, daß du vollkommen debil bist.«
»Dann streitest du also alles ab?«
»Ganz entschieden.«
»Und gibst zu, das nichts davon der Wahrheit entspricht?«
»Unbedingt.«
»Und daß du ein dreckiger Lügner bist, der sich in die Hosen pißt?«
»Absolut.«
»Dann«, sagte Bullwhip mit zusammengebissenen Zähnen, »werde ich dich nicht umbringen. Ich werde dir nur den einen oder anderen Knochen brechen.«
»Frühlingsgefühle«, riefen die Collegestudenten und lachten, während sie um die beiden Streithähne einen Kreis bildeten.
»Ich will einen fairen Kampf«, verkündete Bullwhip, der zwar ein grausamer Tyrann war, sich aber dennoch an den Ehrencodex der Studenten hielt. »Niemand hilft mir und niemand hilft ihm. Hier geht es nur Mann gegen Mann.«
»Was könnte fairer sein?« riefen die erwartungsvollen Zuschauer im Chor.
Bullwhip sagte: »Nimm deine Brille ab, Schnell.«
»Nein«, erwiderte Artaxerxes mutig - worauf ihm einer der Umstehenden die Brille abnahm.
»Hee«, sagte Artaxerxes, »du hilfst Bullwhip.«
»Nein, ich helfe dir«, sagte der Student, der die Brille in der Hand hielt.
»Aber so kann ich Bullwhip nicht mehr deutlich sehen«, sagte Artaxerxes.
»Keine Sorge«, erwiderte Bullwhip. »Du wirst mich ganz deutlich spüren.« Mit ausladender Geste nahm seine voluminöse Faust Kurs auf Artaxerxes' Kinn.
Sie pfiff durch die Luft, und Bullwhip drehte sich halb um die eigene Achse, denn Artaxerxes war dem Schlag ausgewichen und dieser hatte ihn um den Bruchteil eines Zentimeters verfehlt.
Bullwhip war sichtlich verwundert. Artaxerxes war verblüfft.
»Das war's«, sagte Bullwhip. »Jetzt kannst du was erleben.« Er bewegte sich auf Artaxerxes zu, und seine Arme schossen abwechselnd nach vorn.
Artaxerxes tänzelte mit angstverzerrtem Gesicht nach links und rechts. Ich befürchtete wirklich, er könnte sich von dem Windzug, den Bullwhips wild schlagende Arme erzeugten, eine Erkältung holen.
Bullwhip wurde schnell müde. Seine breite Brust hob und senkte sich. »Was hast du vor?« fragte er mißmutig.
Artaxerxes hatte jedoch inzwischen bemerkt, daß er aus irgendeinem Grund unverwundbar war. Also ging er auf Bullwhip zu, hob die Hand, die nicht das Buch hielt, versetzte ihm eine kräftige Backpfeife und sagte: »Nimm das, du Schwuchtel.«
Die Zuschauer schnappten nach Luft, und Bullwhip verfiel in Raserei. Er verwandelte sich in eine mächtige Maschine, die ausholte, zuschlug und herumwirbelte, während sein Ziel vor ihm hin und her tänzelte.
Nach endlosen Minuten war Bullwhip außer Atem und vollkommen hilflos vor Erschöpfung, sein Gesicht schweißüberströmt. Artaxerxes stand immer noch gelassen und ohne einen Kratzer vor ihm. Er hatte noch nicht einmal sein Buch aus der Hand gelegt.
Dieses Buch stieß er jetzt kraftvoll in Bullwhips Magengrube, und als dieser sich vornüberkrümmte, ließ er es noch härter auf seinen Schädel niedersausen. Das Buch trug einigen Schaden davon, aber Bullwhip brach in seliger Bewußtlosigkeit zusammen.