Artaxerxes blickte sich blinzelnd um. Er sagte: »Der Schurke, der meine Brille gestohlen hat, gibt sie mir jetzt auf der Stelle zurück.«
»Ja, Sir, Mr. Schnell«, erwiderte der Student, der sie ihm abgenommen hatte. Er lächelte verkrampft, um ihn zu besänftigen. »Hier ist sie, Sir. Ich habe sie geputzt, Sir.«
»Gut. Und jetzt verschwindet! Das gilt für euch alle, ihr Schwachköpfe. Verschwindet!«
Das ließen sie sich nicht zweimal sagen, sondern stürzten durcheinander, in dem Bestreben, so schnell wie möglich von diesem Ort zu verschwinden. Nur Philomel und ich blieben zurück.
Artaxerxes' Blick fiel auf das atemlose junge Mädchen. Er zog abschätzig eine Augenbraue hoch und krümmte dann den kleinen Finger. Demütig eilte sie zu ihm hinüber, und als er sich auf dem Hacken umdrehte und hinausging, folgte sie ihm ebenso demütig.
Es war ein rundum glückliches Ende. Mit neu erwachtem Selbstvertrauen stellte Artaxerxes fest, daß er keine Bücher mehr benötigte, um sich ein fadenscheiniges Gefühl von Selbstwert zu verschaffen. Er verbrachte seine gesamte Zeit im Boxring und wurde Collegemeister. Alle junge Studentinnen himmelten ihn an, aber er heiratete schließlich Philomel.
Seine Fähigkeiten als Boxer handelten ihm am College einen so guten Ruf ein, daß er sich später eine Stelle als junger Angestellter aussuchen konnte. Mit seinem scharfen Verstand erkannte er sofort, womit man Geld machen konnte, und es gelang ihm, einen Vertrag mit der Regierung auszuhandeln und das gesamte Pentagon mit Toilettensitzen auszustatten. Darüber hinaus erstand er in einem Baumarkt billige Dichtungsringe und verkaufte sie an die Versorgungseinrichtungen der Regierung weiter.
Wie sich herausstellte, sollten die Studien seiner irregeleiteten Jugend doch nicht ganz umsonst gewesen sein. Er behauptete, daß er die Differenzialrechnung benötigte, um seine Gewinne zu ermitteln, die Volkswirtschaft, um seine Abzüge am Finanzamt vorbeizuschmuggeln, und Anthropologie, um sich die Exekutive vom Leib zu halten.
Ich starrte George ungläubig an. »Willst du damit sagen, daß Azazels und deine Einflußnahme auf das Leben eines armen Unschuldigen einmal ein glückliches Ende gefunden hat?«
»Sicher«, erwiderte George.
»Aber das bedeutet ja, daß du jetzt einen ausgesprochen reichen Bekannten hast, der alles, was er besitzt, dir verdankt.«
»Du hast es vollkommen erfaßt, alter Freund.«
»Aber dann kannst du doch bestimmt einmal ihm ein wenig auf der Tasche liegen.«
Georges Gesicht nahm einen finsteren Ausdruck an. »Das sollte man meinen, nicht wahr? Schließlich sollte es so etwas wie Dankbarkeit auf dieser Welt geben. Man könnte denken, daß jemand, dem man erklärt, daß er seine übermenschliche Fähigkeit, Schlägen auszuweichen, den Mühen eines Freundes verdankt, diesen mit Belohnungen überschütten müßte.«
»Du meinst, Artaxerxes hat das nicht getan?«
»Richtig. Als ich einmal mit der Bitte an ihn herangetreten bin, zehntausend Dollar in eines meiner Projekte zu investieren, das mit Sicherheit hundertfachen Gewinn abgeworfen hätte - armselige zehntausend Dollar, die er problemlos verdient, wenn er der Armee ein paar Dutzend billige Schrauben und Bolzen verkauft -, hat er mich von einem Diener vor die Tür setzen lassen.«
»Aber warum, George? Hast du das jemals herausgefunden?«
»Ja, irgendwann schon. Siehst du, mein alter Freund, wann immer er einen Adrenalinschub hat, der von einem starken Gefühl wie Furcht oder Zorn ausgelöst wurde, macht er Ausweichmanöver. So hat es mir Azazel erklärt.«
»Ja. Und?«
»Wann immer Philomel an die Finanzen der Familie denkt, wird sie von einem gewissen libidinösen Überschwang erfaßt und nähert sich Artaxerxes. Dieser erkennt ihre Absichten und spürt, wie seine eigene Leidenschaft seinen Adrenalinspiegel ansteigen läßt. Und wenn sie sich dann mit mädchenhaftem Enthusiasmus und fröhlicher Hemmungslosigkeit auf ihn stürzt ...«
»Was dann?«
»Dann weicht er ihr aus.«
»Ach!«
»Tatsächlich kann sie ihn ebensowenig berühren wie Bullwhip. Je öfter sie das versucht, desto frustrierter wird er, sein Adrenalinspiegel steigt allein bei ihrem Anblick weiter an - und umso effektiver und automatischer weicht er ihr aus. In trauriger Verzweiflung ist sie gezwungen, sich anderswo Trost zu suchen, doch ihm sind gelegentliche Abenteuer außerhalb der festen Bande der Ehe verwehrt. Er weicht jeder jungen Frau aus, der er begegnet, selbst wenn sie ihm nur geschäftliches Interesse entgegenbringt. Artaxerxes gleicht dem Tantalus - er ist zahllosen Verlockungen ausgesetzt, kann sich ihnen jedoch nie hingeben.« George fuhr entrüstet fort: »Und wegen dieser lächerlichen Unannehmlichkeiten hat er mich aus dem Haus werfen lassen.«
Ich sagte: »Du könntest Azazel bitten, den Fluch ... ich meine die Gabe, die du ihm vermacht hast, wieder aufzuheben.«
»Azazel hegt eine gewisse Abneigung dagegen, sich zweimal mit dem gleichen Individuum zu befassen - ich weiß auch nicht, warum. Außerdem, weshalb sollte ich jemandem einen Gefallen tun, der sich für meine Bemühungen bisher so undankbar gezeigt hat? Vergleiche das nur einmal mit dir! Obwohl du ein berüchtigter Geizhals bist, leihst du mir hin und wieder einen Fünfer -ich kann dir versichern, daß ich darüber ganz genau Buch führe, auf kleinen Zettelchen, die überall in meiner Wohnung verstreut sind. Dabei habe ich dir nie einen Gefallen getan, oder? Wenn du mir sogar hilfst, obwohl ich nie etwas für dich getan habe, sollte er erst recht allen Grund dazu haben.«
Ich dachte einen Augenblick nach und sagte dann: »Weißt du, George. Du brauchst mir keinen Gefallen tun. Ich bin mit meinem Leben zufrieden. Dabei fällt mir ein -nur um dir zu zeigen, daß du nichts für mich tun mußt -, wie wäre es mit einem Zehner?«
»Na gut«, sagte George, »wenn du darauf bestehst.«
Galatea
Aus einem mir selbst nicht näher bekannten Grund vertraue ich George hin und wieder meine innersten Gefühle an. Da er zwar zu großem Mitgefühl fähig ist, dieses jedoch ausschließlich ihm selbst vorbehalten bleibt, ist das ein sinnloses Unterfangen, aber ab und an lasse ich mich dennoch dazu hinreißen.
Zum damaligen Zeitpunkt war ich allerdings so sehr von Selbstmitleid erfüllt, daß ich wohl gar nicht anders gekonnt hätte.
Nach einem reichhaltigen Abendessen in der Peacock Alley warteten wir gerade auf unsere Erdbeertorteletts, als ich sagte: »George, ich habe es satt, daß sich die Kritiker niemals die Mühe machen, meinem Werk tatsächlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es interessiert mich nicht, was sie tun würden, wenn sie an meiner Stelle wären. Schließlich können sie nicht schreiben, sonst würden sie ihre Zeit nicht damit verschwenden, Rezensionen zu verfassen. Und jene, die zumindest ein wenig schreiben können, benutzen ihre Kritiken ja doch nur dazu, um andere schlecht zu machen, die ihnen überlegen sind. Und außerdem ... «
Aber in diesem Augenblick wurden die Erdbeertorteletts gebracht, und George ergriff die Gelegenheit, das Gespräch an sich zu reißen. Allerdings hätte er das auch getan, wenn das Dessert nicht in diesem Moment eingetroffen wäre.
»Alter Junge«, sagte er, »du mußt noch lernen, den Launen des Schicksals mit Gelassenheit zu begegnen. Stell dir einfach vor - denn es ist die Wahrheit -, daß deine armseligen Kritzeleien so wenig Einfluß auf die Welt haben, daß es vollkommen gleichgültig ist, was die Kritiker darüber sagen, wenn sie sich denn überhaupt die Mühe machen, sich zu äußern. Derartige Gedanken werden dich zutiefst erleichtern und verhindern, daß du ein Magengeschwür bekommst. Besonders in meiner Anwesenheit solltest du solche rührseligen Reden vermeiden - worauf du von selbst kommen würdest, wenn du sensibel genug wärest, um zu erkennen, daß mein Werk sehr viel bedeutender ist als deines und die Kritiken, die ich erhalte, mitunter viel niederschmetternder sind.«