Nur mit Mühe konnte ich seine Tirade lange genug unterbrechen, um meine Bitte vorzutragen, er möge doch diese Statue zum Leben erwecken. Er stieß einen spitzen Schrei aus, der mir in den Ohren weh tat. »Ich soll ein auf Silikat basierendes Material in eine Lebensform aus Kohlenstoff und Wasser verwandeln? Warum bittest du mich nicht gleich darum, dir aus Exkrementen einen Planeten zu erschaffen? Wie soll ich Stein in lebendiges Fleisch verwandeln?«
»Dir fällt sicher etwas ein, o Mächtiger«, sagte ich. »Denk doch nur, wenn du diese enorme Aufgabe vollbringst, kannst du das auf deiner Welt erzählen, und deine Kritiker würden sich wie ein Haufen dummer Esel vorkommen.«
»Sie sind weit schlimmer als ein Haufen dummer Esel«, sagte Azazel. »Wenn sie sich wie dumme Esel vorkommen würden, würde das ihren Wert um einiges übersteigen. Ein solches Gefühl wäre für sie ein Belohnung. Ich möchte, daß sie sich wie eine Horde Farfelanimaren fühlen.«
»Genau so würden sie sich fühlen. Alles, was du tun mußt, ist kalt in warm zu verwandeln, Stein in Fleisch und hart in weich. Besonders weich. Eine junge Frau, die ich sehr schätze, möchte die Statue umarmen und unter ihren Fingerspitzen weiches, elastisches Fleisch spüren. Das sollte nicht allzu schwierig sein. Die Statue ist das perfekte Abbild eines menschlichen Wesens. Du mußt sie nur mit Muskeln, Blutgefäßen, Organen und Nerven füllen, sie mit Haut überziehen - und fertig!«
»Einfach nur damit füllen, was? Nicht mehr, ja?«
»Denk doch nur, deine Kritiker werden sich wie Farfelanimaren fühlen.«
»Hmm. Das ist aber noch nicht alles. Weißt du, wie ein Farfelanimar riecht?«
»Nein, aber sag es mir nicht. Du kannst mich als Modell benutzen.«
»Modell - Schmodell«, sagte er mürrisch (woher er diese Ausdrücke hat, weiß ich auch nicht). »Hast du eine Ahnung, wie kompliziert selbst das primitivste menschliche Gehirn ist?«
»Nun«, sagte ich, »mit dem Gehirn mußt du dir nicht so viel Mühe geben. Holunderbeere ist ein einfaches Mädchen, und was sie von der Statue will, dafür braucht man nicht viel Hirn, glaube ich.«
»Du mußt mir die Statue zeigen, damit ich mir ein Bild von ihr machen kann«, sagte er.
»Abgemacht. Aber denk daran: Erwecke die Statue zum Leben, während wir sie betrachten, und sorge dafür, daß sie unsterblich in Holunderbeere verliebt ist.«
»Liebe ist einfach. Das ist nur eine Frage der richtigen Hormone.«
Am nächsten Tag brachte ich Holunderbeere dazu, mir noch einmal die Statue zu zeigen. Azazel lugte aus der Brusttasche meines Hemdes heraus und gab hin und wieder ein leises helles Schnauben von sich. Zum Glück hatte Holunderbeere nur Augen für ihre Statue und hätte nicht einmal bemerkt, wenn zwanzig lebensgroße Dämonen neben ihr erschienen wären.
»Nun?« sagte ich später zu Azazel.
»Ich werde es versuchen«, sagte er. »Ich werden ihn nach deinem Vorbild mit Organen füllen. Ich nehme an, daß du ein durchschnittlicher Vertreter deiner widerlichen, minderwertigen Spezies bist.«
»Mehr als durchschnittlich«, sagte ich herablassend. »Ich bin ein hervorragendes Exemplar.«
»Nun gut. Ihre Statue soll vollkommen aus weichem, warmen, vibrierendem Fleisch bestehen. Allerdings wird sie nach eurer Zeitrechnung noch bis morgen mittag warten müssen. Ich möchte nichts überstürzen.«
»Ich verstehe. Sie und ich werden bereit sein.«
Am nächsten Morgen rief ich Holunderbeere an. »Holunderbeere, mein Kind, ich habe mit Aphrodite gesprochen.«
Holunderbeere flüsterte aufgeregt: »Meinst du damit, es gibt sie wirklich, Onkel George?«
»In gewissem Sinne schon, mein liebes Kind. Dein idealer Mann wird heute mittag vor unseren Augen zum Leben erwachen.«
»Du meine Güte«, sagte sie leise. »Beschwindelst du mich auch nicht, Onkel George?«
»Ich schwindele nie«, sagte ich wahrheitsgemäß. Aber ich muß zugeben, daß ich ein wenig nervös war, denn ich verließ mich in dieser Angelegenheit vollkommen auf Azazel. Allerdings hat er mich auch noch nie im Stich gelassen.
Um die Mittagszeit standen wir wieder vor der Wandnische und betrachteten die Statue, die mit leerem Blick in die Ferne starrte. Ich sagte zu Holunderbeere: »Geht deine Uhr auch richtig, Liebes?«
»Oh ja, ich habe sie mit der Sternwarte abgeglichen. Es dauert noch eine Minute.«
»Die Veränderung kann sich natürlich auch ein oder zwei Minuten später vollziehen. Solche Dinge lassen sich nicht genau bestimmen.«
»Eine Göttin sollte eigentlich pünktlich sein«, sagte Holunderbeere. »Warum ist sie sonst eine Göttin?«
Das nenne ich wahren Glauben! Und sie sollte recht behalten, denn auf die Sekunde genau um zwölf Uhr durchlief ein Zittern die Statue. Ihre Farbe wandelte sich von totem Marmorweiß hin zu dem warmen Rosa lebendigen Fleisches. Langsam kam Bewegung in ihren Körper, die Arme senkten sich, die Augen nahmen ein lebendiges, blaues Glitzern an, die Haare auf ihrem Kopf färbten sich hellbraun, ebenso wie an anderen passenden Körperstellen. Der Mann senkte den Kopf und blickte Holunderbeere an, die nach Luft rang.
Langsam und ungelenk stieg er vom Sockel herunter und ging mit ausgestreckten Armen auf Holunderbeere zu.
»Ich Dirk. Du Holunderbeere«, sagte er.
»Oh, Dirk«, sagte Holunderbeere und sank in seine Arme.
Sie standen lange in inniger Umarmung versunken da, dann blickte sie über die Schulter zu mir herüber und sagte mit verzückt leuchtenden Augen: »Dirk und ich werden einige Tage zu Hause bleiben, du weißt schon, Flitterwochen. Aber dann, Onkel George, werde ich dich besuchen.« Sie rieb Daumen und Zeigefinger aneinander, als würde sie Geld zählen.
Daraufhin leuchteten meine Augen ebenfalls verzückt und ich schlich mich aus dem Haus. Ehrlich gesagt, fand ich es ein wenig unschicklich, daß eine vollkommen bekleidete junge Frau sich so innig von einem nackten Mann umarmen ließ, aber ich war sicher, daß Holunderbeere diesen Umstand sofort nach meinem Weggehen berichtigen würde.
Zehn Tage lang wartete ich auf Holunderbeeres Anruf, aber ich hörte nichts von ihr. Das überraschte mich nicht, denn ich dachte mir, daß sie wohl anderweitig beschäftigt war. Dennoch glaubte ich, daß man nach zehn Tagen einmal Zeit zum Luftholen haben müßte. Außerdem hielt ich es nur für angemessen, daß nun auch mein Wunsch erfüllt werden sollte, nachdem ihr sehnlichster Wunsch durch Azazels und meine Bemühungen erfüllt worden war.
Ich stattete dem Haus, in dem ich das glückliche Paar zurückgelassen hatte, einen Besuch ab und klingelte. Es dauerte eine Weile, bis sich etwas regte, und in meinem Inneren sah ich schon zwei junge Menschen vor mir, die an übermäßiger Verzückung gestorben waren, als sich die Tür einen Spalt breit öffnete.
Es war Holunderbeere. Sie sah vollkommen normal aus, wenn man einen ärgerlichen Gesichtsausdruck als normal bezeichnen will. Sie sagte: »Ach, du bist's.«
»Natürlich«, sagte ich. »Ich hatte schon befürchtet, ihr hättet die Stadt verlassen, um eure Flitterwochen etwas auszudehnen.« Ich sagte nichts von meiner Vermutung, sie könnten während der Flitterwochen ihr Leben ausgehaucht haben. Ich hielt das für nicht besonders diplomatisch.
Sie sagte: »Und was willst du?«
Das klang nicht besonders freundlich. Ich konnte verstehen, daß ihr die Unterbrechung ungelegen kam, aber nach zehn Tagen konnte man wohl eine kurze Ablenkung verschmerzen.
Ich sagte: »Da war diese unbedeutende Angelegenheit von einer Million Dollar, mein Kind.« Ich schob die Tür auf und trat ins Haus.
Sie blickte mich mit einem höhnischen Lächeln an und sagte: »Alles, was du bekommst, sind Bubkes.«
Ich weiß nicht, was Bubkes sind, aber mir wurde auf der Stelle klar, daß es sich dabei um sehr viel weniger als eine Million Dollar handelte.