Verwirrt und ein wenig verletzt sagte ich: »Warum? Was ist schief gegangen?«
»Was schief gegangen ist?« sagte sie. »Das fragst du noch? Ich sage dir, was schier gegangen ist. Als ich den Wunsch geäußert habe, Dirk solle weich sein, meinte ich damit nicht, daß er überall am Körper und immer weich sein soll.«
Mit der Kraft der Bildhauerin schob sie mich aus dem Haus und knallte die Tür zu. Während ich noch vollkommen verblüfft dastand, öffnete sie die Tür noch einmal und sagte: »Und wenn du noch einmal hierherkommst, wird Dirk dich in Stücke reißen. Er ist nämlich sonst in jeder Hinsicht stark wie ein Stier.«
Also ging ich. Was hätte ich sonst tun sollen? Siehst du nun, was ich mir für Kritik an meinen künstlerischen Werken gefallen lassen muß? Also komm mir nicht mit deinen bedeutungslosen Klagen.
Als George die Geschichte beendet hatte, schüttelte er den Kopf und sah dabei so niedergeschlagen aus, daß es mir wirklich zu Herzen ging.
Ich sagte: »George, ich weiß, daß du Azazel die Schuld dafür gibst, aber der kleine Kerl konnte nichts dafür. Du hast immer wieder betont, er solle die Statue weich machen ... «
»Das hat Holunderbeere auch getan«, erwiderte George entrüstet.
»Ja, aber du hast Azazel gesagt, er solle dich für seine Eingriffe an der Statue als Vorbild nehmen, und das erklärt sicher, warum ... «
George hob energisch die Hand und funkelte mich an.
»Das«, sagte er, »verletzt mich noch mehr als der Verlust des Geldes, das ich mir verdient hatte. Damit du's weißt - obwohl ich meine besten Jahre hinter mir habe ...«
»Ja, ja, George. Es tut mir Leid. Hier, ich glaube, ich schulde dir zehn Dollar.«
Nun, zehn Dollar sind immerhin zehn Dollar. Zu meiner Erleichterung nahm George den Schein entgegen und lächelte.
Höhenflüge der Phantasie
Wenn ich mit George essen gehe, achte ich darauf, daß ich niemals eine Kreditkarte benutze, um zu bezahlen. Ich zahle bar, denn dann kann George seiner liebenswerten Gewohnheit nachgehen, das Wechselgeld einzustreichen. Natürlich achte ich darauf, daß nicht übertrieben viel Wechselgeld zurückgebracht wird und gebe das Trinkgeld separat.
Bei diesem speziellen Anlaß hatten wir im Boathouse zu Mittag gegessen und schlenderten zu Fuß durch den Central Park zurück. Es war ein schöner Tag, gerade warm genug, daher setzten wir uns auf eine Bank im Schatten und entspannten uns.
George betrachtete einen Vogel, der so zappelig, wie es Vögeln eigen ist, auf einem Ast saß, und folgte ihm mit Blicken, als er fortflog.
»Als Junge war ich wütend, weil diese Geschöpfe durch die Luft fliegen konnten und ich nicht«, sagte er.
»Ich nehme an, jedes Kind beneidet Vögel«, entgegnete ich. »Und Erwachsene auch. Aber Menschen können fliegen, und zwar schneller und weiter, als es jedem Vogel je möglich wäre. Denk an die Flugzeuge, die die Erde nonstop in neun Stunden umrunden können, ohne aufzutanken. Das könnte kein Vogel.«
»Welcher Vogel würde das schon wollen?« konterte George verächtlich. »Ich spreche nicht davon, in einer fliegenden Maschine zu sitzen oder auch nur an einem Paraglider zu hängen. Das sind technologische Kompromisse. Ich meine, aus eigenem Antrieb zu fliegen: sanft mit den Armen zu flattern und dann abzuheben und sich aus freien Stücken bewegen zu können.«
Ich seufzte. »Du meinst, von der Schwerkraft befreit zu sein. Davon habe ich einst geträumt, George. Ich träumte einst, ich könnte in die Luft springen, mich mit behutsamen Armbewegungen dort halten und dann langsam und federleicht wieder landen. Natürlich wußte ich, daß das unmöglich war, daher ging ich davon aus, daß ich geträumt hatte. Doch dann schien ich in meinem Traum zu erwachen und lag in meinem Bett. Ich stand auf und stellte fest, daß ich mich immer noch aus freien Stücken durch die Luft bewegen konnte. Und da es mir vorkam, als wäre ich erwacht, glaubte ich, ich könnte es wirklich. Schließlich wachte ich tatsächlich auf und stellte fest, daß ich nach wie vor ein Gefangener der Schwerkraft war. Was empfand ich da für einen Verlust, was für ein unerträgliches Gefühl der Enttäuschung! Ich erholte mich erst nach Tagen davon.«
Worauf George fast zwangsläufig antwortete: »Ich habe etwas Schlimmeres erlebt.«
»Tatsächlich? Du hast einen ähnlichen Traum gehabt, nicht wahr? Nur größer und besser.«
»Träume! Ich gebe mich nicht mit Träumen ab. Das überlasse ich kleinkarierten Schreiberlingen wie dir. Ich spreche von der Wirklichkeit.«
»Du meinst, du bist tatsächlich geflogen. Soll ich etwa glauben, daß du mit einem Raumschiff im Orbit gewesen bist?«
»Nicht in einem Raumschiff. Hier auf der Erde. Und nicht ich. Es war mein Freund Baldur Anderson - aber ich denke, ich erzähle dir besser die ganze Geschichte ... «
Die meisten meiner Freunde [sagte George] sind Intellektuelle in gehobenen Positionen, was vermutlich auch deinem Selbstbild entspricht, nicht aber Baldur. Er war ein Taxifahrer ohne nennenswerte Bildung, aber mit einem großen Respekt vor der Wissenschaft. Wir verbrachten viele Abende in unserer Lieblingskneipe, tranken Bier und unterhielten uns über den Urknall, die Gesetze der Thermodynamik, Genetik und so weiter. Er war mir immer sehr dankbar, daß ich ihm diese unverständlichen Themen erläuterte, und bestand stets darauf, wiewohl ich, wie du dir denken kannst, stets heftig protestierte, die Rechnung zu begleichen.
Es gab nur einen unschönen Aspekt seiner Persönlichkeit: Er war ein ungläubiger Thomas. Ich meine keinen ungläubigen Philosophen, der alle Aspekte des Übernatürlichen ablehnt, sich einer säkularen menschlichen Organisation anschließt und seine Meinung geflissentlich in Zeitschriften, die kein Mensch liest, in Form von Artikeln in einer ganz und gar unverständlichen Sprache kundtut. Was würde das schaden?
Ich meine, Baldur war genau das, was man in alten Zeiten den Dorfatheisten genannt hätte. In der Kneipe führte er Diskussionen mit Leuten, die so wenig Ahnung von den Themen hatten wie er, und sie bedienten sich einer lauten und skurrilen Ausdrucksweise. Das waren wahrlich keine Musterbeispiele gepflegten Meinungsaustausch«. Eine typische Diskussion konnte so aussehen:
»Also wenn du schon so ein Schlauberger bist, Hohlkopf«, sagte Baldur, »dann verrat mir doch einmal, woher Kain seine Frau hatte?«
»Das geht dich nichts an«, entgegnete sein Kontrahent.
»Denn laut der Bibel war Eva ja damals die einzige existierende Frau«, sagte er.
»Woher weiß du das?«
»Weil es in der Bibel steht.«
»Gar nicht. Zeig mir die Stelle, wo steht: >Zu dieser Zeit war Eva die einzige existierende Dame auf der Welt.<«
»Das wird impliziert.«
»Impliziert, am Arsch.«
»Ach ja?«
»Ja!«
In ruhigen Augenblicken versuchte ich, vernünftig mit Baldur zu reden. »Baldur«, sagte ich, »es ist sinnlos, über Glaubensfragen zu diskutieren. Man kommt zu keinem Ergebnis und sorgt nur für Verstimmungen.«
Worauf Baldur trotzig erwiderte: »Es ist mein verfassungsmäßiges Recht, nicht an diese windigen Geschichten zu glauben und das auch zu sagen.«
»Selbstverständlich«, sagte ich, »aber eines Tages wird einer der Herren, die alkoholische Erfrischungsgetränke zu sich nehmen, dir auf die Nase hauen, bevor ihm die Verfassung wieder einfallt.«
»Diese Burschen«, antwortete Baldur, »sollen doch angeblich die andere Wange hinhalten. So steht es in der Bibel. Da steht: Mach kein Gewese wegen dem Bösen. Laß es einfach.«
»Das könnten sie vergessen.«
»Und wenn schon. Ich weiß mich meiner Haut zu wehren.« Das stimmte zweifellos, denn er war ein großer und muskulöser Mann mit einer Nase, die aussah, als hätte sie schon manchen Hieb einstecken müssen, und Fäusten, die den Eindruck erweckten, als hätten sie bei derlei Frevel Gleiches mit Gleichem vergolten.