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»Ich sagte doch, es ist alles in Ordnung«, wiederholte Sendig. Er wandte sich dem Mann vollends zu, und diesmal hielt seine Verkleidung nicht einmal mehr einem flüchtigen Blick stand. Unter der viel zu großen orangeroten Jacke sah die Hälfte seines Mantels hervor, und er hielt immer noch die Pistole in der linken Hand.

»Ihr... ihr seid gar keine Sanitäter!« wiederholte der Pförtner hysterisch. »Hier ist doch was faul. Ich... ich rufe die Polizei!«

»Tun Sie das«, riet ihm Sendig. »Aber verschwinden Sie endlich.«

Er hob seine Waffe, nicht einmal sehr weit, vielleicht um zehn Zentimeter, so daß sie noch lange nicht auf sein Gegenüber deutete, aber die Bewegung reichte trotzdem, den Mann aus seiner Erstarrung zu reißen. Er keuchte erschrocken, ließ die Taschenlampe fallen und stürmte davon.

»Los jetzt!« sagte Sendig. »Bremer!«

Bremer verstand. Ohne auf Marks schwache Proteste zu achten, ergriff er ihn wieder auf die gleiche Art wie gerade und zog ihn auf die offenstehende Tür des Laborgebäudes zu. Sendig folgte ihnen in einem Schritt Abstand, sah sich aber im Laufen immer wieder um. Von irgendwelchen Verfolgern war noch nichts zu sehen, aber daß sie niemanden sahen, mußte nicht bedeuten, daß sie nicht gesehen wurden. Außerdem wurde in der Fabrik gearbeitet. Hinter einigen Fenstern brannte Lacht, und Bremer hörte das Geräusch ferner laufender Maschinen, Er ertappte sich bei dem Gedanken, daß es ein Fehler gewesen war, den Pförtner gehen zu lassen. Er machte sich keine Sorgen darum, daß er die Polizei rief - was immer dort unten im Keller auf sie wartete, sie würden garantiert zu spät kommen, um noch irgend etwas zu ändern -, aber er hatte wenig Lust, sich mit einem Dutzend aufgebrachter Arbeiter herumzuschlagen, die ihre helle Freude daran hatten, zwei vermeintliche Einbrecher auf frischer Tat zu schnappen.

Kurz bevor sie die Tür erreichten, blieb Mark plötzlich stehen. Bremer spürte, wie er sich für einen Sekundenbruchteil versteifte und dann am ganzen Leib zu zittern begann. »Was ist los?« fragte er erschrocken.

»Sie... sie kommen«, murmelte Mark. »Sie kommen hierher!«

Bremer sah sich instinktiv erschrocken um. Der Pförtner verschwand gerade in diesem Moment in seinem Torhäuschen, aber der Hof war immer noch leer. »Wer?« fragte er.

»Sie kommen«, wiederholte Mark. »Sie... sie kommen mich wieder holen.«

45. Kapitel

Haymar gab auf. Mit einer Wucht, die das eigentlich sehr stabile Plastikgehäuse knirschen ließ, rammte er das Funkgerät in den Halter am Armaturenbrett zurück.

»Meldet er sich nicht?« fragte Brauss.

Nein, dachte Haymar wütend. Das ist es nicht, Idiot. Ich habe aus purer Langeweile ungefähr fünfundzwanzig Mal versucht, den Wagen zu erreichen, und immer im letzten Moment abgeschaltet. Irgendwann in nicht mehr allzu ferner Zukunft würde er Brauss beiseite nehmen und sich mit ihm von Mann zu Mann unterhalten. Und sollte Brauss danach noch in der Lage sein, seinen derzeitigen Beruf auszuüben, würde er sich garantiert einen anderen Partner suchen.

»Irgendwas stimmt da nicht«, murmelte Brauss. »Jetzt haben sie auch das Licht ausgeschaltet. Wir sollten nachsehen.«

»Kommt nicht in Frage«, erwiderte Haymar. »Berger war ziemlich eindeutig. Wir beobachten, mehr nicht. Bis wir andere Befehle bekommen«, fügte er mit einer Kopfbewegung auf das Funkgerät hinzu, mit dem er seit gut fünf Minuten vergeblich versucht hatte, genau diese anderen Befehle zu hören. Oder wenigstens irgend etwas.

Das schlimmste war, daß er Brauss insgeheim recht geben mußte. Irgend etwas stimmte dort vorne auf dem Fabrikgelände wirklich nicht. Haymar arbeitete jetzt seit annähernd zehn Jahren für die Abteilung und für Berger, und wenn er eines über seinen Chef wußte, dann, daß er ein Sicherheitsfanatiker war. Er ging nie ohne seine drei Bodyguards aus dem Haus, und er ließ prinzipiell einen der Männer als Eingreifreserve zurück - und ein eingeschaltetes Funkgerät. Den Apparat nicht ununterbrochen empfangsbereit und die Ohren auf weniger als hundertfünfzig Prozent Aufmerksamkeit zu haben war eine ziemlich sichere Methode, am nächsten Tag nicht mehr als Leibwächter des Chefs zu arbeiten. Haymar war es vor nicht allzu langer Zeit genauso gegangen.

Jetzt meldete sich der Posten seit fünf Minuten nicht mehr. Brauss hatte recht. Irgendwas war faul. Trotzdem sagte er noch einmaclass="underline" »Wir warten.«

Er sah seinem jungen Kollegen an, wie gerne er widersprochen hätte. Daß er es nicht tat, lag einzig an seinem - Haymars - Ruf. Er stand in der Hackordnung der Abteilung noch ein gutes Stück unter Berger, aber er war dafür bekannt, das, was er an Brutalität und Streitlust zuviel hatte, mit einem Mangel an Geduld zu kompensieren. Haymar wußte, daß ihn einige seiner Kollegen für einen Psychopathen hielten, aber das empfand er eher als Kompliment - solange niemand den Fehler beging, es ihm ins Gesicht zu sagen, allerdings.

Aber Brauss mußte entweder mutiger - oder noch dümmer - sein, als Haymar erwartet hatte, denn nach einigen weiteren Sekunden sagte er: »Und was ist, wenn sie verschwinden?«

»Wohin denn?« fragte Haymar abfällig. Er teilte zwar Brauss' Sorge, daß dort vorne irgend etwas schiefgegangen sein könnte, aber nicht die, daß Sillmann und diese beiden Polizisten ihnen entkamen. Es gab nur diesen einen Weg in die Fabrik hinein oder heraus, und den blockierten sie vollkommen. Natürlich konnten sie theoretisch versuchen, den Wagen stehenzulassen und auf der Rückseite des Geländes über den Zaun zu klettern, aber wirklich nur theoretisch. Haymar hatte mit eigenen Augen gesehen, in welchem Zustand der Junge war. Zu Fuß kam er keine hundert Meter weit.

»Wir sollten wenigstens nachsehen«, beharrte Brauss. Er streckte die Hand nach dem Fernglas aus, zögerte eine Sekunde und ergriff es dann, als Haymar nicht protestierte.

Haymar hielt den Atem an, als er das Gerät an die Augen hob. Nichts geschah. Natürlich nicht. Trotzdem war er nahe daran, Brauss zu warnen oder ihm den Feldstecher gleich aus der Hand zu schlagen. Statt dessen ließ er ein paar Sekunden verstreichen, dann sagte er: »Sie müssen es einschalten.«

Brauss ließ das Gerät verdattert sinken, sah Haymar einen Herzschlag lang verlegen an und drückte dann überhastet die entsprechende Taste. Ein winziges grünes Licht glomm an der Unken Seite des Apparates auf. »Danke«, murmelte er.

Hastig setzte er das Gerät wieder an, schwenkte es in Richtung der Fabrik und drehte an der Feineinstellung.

Dann explodierte sein Gesicht. Haymar konnte hören, wie irgend etwas mit furchtbarer Gewalt direkt durch die Optik des Gerätes hindurch in seine Augen fuhr und sie zerriß.

Brauss schrie auf. Sein Kopf wurde wie von einem Hammerschlag getroffen und gegen die Kopfstütze geschleudert. Zwischen dem Okular des Fernglases und seinen Augen schoß eine Blutfontäne hervor, besudelte die Sitze, die Scheiben und Haymars Gesicht. Brauss' ganzer Körper bäumte sich mit solcher Gewalt auf, daß das untere Viertel des Lenkrades einfach wegsplitterte und Haymar hören konnte, wie seine Oberschenkel brachen, und Brauss schrie noch immer. Seine Hände fuhren unkontrolliert durch die Luft, zerschmetterten das Seitenfenster und trafen Haymar mit solcher Wucht, daß er benommen gegen die Beifahrertür sank.

Dann, endlich, hörte Brauss auf zu schreien. Sein Oberkörper sank nach vorne, und seine Stirn schlug auf dem zerschmetterten Lenkrad auf. Aber noch im Tode rollte sein Kopf zur Seite, als wäre ihm im nachhinein aufgefallen, daß da noch etwas war, was er Haymar zeigen wollte.

Sein Gesicht war verzerrt und so voller Blut, daß es wie eine bizarre rote Faschingsmaske aussah, nur daß sie anstelle von Augen zwei faustgroße, blutige Krater mit zerfetzten Rändern hatte, aus denen grauer Rauch aufstieg.