Jedenfalls unterstellte Mark, daß es Männer waren. Ebensogut hätte es sich aber auch um Frauen handeln können oder Marsmenschen.
Mark fuhr sich erstaunt mit dem Handrücken über die Augen und blinzelte ein paarmal, aber das Bild blieb. Die beiden Männer trugen weiße, den ganzen Körper umhüllende Anzüge mit fest angebrachten Stiefeln, Handschuhen und Helmen, die aus einem Science-fiction-Film hätten stammen können. Es waren Isolieranzüge. In einem Krankenhaus vielleicht kein so ungewöhnlicher Anblick - aber dies war kein normales Krankenhaus. Schon gar keines, das Patienten mit so ansteckenden Krankheiten aufnahm, daß sich die Krankenwagenbesatzung auf eine solche Weise schützen mußte. Sehr ungewöhnlich!
»Wartest du schon lange?«
Mark erschrak so heftig, daß er auf dem Absatz herumfuhr und Beate einen hastigen Schritt zurück machte. Im allerersten Moment hätte er sie kaum erkannt - statt der strengen Schwesterntracht trug sie jetzt Jeans, T-Shirt und eine knappsitzende schwarze Lederjacke, was sie wesentlich jünger und kindlicher erscheinen ließ als noch am Morgen, zugleich aber auch sehr viel attraktiver.
»Entschuldige«, sagte er hastig. »Ich war ...« Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich warte noch nicht lange. Ein paar Minuten. Aber ich hatte die Hoffnung trotzdem schon fast aufgegeben.«
Beate legte fragend den Kopf auf die Seite.
»Deine Kollegin dort hinten.« Mark deutete mit säuerlichem Gesichtsausdruck über die Schulter zurück zum Empfang. »Sie hat behauptet, hier gäbe es keine Schwester Beate.«
»Ach ja, Schwester Rabiata«, sagte Beate lächelnd.
»Wie bitte?«
»Eigentlich heißt sie Ingeborg, aber alle nennen sie nur Schwester Rabiata«, erklärte Beate. »Sie kann mich nicht ausstehen. Außerdem ist sie völlig paranoid. Sie sieht in jedem weiblichen Wesen, das jünger ist als sie und besser aussieht, eine Mitgiftjägerin. Und du kennst ja die Vorschriften hier.«
Mark warf einen raschen Blick zum Empfang hinüber. Bremer war in eine heftige und offenbar nicht besonders erfreuliche Diskussion mit dem Arzt verwickelt, während Schwester Ingeborg Beate und ihn mit unverhohlenem Mißtrauen ansah. »Ich hoffe, du bekommst jetzt keine Schwierigkeiten«, sagte er.
Beate schüttelte heftig den Kopf. »Ach wo«, sagte sie. »Außerdem - hast du nicht selbst gesagt, daß du den Laden kaufst und jeden rauswirfst, der mir Ärger macht?«
Mark lachte zwar, aber eigentlich war ihm nicht danach zumute. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich ganz plötzlich wieder ebenso befangen, verunsichert und zugleich auf eine fast unerklärliche Weise zu Beate hingezogen wie am frühen Morgen. Es war ein sehr angenehmes Gefühl, aber es verwirrte ihn auch. Und ein bißchen erschreckte es ihn. Er war fast erleichtert, als Schwester Rabiata hinter dem Empfang die Hand hob und ihn heranwinkte. Beate machte keine Anstalten, ihm zu folgen, sondern blieb stehen, wo sie war. Offenbar herrschte zwischen ihr und ihrer Kollegin tatsächlich ein sehr gespanntes Verhältnis.
Er kam dicht genug an Bremer und dem Arzt vorbei, um einen Teil ihres Gespräches mitzuhören, obwohl er es gar nicht wollte.
»... aber ich fürchte, es bleibt bei meiner Entscheidung, Herr Wachtmeister«, sagte der Arzt gerade.
»Aber ich will doch nur -«
»Es tut mir leid, Herr Wachtmeister«, fuhr der Arzt in nun schon hörbar kühlerem Ton fort, »aber für uns zählt erst einmal das Wohl des Patienten, nicht, was Sie oder Ihre Kollegen oder meinetwegen auch Ihre Vorgesetzten möchten.«
»Lassen Sie mich wenigstens kurz mit ihm reden«, sagte Bremer. »Seine Frau macht sich große Sorgen.«
»Das glaube ich gern«, antwortete der Arzt ungerührt. »Aber wir tun für Ihren Kollegen, was wir können. Und wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden - ich habe noch andere Patienten.«
Er wollte gehen, aber Bremer hielt ihn mit einer fast befehlenden Geste zurück. »Ich hätte es lieber nicht so offiziell werden lassen, Herr Doktor«, sagte er, »aber ich kann durchaus mit einem Gerichtsbeschluß wiederkommen.«
Das war nicht die richtige Taktik. Mark spürte es, bevor der Arzt antwortete, Bremer sicher auch.
»Ganz, wie Sie meinen, Herr Wachtmeister«, sagte er ruhig. »Sie wären nicht der erste, der sich eine blutige Nase holt. Verschwenden Sie ruhig Ihre Zeit - aber bitte nicht weiter die meine.« Und damit drehte er sich herum und ging mit energischen Schritten zurück zum Aufzug.
Bremer machte ein betroffenes Gesicht, und Mark hielt es im Moment für diplomatischer, ihn nicht auf das Thema anzusprechen, sondern ging rasch die wenigen Schritte weiter zum Empfang.
Schwester Ingeborg hatte natürlich alles mitbekommen und machte keinen Hehl aus ihrer Schadenfreude. »Kein erfolgreicher Tag für Ihren Freund?« fragte sie triumphierend.
»Wir gehören nicht zusammen«, antwortete Mark. »Wir sind nur zufällig im gleichen Moment hereingekommen.«
Schwester Ingeborg zuckte nur mit den Schultern und deutete auf das Telefon vor sich. »Ich fürchte, ich habe auch für Sie schlechte Nachrichten«, sagte sie. »Ich habe mit dem zuständigen Arzt gesprochen. Wie es aussieht, gehört Ihre Mutter tatsächlich zu unseren Patienten. Aber im Moment können Sie sie unmöglich besuchen.«
Mark mußte sich beherrschen, um sich seinen Ärger über diese Formulierung nicht zu deutlich anmerken zu lassen. »Warum?« fragte er gepreßt.
»Das weiß ich nicht«, antwortete die Schwester. »Ihr Zustand läßt es nicht zu.«
»Unsinn«, sagte Mark. »Ich habe sie erst...« Er verbesserte sich im letzten Moment. »... vor kurzem besucht. Es ging ihr ausgezeichnet.«
»Sind Sie zufällig Arzt?« fragte die Schwester spitz. »Ich glaube nicht. Wenn Sie es wären, dann wüßten Sie, wie rasch sich der Zustand eines seelisch kranken Menschen manchmal ändern kann. Die kleinste Aufregung kann da ausreichen. Ich kann Ihnen jedenfalls nicht helfen.«
Mark blickte sie mit unverhohlener Feindseligkeit an, aber er sagte nichts von alledem, was ihm auf der Zunge lag. Tief drinnen war er sogar beinahe froh, seine Mutter jetzt nicht sehen zu können. Er war mit dem festen Vorsatz - nein, der Notwendigkeit - hierher gekommen, mit ihr zu reden, und er hätte sich selbst gegenüber keine Ausrede gelten lassen. Aber so unsympathisch ihm diese Schwester auch sein mochte und so sehr sie es sichtlich genoß, seinen Wunsch abzuschlagen, glaubte er doch nicht, daß sie log.
»Vielleicht haben Sie recht«, sagte er. »Ich komme später noch einmal wieder. Heute abend oder morgen.«
»Es wäre klüger, wenn Sie vorher anrufen und sich einen Termin geben lassen. Nur, damit Sie sich einen weiteren unnötigen Weg ersparen«, riet ihm die Schwester und beendete das Gespräch damit, denn sie beugte sich wieder über irgendwelche Papiere, die vor ihr lagen, und tat so, als lese sie konzentriert darin.
Mark schluckte seinen Ärger - der sich ohnehin in Grenzen hielt - herunter und ging zu Beate zurück. Sie hatte sich die ganze Zeit über nicht von ihrem Platz neben der Tür gerührt, aber als er sie erreichte, lächelte sie flüchtig und sagte: »Weißt du jetzt, warum wir sie Schwester Rabiata nennen?«
»Hm«, machte Mark. »Schwester Unfreundlich wäre passender. Ist sie immer so?«
»Ach woher«, antwortete Beate. »Sie hat heute einen guten Tag. Normalerweise läuft sie in einem roten Cape herum und hat einen Dreizack in der rechten Hand. Du hattest Glück.«
Mark lachte, aber es schien nicht sehr überzeugend zu klingen, denn Beate sah plötzlich ein bißchen besorgt aus. »Du wolltest deine Mutter noch einmal besuchen?« fragte sie. »Wenn es wirklich wichtig ist, könnte ich vielleicht etwas tun. Ich meine, ich kann nichts versprechen, aber ich kenne Doktor Ehlers gut, und -«
»Schon gut«, unterbrach sie Mark. »Es macht nichts. Vielleicht war es nicht einmal eine gute Idee. Immerhin war ich erst heute morgen hier. Es würde sie nur verwirren, wenn ich sie schon wieder besuche.« Falls sie sich überhaupt daran erinnert, fügte er in Gedanken hinzu. Er machte eine entsprechende Handbewegung und fuhr mit festerer Stimme fort: »Wenn du soweit bist, können wir aufbrechen. Du hast Zeit?«