»Soviel du willst«, antwortete Beate. Sie deutete auf Bremer: »Was ist mit ihm?«
»Nichts«, antwortete Mark. »Was... soll mit ihm sein?«
Bevor Beate antworten konnte, sagte Bremer: »Er kann sein Versprechen wahrscheinlich nicht halten.« Er wedelte bedauernd mit dem Autoschlüssel, während er näher kam. »Ich habe zwar angeboten, Sie mit zurück in die Stadt zu nehmen, aber ich fürchte, wir bekommen Probleme. Der Wagen ist ein Zweisitzer. Ich wußte nicht, daß Sie -«
»Das macht überhaupt nichts«, sagte Mark hastig. »Im Gegenteil. Es ist schönes Wetter, und ich gehe gerne spazieren. Du doch auch, oder?«
Die letzte Frage galt Beate, die sie mit einer überraschten Geste beantwortete, die man mit einigem guten Willen zumindest als die Andeutung eines Kopfnickens auslegen konnte.
»Den ganzen Weg?« fragte Bremer zweifelnd.
»So weit ist es nicht«, sagte Mark. »Zur Not halten wir ein Taxi an. Außerdem wissen wir noch gar nicht genau, wohin wir überhaupt wollen. Vielen Dank jedenfalls für das Angebot.«
Bremer sah ihn noch einen Augenblick lang zweifelnd an, aber dann zuckte er mit den Achseln und verabschiedete sich. Mark sah ihm nach, während er die Treppe hinunter und auf den geparkten Mercedes zuging. Sein Blick streifte die Stelle, an der gerade noch der Krankenwagen mit den beiden sonderbaren Pflegern gestanden hatte. Das Fahrzeug war verschwunden. Und er war auch gar nicht mehr so sicher, daß er die beiden vermummten Gestalten wirklich gesehen und sie sich nicht nur eingebildet hatte.
»Was hast du mit der Polizei zu tun?« erkundigte sich Beate.
»Der Polizei?« Mark lachte unsicher. »Nichts. Ich... kenne ihn. Privat. Aber nicht sehr gut. Wir haben uns zufällig auf der Straße getroffen, und da wir den gleichen Weg hatten, hat er mich mitgenommen.« Das war nahe genug an der Wahrheit, um glaubhaft zu klingen, und zugleich weit genug davon entfernt, Beate an weiteren unangenehmen Fragen zu hindern. Außerdem hatte sie mittlerweile auch gesehen, mit welchem Fahrzeug Bremer gekommen war, und riß verblüfft die Augen auf.
»Sieht so aus, als hätte ich mir den falschen Job ausgesucht«, sagte sie.
»Er gehört ihm nicht«, antwortete Mark. »Warte einen Moment - ich rufe uns ein Taxi.«
Er wollte sich herumdrehen, aber Beate fragte rasch: »Ich dachte, wir gehen zu Fuß?«
»Zu Fuß?« sagte Mark mit gespieltem Entsetzen.
»Aber du hast doch gerade selbst gesagt, daß du gerne spazierengehst!« antwortete Beate irritiert. »Das war gelogen«, sagte Mark. »Ich hasse Spaziergänge.« Er ging zum Empfang zurück und versuchte Schwester Ingeborgs Aufmerksamkeit zu erwecken. Es gelang ihm nicht, trotz mehrmaligen, immer lauter werdenden Räusperns.
»Könnten Sie mir ein Taxi rufen?« fragte er schließlich. Er bekam keine Antwort.
»Ich bezahle für das Gespräch, das ist kein Problem«, sagte er gereizt und legte eine Handvoll Münzen auf die Theke.
Die Schwester schob sie zurück, ohne auch nur von ihrer vorgetäuschten Arbeit aufzusehen, und sagte: »Auf der anderen Straßenseite ist ein Telefonhäuschen.«
»Sehr freundlich«, sagte Mark. »Vielen herzlichen Dank.« Innerlich kochend vor Wut ging er zu Beate zurück, marschierte an ihr vorbei und noch zwei Schritte weit auf die Treppe hinaus, ehe er wieder stehenblieb.
»Das darf doch alles nicht wahr sein!« sagte er zornig. »Was ist denn hier heute los? Wieso sind hier alle so gereizt und unfreundlich?«
»Ich habe dich vor ihr gewarnt«, sagte Beate.
»Quatsch«, antwortete Mark. »Ich komme seit Jahren hierher.«
»Sie sind alle ein bißchen nervös heute«, sagte Beate. »Es hat einen Todesfall gegeben. Aber das geht dich nichts an.«
»Du hast heute morgen nichts davon erzählt«, sagte Mark.
»Warum sollte ich auch? So etwas hängt man nicht an die große Glocke. Schon gar nicht einem Fremden gegenüber.«
Der er heute morgen noch für sie gewesen war. Beinahe hatte er vergessen, daß er dieses Mädchen erst vor ein paar Stunden kennengelernt hatte - und auch jetzt noch kaum mehr von ihr wußte als ihren Namen. Es war beinahe unheimlich, wie vertraut sie ihm schon vorkam: ein Vertrauen, das nichts mit Kennen zu tun hatte.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte dich nicht -«
»Ich wollte dir nicht die gute Laune verderben«, unterbrach ihn Beate. »Und jetzt vergiß Artner und Schwester Rabiata. Heute ist dein Geburtstag, oder? Also - wie feiern wir ihn?«
20. Kapitel
Sillmann unterbrach sich mitten im Satz und legte die Hand auf die Sprechmuschel des Telefons/als er die Tür hörte. Für einen ganz kurzen Moment verzerrte sich sein Gesicht vor Zorn zu einer Grimasse, vor der selbst die wenigen Menschen erschrocken wären, die ihn kannten; dann sah er, wer das Zimmer betreten hatte, und die Wut machte Betroffenheit und dem intensivsten Ausdruck von Sorge Platz, zu dem er fähig war (er war nicht sehr intensiv).
»Marianne!« sagte er bestürzt. »Was machen Sie denn hier? Sie sollten doch im Bett bleiben!«
»Ich weiß«, antwortete Marianne. »Aber das ist nichts für mich. Ich werde nur krank, wenn ich nutzlos im Bett herumliege. Der Doktor ist unten.«
»Doktor Petri?« Sillmann nahm kurz die Hand vom Hörer, sagte: »Einen Moment, bitte«, und wandte sich dann wieder an Marianne. »Schon wieder? Haben Sie ihn gerufen?«
»Er sagt, er müsse Sie dringend sprechen«, antwortete Marianne. Ihre Stimme klang ein bißchen undeutlich. Die eine Hälfte ihres Gesichts war geschwollen und dunkel angelaufen, die andere dafür um so blasser. »Das Telefon ist seit einer halben Stunde besetzt.«
»Also gut«, seufzte Sillmann. »Schicken Sie ihn rauf. Und dann legen Sie sich wieder hin und stehen nicht vor morgen früh wieder auf - haben Sie das verstanden? Das ist kein guter Rat, sondern ein dienstlicher Befehl.«
»Wie Sie wünschen«, antwortete Marianne - in einem Ton, der jedes weitere Wort überflüssig machte. Aber immerhin war sie klug genug, nicht direkt zu widersprechen, sondern verließ die Bibliothek wieder. Sillmann wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, ehe er sein unterbrochenes Telefonat fortsetzte.
»Möglicherweise hat es ja nichts zu bedeuten«, sagte er. »Ich... nein... nein, zum Teufel, ich versuche nicht, die Sache zu verharmlosen, aber... ja...«
Petri mußte bereits draußen vor der Tür gewartet haben, denn er trat ein, kaum daß die Haushälterin gegangen war. Diesmal sah Sillmann kaum hoch, so als hätte er den Arzt allein am Schritt erkannt. Seine Haltung versteifte sich merklich, während er zuhörte und nach immer länger werdenden Pausen in immer schärferem Ton antwortete.
»Niemals. Nein. Hören Sie, ich sagte nein. Es ist mir gleich, was Sie denken. Sie können mich nicht unter Druck...«
Petri hörte weiter konzentriert zu, aber er konnte plötzlich nicht mehr stillstehen. Mit kleinen, nervösen Schritten begann er im Zimmer auf und ab zu gehen und trat schließlich an die Bar. Seine Finger zitterten, als er zwei Gläser füllte und eines davon auf dem Schreibtisch neben Sillmann absetzte.
»Er ist mein Sohn«, sagte Sillmann betont. »Was erwarten Sie von mir?« Er lauschte auf die Antwort, dann lachte er, kurz und hart, und auf eine Weise, die nichts anderes als eine Drohung aus diesem Lachen machte. »Ganz wie Sie wünschen«, sagte er. »Aber Sie wissen, was dann passiert. Beziehungsweise ganz bestimmt nie mehr passieren wird. Es ist Ihre Entscheidung.«