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Mark maß den Burschen mit einem raschen, prüfenden Blick, während er sich seinen Weg durch die Menge so schnell bahnte, wie er konnte. Er war ein gutes Stück größer als er und mußte zwanzig Pfund schwerer sein, und bei der sportlich durchtrainierten Statur unter seiner Windjacke hätte Mark normalerweise zweimal überlegt, sich mit ihm anzulegen. Aber er sah auch noch mehr: Die Bewegungen des Burschen waren unsicher und fahrig, und sein Gesicht wirkte aufgedunsen. Der Kerl war hoffnungslos betrunken - was ihn wahrscheinlich nicht weniger gefährlich machte, aber möglicherweise etwas langsamer.

Mark erreichte endlich den Tisch und setzte die beiden Gläser mit einem hörbaren Knall ab. Das Geräusch erfüllte seinen Zweck: Beates Gesicht wandte sich mit einem Ruck in seine Richtung und mit einer guten Sekunde Verzögerung auch das des Burschen, der vor ihr stand.

»Probleme?« fragte er.

Beate schüttelte hastig den Kopf. Die Erleichterung in ihrem Blick hatte nicht lange vorgehalten. Spätestens jetzt, wo Mark dem anderen direkt gegenüberstand, mußte ihr wohl auch auffallen, daß der Bursche ungefähr doppelt so groß war wie er. »Es ist okay«, sagte sie hastig. »Ein... ein Mißverständnis.«

»Ein Mißverständnis, so?« sagte Mark. Sein Blick blieb fest auf das Gesicht des anderen gerichtet. Die Augen des Burschen waren trüb vom Alkohol, aber Mark bemerkte trotzdem das tückische Funkeln darin; der Kerl war nicht nur vollkommen betrunken, er war auch ein Schläger. Niemand, mit dem er sich normalerweise abgegeben hätte, und erst recht niemand, gegen den er eine Chance hatte, wahrscheinlich nicht einmal in diesem Zustand.

»Was willst du?« fragte der Betrunkene. Er sprach schleppend, und als er redete, zerplatzten kleine Speichelblasen in seinem Mundwinkel. Sein Atem roch durchdringend nach Alkohol.

»Die Frage ist, was du willst«, antwortete Mark. Eine innere Stimme riet ihm, daß es besser - und wahrscheinlich auch gesünder - war, jetzt die Klappe zu halten. Er konnte die Aggressivität des anderen beinahe riechen. Der Kerl war auf Streit aus, und er wußte, daß er mit ihm nicht fertig werden konnte. Aber er wollte nicht vernünftig sein. Ganz plötzlich war die Wut da, die er den ganzen Tag über vermißt hatte, eine rasende, kaum noch zu beherrschende Wut, die ihn dazu trieb, nicht aufzuhören, nicht vernünftig zu sein, sondern weiterzumachen. Er brauchte ein Ventil. Er wollte etwas packen, etwas zerstören und kaputtmachen, irgend etwas schlagen oder auch geschlagen werden, das war egal.

»Mach keinen Ärger«, sagte Beate.

»Ich?« Mark trat mit zwei zornigen Schritten um den Tisch herum und baute sich drohend vor dem Betrunkenen auf. »Er macht Ärger, nicht ich.«

»Spiel dich nicht auf, Kleiner«, sagte der Bursche. »Hau ab, solange du es noch kannst.«

»Und wenn nicht?« fragte Mark herausfordernd.

Er wußte, was nun kam, und das zornige Aufblitzen in den Augen seines Gegenübers warnte ihn zusätzlich. Zorn und Frustration hatten seinen Kreislauf so mit Adrenalin überschwemmt, daß er mit einer Schnelligkeit und Kraft reagierte, an die er normalerweise nicht einmal zu denken wagte. Der Kerl schlug zu, ein vielleicht kraftvoller, aber sehr plumper Hieb, dem Mark mit Leichtigkeit auswich. Gleichzeitig schlug er zurück. Seine Faust traf den anderen am Kinn, und die Wirkung überstieg Marks kühnste Erwartungen: Der Bursche schrie auf, warf die Arme in die Höhe und stürzte rückwärts zu Boden, wobei er zwei oder drei andere mit sich riß. Für einen Moment drohte sich die Bewegung fortzusetzen, und Mark wartete beinahe darauf, daß sämtliche Diskobesucher wie eine ineinandergedrehte Schnecke aus Dominosteinen umfielen. Natürlich geschah das nicht. Trotzdem setzte sich die Bewegung irgendwie fort; für einige Sekunden kamen die Tanzenden aus dem Takt, dann erlosch auch das Flackern der Lichtorgel, und schließlich verstummte sogar die Musik.

Der Betrunkene versuchte ungeschickt wieder auf die Füße zu kommen, aber da einige andere dies gleichzeitig auch probierten, behinderten sie sich nur gegenseitig; Mark hatte Zeit genug, ihm nachzusetzen und in eine entsprechende Position zu kommen. Er war plötzlich ganz ruhig. Der Zorn war noch da, vielleicht sogar schlimmer als zuvor, aber er machte ihn jetzt nicht mehr fahrig oder störte seine Konzentration. Er beobachtete den anderen genau, während er sich aufrappelte. Sein Gesicht wirkte benommen und ziemlich überrascht, aber nicht besonders angeschlagen. Sein Schlag hatte eine spektakuläre, aber leider keineswegs nachhaltige Wirkung erzielt. Wahrscheinlich hatte er den Kerl nur wütend gemacht. Er durfte ihm auf keinen Fall die Gelegenheit geben, seinerseits einen Treffer anzubringen.

Als der Bursche aufstand, empfing ihn Mark mit einem Tritt vor das Knie, der ihn nicht fällte, ihn aber mit schmerzverzerrtem Gesicht zurücktaumeln ließ. Mark setzte ihm nach, boxte ihn zwei-, dreimal mit aller Gewalt in den Leib und zielte mit einem Handkantenschlag nach seiner Kehle, als die erhoffte Wirkung auch diesmal ausblieb.

Sein Arm wurde mit solcher Kraft gepackt und zurückgerissen, daß er vor Schmerz aufschrie und gestürzt wäre, hätte die gleiche Hand, die ihn zurückgerissen hatte, ihn nicht auch festgehalten. Eine Sekunde später wurde sein Arm mit brutaler Kraft auf den Rücken gedreht, eine Hand krallte sich in sein Haar und riß seinen Kopf in den Nacken, und dann traf ihn ein harter Kniestoß in den Rücken und ließ ihn endgültig in die Knie brechen. Ein gleißender Schmerz explodierte in seinen Nieren, und für einen Moment sah er nichts außer bunten Farbblitzen. Sein Kopf wurde so weit in den Nacken gebogen, daß er kaum noch Luft bekam und deshalb auch nicht schreien konnte, und der Gewalt, mit der er festgehalten wurde, hatte er nichts entgegenzusetzen. Trotzdem wehrte er sich noch einen kurzen Moment mit aller Kraft. Seine Wut war noch nicht verraucht. Er fügte sich mit seiner Gegenwehr nur selbst Schmerzen zu, aber das war ihm gleich. Er mußte irgend etwas zerstören - wenn er nichts anderes fand, sich selbst.

Kurz bevor er sich selbst den Arm auskugeln konnte, wurde der Griff ein wenig gelockert, nicht einmal annähernd weit genug, um sich loszureißen, aber immerhin kam er unsicher auf die Füße, auch wenn er weiter mit unerbittlicher Kraft gehalten wurde. Er drehte den Kopf zur Seite, soweit es die Hand zuließ, die sich noch immer in sein Haar krallte, und erkannte, daß er von einem langhaarigen, muskelbepackten Burschen in Lederjacke und Jeans festgehalten wurde. Ein zweiter Rausschmeißer stand nur einen Schritt hinter ihm, aber er hatte die Lage bereits richtig eingeschätzt und erkannt, daß es wohl kaum nötig sein würde, sich zu zweit auf Mark zu stürzen.

»Es ist okay«, sagte Mark mühsam. »Ich bin in... in Ordnung. Ihr könnt mich loslassen.«

Er wurde nicht losgelassen, aber der Druck auf seinen Arm ließ weiter nach; wenigstens trieb der Schmerz ihm jetzt nicht mehr die Tränen in die Augen. Dafür traf ihn ein harter Stoß in den Rücken, der ihn vorwärtstaumeln ließ.

Mark hatte sich immer gefragt, wie eine solche Situation wohl sein mochte; sein größtenteils wohlbehütetes Leben im Internat hatte ihn vor Gewalttätigkeiten jeder Art bewahrt, aber natürlich hatte er sich solche Situationen vorgestellt. Die Wahrheit war ganz anders - nicht annähernd so dramatisch, aber dafür ging es sehr viel schneller. Binnen Sekunden wurde er von beiden Rausschmeißern zum Ausgang gezerrt, während hinter ihnen Musik und Tanz bereits wieder einsetzten, als wäre überhaupt nichts geschehen. Nicht einmal eine Minute, nachdem er den Betrunkenen niedergeschlagen hatte, fand er sich der Länge nach auf dem Bauch vor dem Eingang der Diskothek liegend.