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»In mich?« Mark sah sie fast feindselig an. »Moment mal. Ich wollte dir helfen.«

»Ich weiß«, antwortete Beate. »Aber der Kerl war nur ein harmloser Betrunkener, der sich aufspielen wollte. Es wäre nicht nötig gewesen, wie ein Verrückter auf ihn loszugehen. Mein Gott, für einen Moment dachte ich, du würdest ihn umbringen!«

»Blödsinn!« antwortete Mark.

»Es sah nicht gerade nach Blödsinn aus. Suchst du etwas?«

Mark hatte angefangen, mit den Händen über seine Lederjacke zu tasten. Seine Bewegungen wurden immer fahriger. »Mein Portemonnaie«, antwortete er. »Scheiße. Ich muß es verloren haben, als ich...« Er machte eine Kopfbewegung zum Eingang des HADES. »Dort drinnen.«

»Wahrscheinlich«, sagte Beate. »Aber wenn du einen guten Rat von mir-«

»Nein«, unterbrach sie Mark scharf. »Ich will keinen guten Rat. Weder von dir noch von sonst jemandem. Am allerwenigsten von dir, weißt du.«

Beate wurde blaß, aber Mark begriff den eigentlichen Grund dafür erst, als sie einen halben Schritt vor ihm zurückwich und eine instinktiv abwehrende Haltung einnahm. Plötzlich hatte sie Angst, aber es war eindeutig Angst vor ihm. Das Ding in ihm war noch da. Es hatte sich zurückgezogen und zerrte nicht mehr mit aller Gewalt an seiner Kette, aber es war da, und im Moment nicht so stark, daß sie es sah, in seinem Gesicht, oder in seinen Augen. Was geschah mit ihm?

»Entschuldige«, sagte er.

Beate lächelte verkrampft. »Schon gut. Vergiß es.«

Mark streckte die Hand nach ihr aus und berührte sie am Arm. Sie wich seiner Berührung nicht aus, aber Mark sah deutlich, daß sie es gerne getan hätte, und auch die Angst wich nicht vollständig aus ihrem Blick.

»Nein«, sagte er. »Es ist nicht gut, und ich werde es nicht vergessen. Verdammt, ich... ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich scheine heute ein ganz besonderes Talent dafür zu haben, Leuten weh zu tun, die es gut mit mir meinen.«

Beate antwortete nicht darauf, aber irgend etwas änderte sich in ihrem Blick. Aus der Angst, die er gerade noch darin gelesen hatte, wurde etwas anderes, vielleicht nicht wirklich Mitleid, aber doch etwas, das diesem Gefühl nahekam und das eine Woge heftiger Zärtlichkeit in ihm wachrief. Plötzlich wollte er nichts mehr, als sie an sich zu ziehen und in die Arme zu schließen. Er fühlte sich einsam, so allein gelassen wie niemals zuvor im Leben, und er brauchte einfach die Nähe eines Menschen, dem er vertrauen konnte, selbst wenn es ein beinahe Fremder war wie Beate. Daß er es schließlich doch nicht tat, hatte zwei Gründe: Er sah noch immer eine Spur von Unsicherheit in ihrem Blick, und ganz plötzlich glaubte er wieder die Stimme seines Vaters zu hören: Haben Sie schon mit ihm geschlafen, oder wollten Sie sich das für heute abend aufheben? Er ließ die Arme sinken und trat wieder einen halben Schritt zurück.

»Heute ist anscheinend wirklich nicht mein Tag«, murmelte er.

Beate legte den Kopf schräg und maß ihn mit einem langen und schwer einzuordnenden Blick. »Willst du darüber reden?«

»Nein«, antwortete Mark. »Ja. Nein. Ich... ich weiß es nicht.« Er machte eine unsichere Geste mit beiden Händen. »Wahrscheinlich sollte ich es. Aber ich weiß nicht, ob...«

»Ob ich die Richtige dafür bin?«

»Ob ich es kann«, antwortete Mark kopfschüttelnd. »Es hat nichts mit dir zu tun. Wirklich nicht. Es ist nur ziemlich schwer, mit dem Gedanken fertig zu werden, daß alles, was man zu wissen geglaubt hat, plötzlich falsch gewesen sein soll. Manchmal frage ich mich, ob ich eigentlich weiß, wer ich selbst bin.«

Beate lächelte unsicher. »Also, ich kann dir sagen, wer du im Moment bist. Ein ziemlich verunsicherter junger Mann, der sich alle Mühe gibt, seinen achtzehnten Geburtstag zum schlimmsten Tag seines Lebens zu machen.«

Mark sah auf die Uhr. Sie hatte recht: Es waren noch gute zwei Stunden bis Mitternacht. Noch hatte er Geburtstag. Unvermittelt und sehr leise sagte er: »Es könnte sein, daß ich ein Mörder bin.«

Die Worte waren fast ohne sein eigenes Zutun über seine Lippen gekommen; er erschrak selbst, als er sie hörte. Beates Reaktion fiel allerdings ganz anders aus, als er nach diesem überraschenden Eingeständnis erwartet hätte. Sie sah ihn nur aus großen Augen an, aber sie wirkte weder besonders überrascht oder gar erschrocken, noch begann sie zu lachen. Nachdem sie sicherlich zwanzig Sekunden geschwiegen hatte, sagte sie: »Du hast recht. Wir sollten darüber reden.«

Aber mit einem Male wollte er das gar nicht mehr. Es hatte nichts mit ihr zu tun. Von allen Menschen, die er kannte - Prein vielleicht einmal ausgenommen, aber der war unerreichbar weit fort -, war sie der einzige, dem er sein düsteres Geheimnis hätte anvertrauen können. Aber darüber zu reden hätte auch bedeutet, die Geister der Vergangenheit endgültig zu wecken. Er würde es müssen, wollte er jemals damit fertig werden. Um den Gespenstern ihren Schrecken zu nehmen, mußte er ihnen erst Gesicht und Gestalt verleihen. Aber nicht jetzt. Nicht heute. Es war zuviel für einen einzigen Tag.

»Ich glaube nicht, daß es... der richtige Moment ist«, sagte er stockend.

»Was war es?« fragte Beate. »Ein Unfall?«

»Was?« Mark brauchte eine Sekunde, um Beates Gedankengang zu folgen. Dann schüttelte er übertrieben heftig den Kopf. »Oh nein, so einfach ist es leider nicht.«

»Es hat irgend etwas mit deiner Mutter zu tun«, vermutete Beate. »Laß mich raten: Es ist der gleiche Grund, aus dem sie in der Klinik ist.«

»Gut kombiniert«, sagte Mark. »Aber falsch.«

»Sie hatte einen schweren Nervenzusammenbruch, und du hast die Schule abgebrochen und besuchst seither ein Internat in der tiefsten Provinz«, fuhr Beate fort. »Und das alles innerhalb desselben Monats. Was für ein Zufall.«

»Du bist ziemlich gut informiert«, sagte Mark.

Beates Lächeln wurde ein wenig kühler. »Stimmt«, bestätigte sie. »Vielleicht hat dein Vater ja recht, und ich bin wirklich hinter eurem Geld her. Immerhin - dein Vater dürfte zu den zwanzig vermögendsten Männern dieser Stadt gehören. Natürlich habe ich mich informiert.«

»Entschuldige«, sagte Mark. Er streckte wieder die Hand nach ihr aus, aber diesmal wich sie vor ihm zurück und machte eine heftige, abwehrende Geste.

»Ich hatte den ganzen Tag Zeit, mich zu informieren«, fuhr sie fort. »Es war nicht sehr schwierig. Eure Familie ist ziemlich bekannt. Außerdem sind die Daten deiner Mutter im Computer der Klinik gespeichert.«

»Hör auf!« sagte Mark. »Es tut mir leid. Ich... ich wollte das nicht sagen. Wirklich. Ich...«

»Du bist ganz schön kaputt, weißt du das eigentlich?« fragte Beate.

Mark schwieg. Es hätte natürlich eine Menge zu sagen gegeben, aber mit großer Sicherheit wäre es wieder auf dasselbe hinausgelaufen, womit heute alles zu enden schien, was er begann.

»Es gibt noch eine andere Möglichkeit, weißt du?« fuhr Beate fort. »Ich arbeite zwar noch nicht lange in der Klinik, aber immerhin lange genug. Ich kenne deine Mutter. Und ich mag sie - wie übrigens fast alle bei uns. Sie ist eine sehr liebenswerte Frau.«

»Bitte hör auf«, sagte Mark noch einmal. »Es tut mir leid. Ich habe mich wie ein Idiot benommen.«

»Ja«, antwortete Beate. »Das hast du.« Sie sah ihn noch eine Sekunde lang auf die gleiche undeutbare Art an wie zuvor, dann drehte sie sich herum und begann langsam die Straße hinunterzugehen. Mark zögerte noch einen Moment, ehe er ihr folgte, sie mit zwei, drei raschen Schritten einholte und dann neben ihr herging.

»Du hattest unrecht«, sagte er leise. »Ich bin nicht dabei, diesen Tag zum schlimmsten meines Lebens zu machen. Ich fürchte, er ist es schon.«

»Soll ich ihn noch ein bißchen schlimmer machen?« fragte Beate.