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Es war ein Gefühl, als hätte er gegen massiven Fels geschlagen. Bremer keuchte vor Schmerz, aber aus Haymars neuerlichem Schrei wurde ein gurgelndes Keuchen, dann verdrehte er die Augen und sank bewußtlos zurück. Trotzdem blieb Bremer noch zwei, drei Sekunden über ihn gebeugt stehen. Er traute dem Kerl durchaus zu, daß es nur eine Finte war.

»Saubere Arbeit«, sagte eine Stimme hinter ihm. »Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.«

Bremer richtete sich auf und starrte Sendig fast haßerfüllt an. »Man lernt eben nie aus«, sagte er. »Wo kommen Sie denn her? Waren Sie die ganze Zeit über in der Nähe und haben zugesehen, wie sie mich zusammengeschlagen haben?«

Sendig grinste. Er war halb aus dem Mercedes gestiegen, hatte aber noch einen Fuß im Wagen und eine Hand auf dem Steuer. Die andere hielt eine Pistole, die auf die reglose Gestalt zu Bremers Füßen zielte. »Jetzt übertreiben Sie«, sagte er. »Erstens haben sie Sie nicht zusammengeschlagen, und zweitens: Was hätte ich tun sollen? Mit Posaunenschall und wehenden Fahnen ankommen und eine wüste Schießerei beginnen? Ehrlich - die Zeiten, in denen ich an so etwas Spaß hatte, sind längst vorbei.«

Bremer spießte ihn weiter mit Blicken regelrecht auf, aber sein Zorn begann bereits wieder zu verrauchen. Sendig hatte ja recht - auch wenn Haymar und seine beiden Kollegen so aussahen, als wären sie aus einem amerikanischen Agenten-Krimi entsprungen, gab ihnen das noch lange nicht das Recht, sich auch so zu benehmen.

»Sie hätten mich wenigstens warnen können, daß ich beschattet werde«, sagte er ärgerlich.

»Damit Sie nervös weiden und anfangen, Fehler zu machen?« Sendig schüttelte den Kopf. »Ich habe etwas viel Geschickteres gemacht, mein Lieber - ich habe die Leute beschattet, die Sie beschattet haben. Wie Sie sehen, mit Erfolg. Wo sind die anderen? Wieso sind sie so plötzlich verschwunden?«

Bremer hatte plötzlich das heftige Bedürfnis, sich selbst zu ohrfeigen. So unglaublich es ihm selbst vorkam - er hatte für ein paar Sekunden einfach vergessen, warum er überhaupt hier war. Aber er kam trotzdem nicht mehr dazu, Sendigs Frage zu beantworten, denn in diesem Moment erklang hinter der Straßenbiegung ein gellender, unmenschlicher Schrei, gefolgt von einem Blitz und dem Geräusch von auseinanderberstendem Metall.

28. Kapitel

Die Vision dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, aber in dieser unendlich kurzen Zeitspanne durchlebte er die Hölle, hundertmal schlimmer als in all den anderen Schreckensvisionen zuvor, denn diesmal war es die Wirklichkeit Er hielt sie in den Armen, aber das Mädchen, das er küßte, war kein Mädchen mehr, sondern der Todesengel, das Monster aus seinen Träumen, das endlich Gestalt angenommen hatte und gekommen war, um ihn zu vernichten.

Dann zerplatzte die Illusion, und er begriff, was es wirklich war: nämlich tatsächlich nicht mehr als das - eine Illusion, eine grausame Täuschung, hinter der sich eine Wahrheit verbarg, die vielleicht noch schlimmer war als seine Alpträume. Das grelle Licht in Beates Augen war die Spiegelung eines Scheinwerferpaares, das direkt auf sie gerichtet war und rasend schnell näher kam. Mark wollte herumfahren und Beate zugleich von sich stoßen, aber er konnte sich kaum rühren. Das, was er nur in ihren Augen erkannte, sah Beate direkt auf sich zurasen, und sie war vor Angst wie gelähmt; zugleich umklammerte sie ihn mit solcher Gewalt, daß er all seine Kraft aufwenden mußte, um ihren Griff zu sprengen und sich herumzudrehen. Es war, als wäre er wieder in einem Traum, einem vollkommen anderen diesmal, in dem alles real war, nur daß etwas mit der Zeit nicht stimmte: Der Wagen - großer Gott, es war der blaue BMW, den er am Nachmittag gesehen hatte! Er hatte ihn verfolgt, nicht den Polizisten! - schien mit unvorstellbarer Schnelligkeit auf ihn zuzuschießen, während er selbst und Beate sich plötzlich nur noch wie in Zeitlupe bewegen konnten. Er sah, wie der Wagen in nahezu rechtem Winkel von der Straße abbog und auf Beate und ihn zuraste. Die Vorderräder hüpften mit einer Gewalt über den Bordstein, die eigentlich die Vorderachse hätte zerbrechen lassen müssen, und für einen unendlich kurzen Moment - der zugleich wie eine Ewigkeit war - wußte er einfach, daß die wuchtige Stoß-Stange ihn und Beate erfassen und mit tödlicher Wucht gegen die Wand schmettern würde.

Im allerletzten Moment riß der Fahrer das Steuer herum. Die Stoßstange verfehlte Mark um Zentimeter, während der Wagen mit kreischenden Reifen an ihnen vorbeischlitterte, aber der Wagen setzte die begonnene Schleuderbewegung noch ein Stück weit fort. Sein Heck krachte nur einen halben Meter neben Beate und Mark funkensprühend gegen die Wand. Glas- und Kunststoffsplitter flogen in hohem Bogen davon, und Beates Schrei ging für einen Moment in dem dumpfen Krachen von reißendem Metall unter. Mark riß die Arme in die Höhe und versuchte, sich schützend vor Beate zu stellen, aber er führte auch diese Bewegung nicht zu Ende. Der Wagen kam unmittelbar neben ihnen zum Stehen, und die hintere Tür flog auf und traf ihn wuchtig in die Seite. Mark stolperte ungeschickt gegen Beate, versuchte seinen Sturz irgendwie aufzufangen und riß sie gerade dadurch mit sich.

Sie stürzten nicht wirklich. Beate stolperte gegen die Wand und fing sich daran ab, und Mark landete auf beiden Knien. Sofort sprang er wieder in die Höhe und versuchte sich herumzudrehen. Er sah aus den Augenwinkeln, wie eine Gestalt aus der offenen Wagentür sprang und nach Beate griff, und hörte sie erneut schreien, aber er kam nicht dazu, ihr zu helfen. Da war plötzlich noch ein zweiter Mann, der ihn packte, herumwirbelte und dann mit solcher Gewalt gegen die Wand stieß, daß er um ein Haar das Bewußtsein verloren hätte.

Irgend etwas in ihm zerbrach. Er konnte hören, wie die Ketten rissen und die Bestie erwachte, und zugleich fegte eine Woge lavaheißer Wut jeden Schmerz und jede Angst davon, ebenso wie jede Beherrschung, aber diesmal konnte er sich nicht mehr dagegen wehren - und er wollte es auch nicht Noch immer halb benommen taumelte er auf die Füße und drehte sich herum.

Ein Fausthieb traf ihn unter dem linken Auge. Mark stolperte zurück. Sein Hinterkopf krachte gegen die Wand, und diesmal verlor er das Bewußtsein. Vielleicht auch nicht wirklich. Vielleicht war es auch etwas anderes, keine Ohnmacht, sondern ein einzelner Schritt hinüber über die Grenze und gleich wieder zurück, denn er erwachte wieder, noch ehe die Kraft aus seinen Gliedern wich und er zusammenbrechen konnte. Aber er war nicht mehr allein. Etwas war bei ihm, etwas Finsteres, Körper- und Gestaltloses, aber ungeheuer Mächtiges, das er aus der Dimension der Alpträume mitgebracht hatte. Weder war es, als wäre die Zeit zweigeteilt, aber nun genau umgekehrt: Seine eigenen Gedanken rasten mit Lichtgeschwindigkeit, seine Sinne und Wahrnehmungen arbeiteten mit tausendfacher Schärfe, während alles rings um ihn herum plötzlich nahezu erstarrt schien. Er hörte Beate schreien und sah, wie sie sich ebenso verzweifelt Wie hilflos gegen den Griff des Mannes wehrte, der sie gepackt hatte und zum Wagen zerrte. Er erkannte ihn jetzt - es war der Betrunkene aus dem HADES. Aber er wirkte plötzlich gar nicht mehr betrunken, und das war er auch nie gewesen. Sein Angriff auf Beate und ihn hatte den einzigen Zweck verfolgt sie ins Freie zu locken, damit die Falle zuschnappen konnte, und ebenso, wie er das begriff, wurde ihm auch plötzlich klar, wer diese Männer wirklich waren - sein Vater hatte sie geschickt: irgendwelche billigen Privatdetektive oder bezahlte Schläger, die ihn schon den ganzen Tag über beobachtet hatten. Vermutlich hatte er über jeden seiner Schritte Bescheid gewußt, seit er das Haus verlassen hatte.