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Bremer taumelte. Plötzlich spürte er die furchtbare Hitze, die ihm ins Gesicht schlug und seine Haut und seine Augenbrauen versengte. Der Schmerz, den er gerade vermißt hatte - der körperliche Schmerz -, kam nun im Übermaß. Er schrie, prallte gegen eine Wand und riß instinktiv die Hände vor das Gesicht. Trotzdem sah er jedes noch so brutale Detail des Bildes vor sich, wie es wirklich war, und es war keine Erleichterung, denn auf seine Art war es schlimmer als das, was er nur zu sehen geglaubt hatte.

Die Straße war eine Sackgasse, kaum zwanzig Meter lang, und in gewisser Hinsicht war sie zu einem Teil der Hölle geworden, einer Hölle aus Feuer und ineinandergerammtem Stahl, aus Schreien und verstümmelten Körpern. Einer der beiden BMW sah aus, als wäre er in voller Fahrt gegen die Wand geprallt und daran zerborsten, und wahrscheinlich war er in Flammen aufgegangen, als sich der nachfolgende Wagen in ihn hineingebohrt hatte. Die Flammen bildeten eine zweite, geschlossene Mauer vor der Rückwand der Gasse, und die Hitze war selbst hier noch, zwanzig Meter entfernt, so gewaltig, daß Bremer kaum atmen konnte. Brennendes Benzin bildete Dutzende von kleinen und großen Lachen und war gegen die Wände gespritzt, und an mindestens einer Stelle hatte sich das Feuer bereits durch ein Fenster gefressen und setzten sein Vernichtungswerk im Inneren des Gebäudes fort. Überall lagen glühende Metall- und Kunststoffsplitter.

»Bremer! Der Junge!«

Die Worte erschienen ihm seltsam bedeutungslos. Er hörte und verstand sie, aber sie schienen zu einer Sprache zu gehören, die er irgendwann einmal gelernt und längst wieder vergessen hatte. Mühsam drehte er den Kopf und sah eine Gestalt aus einem blutroten Wagen springen und mit fast grotesken Bewegungen auf ihn zueilen, aber es war mit ihr wie mit dem, was sie ihm zuschrie: Er wußte, wer sie war, konnte mit diesem Wissen aber nichts anfangen. Hinter Sendigs Mercedes kam ein weiterer Wagen mit kreischenden Bremsen zum Stehen, und plötzlich waren da noch mehr Stimmen, Schreie, Lärm. Nichts von alledem hatte irgendeine Bedeutung.

»Der Junge!« schrie Sendig noch einmal. Seine Stimme brach fast. »Holen Sie den Jungen raus! Er verbrennt!«

Es waren diese Worte, die den Bann endgültig brachen. Der Wahnsinn hatte ihn gar nicht ganz losgelassen, sondern sich nur getarnt, aber mit einem Mal begriff er, was wirklich geschehen war - der Schatten, den er gesehen hatte, war so real gewesen wie das Feuer und die Hitze, die seine Lungen versengte. Es war Mark. Er lag nur wenige Meter von ihm entfernt zusammengekrümmt auf dem Boden. Hinter ihm schossen drei Meter hohe, prasselnde Flammen aus einer Benzinlache in die Höhe, und kleinere, blaue Flämmchen bewegten sich in einem spielerisch anmutenden Tanz auf ihn zu. Die Lache erhielt noch immer Nahrung aus dem geborstenen Tank eines der Wagen und breitete sich aus. Noch ein paar Sekunden, und sie mußte die hilflos daliegende Gestalt erreicht haben.

Bremer riß erneut schützend beide Arme vor das Gesicht und lief gebückt los, mitten hinein in die Flammenhölle und das tödliche, gleißende Licht. Er versuchte nicht zu atmen und die Augen so weit zu schließen, wie es nur ging. Trotzdem war die Hitze unvorstellbar. Es war keine glühende Hand, die in sein Gesicht schlug, sondern Thors Hammer, der ihm das Fleisch von den Knochen riß, seine Augen verbrannte und seine Lungen mit kochender Lava füllte. Halb blind vor Hitze und Schmerz erreichte er Mark, fiel neben ihm auf die Knie und grub die Hände in seine Jacke. Selbst seine Kleidung war heiß. Und die Flammen kamen näher. Sie bewegten sich jetzt schneller, um sich die schon sicher geglaubte Beute nicht doch noch im letzten Moment entreißen zu lassen.

Bremer zerrte mit aller Kraft. Flammen griffen nach seinen Händen und begannen ihm das Fleisch von den Knochen zu brennen, und eine glühende Lohe strich über sein Gesicht und verbrühte seine Haut. Der Schmerz war unerträglich, aber Bremer ließ nicht los. Marks regloser Körper schien Tonnen zu wiegen. Bremer zerrte, riß, stemmte sich gegen den Boden und spürte, wie die meisten seiner Fingernägel abbrachen und sich sein eigenes Blut mit dem des Jungen vermischte, während es über seine Jacke lief, aber er ignorierte den neuerlichen Schmerz ebenso wie den immer unerträglicher werdenden Drang, Luft zu holen. Er durfte es nicht. Er würde zusammen mit Mark sterben, wenn er es tat, denn die Luft war jetzt so heiß, daß er im wahrsten Sinne des Wortes Feuer atmen würde.

Er wußte nicht wie, aber irgendwie gelang es ihm, den schlaff daliegenden Körper zu bewegen. Es gab einen sonderbaren, saugenden Laut, als hätte sogar der Boden noch versucht, sich an ihn zu klammern und ihn festzuhalten, aber plötzlich war Mark frei Bremer taumelte rückwärts, einen Schritt, zwei, zerrte Mark mit dem letzten bißchen verbliebener Kraft, das er noch in seinem Körper fand, mit sich, einen weiteren Schritt und noch einen, und plötzlich waren Hände da, die an ihm vorbei nach dem Jungen griffen, und andere, die ihn auffingen, als er zu stürzen drohte.

31. Kapitel

Schließlich hatten sie doch noch einen Unfall gehabt. Es war eine Kleinigkeit, nicht mehr als ein paar Kratzer an Sillmanns schwerem Mercedes und ein eingedrückter Kotflügel an dem Golf, den sie gerammt hatten, und es war wohl eine der kleinen Ironien des Schicksals, daß es nicht einmal Sillmanns Schuld gewesen war; nach einem Dutzend Ampeln und Haltegeboten, die sie überfahren hatten, hatte ihnen schließlich der andere die Vorfahrt genommen. Sillmann hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, auszusteigen - er hatte zurückgesetzt die Scheibe heruntergelassen und dem noch völlig benommenen Fahrer des anderen Wagens einen Tausendmarkschein in die Hand gedrückt, um weiterzubrausen, ehe dieser überhaupt begriff, wie ihm geschah.

»Halten Sie das für klug?« fragte Petri.

»Was?« Sillmann fingerte schon wieder am Autoradio herum und sah zwischendurch unentwegt nervös in den Rückspiegel. »Soll ich anhalten und warten, bis die Polizei kommt?«

»Es war seine Schuld«, sagte Petri. »Ganz eindeutig.«

»Und? Heute ist sein Glückstag. Wenigstens einer.«

»Ja - und mit ein bißchen Pech denkt er jetzt, Sie wären betrunken oder der Wagen gestohlen oder sonst irgend etwas nicht in Ordnung, und ruft erst recht die Polizei.«

Sillmann sah ihn kopfschüttelnd an. »Ihre Sorgen möchte ich haben, Doktor.«

Das glaube ich kaum, dachte Petri. Oder vielleicht doch. Er wußte nicht wirklich, was in Sillmann vorging, aber immerhin kannte er ihn gut genug, um zu wissen, daß er nicht annähernd so hart war, wie er sich gerne gab. Er hatte diese Rolle so lange gespielt, daß er wohl irgendwann einmal begonnen hatte, selbst daran zu glauben. Aber es war nicht die Wahrheit.

»Ich dachte nur daran, daß Sie gerade noch so großen Wert darauf gelegt haben, möglichst schnell anzukommen«, sagte er. »Wenn jeder Streifenwagen in der Stadt unsere Nummer kennt und danach Ausschau hält -«