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»Na gut!«

Sie blieb stehen. »Den Hut, Louise - in der Sekunde, wo du von der Leiter runter bist.«

»Ja.«

Juts stellte die Leiter aufrecht, die einen Moment schwankte, und schob sie dann ans Dach, wo sie mit einem dumpfenPlop landete. »Ich halt sie fest.«

Louise drehte sich um und hielt dabei die Hände auf dem Dach gespreizt. Sie rutschte ein bißchen, hielt sich aber, indem sie die Füße seitwärts stellte, setzte einen Fuß über die Dach­kante und fand die oberste Sprosse der Leiter. Vorsichtig stieg sie hinunter. Unten angekommen, trat sie ins Haus, ohne ihre Schwester eines Wortes zu würdigen. Sie knallte die Küchentür so fest zu, daß die zahlreichen Keramikfigürchen mit den mit rotem Nagellack angemalten Brustwarzen im Wohnzimmer wackelten. Es war Pearlie - ihr Mann Paul -, der das Anmalen besorgte. Louise meinte, er habe eine künstlerische Ader. Julia hatte mit unbewegter Miene erklärt, daß die meisten Männer das starke Verlangen hätten, die Brustwarzen von Statuen an­zumalen. Sie beließ es dabei. Wenn sie mit Chessy vom Haus ihrer Schwester sprach, nannte sie es Palazzo Titti oder P. T.

Juts öffnete die Tür und schloß sie hinter sich, als ihre Schwe­ster wieder ins Zimmer gestampft kam. Louise pfefferte Juts eine große marineblaue Hutschachtel entgegen, auf deren Deckel in eleganten LetternBear's zu lesen war. »Hier, du Gaune­rin.«

Weise überging Juts die Tatsache, daß man sie soeben als Gaunerin betitelt hatte, und nahm die Hutschachtel an dem kreuzweise über den Deckel gebundenen breiten Seidenband an sich. »Komm, ich spendier dir ein Schokoladenfrappe.«

Louise überlegte einen Moment, befand, daß sie sehr durstig war, und murmelte: »Einverstanden.«

Auf dem Weg zum Runnymede Square fragte Juts erneut: »Was ist los mit dir?«

»Nichts ist los. Ich habe zu lange auf dem Dach gehockt. Ich habe sogar erwogen, runterzuspringen.«

»Gut, daß du's nicht getan hast. Du hättest deine Forsythien ruiniert.« Doch Juts glaubte ihr nicht. Sie wußte, daß etwas an ihrer Schwester nagte.

»Und meine Schuhe auch.«

»Hättest dir den Knöchel brechen können.«

»Oder den Hals - ich hätte zu Tode kommen können.«

»Nein.« Juts lächelte. »Nur die Guten sterben jung.«

»Du bist schrecklich.«

»Nein, ich bin Julia.«

»Du bist meine schreckliche Julia.« Louise kicherte, als sie die Tür zu Cadwalders Drugstore aufstieß.

»Ihr habt eure Mutter knapp verpaßt, Mädels«, rief Vaughn, der achtzehnjährige Sohn des Besitzers, hinter der Theke. »Sie ist vor 'ner knappen Viertelstunde mit Miss Chalfonte wegge­gangen.«

»Zu Fuß oder im Packard?«

»Im Packard.« Er hatte ein zusammengelegtes Handtuch über einen Arm drapiert. Vaughn beugte sich über die Marmorplatte der Theke. »Was darf s sein?«

»Ein Zitronensorbet und ein neues Leben.«

Er lachte. »Mrs. Smith, Sie machen mir Freude.«

»Das kann ich nicht gerade behaupten.« Louise warf der Hutschachtel, die sicher unter dem Barhocker verstaut war, einen wehmütigen Blick zu.

»Also gut, Zitronensorbet erst im Sommer, ich weiß. Ich möchte ein großes Schokoladenfrappe und einen heißen Tee dazu.«

»Und ich möchte ein Erdbeerfrappe mit Kaffee dazu.«

»Alles klar.« Vaughn hob die eckigen schwarzen Deckel ab und füllte Eiscreme in dicke geriffelte Gläser. »Ist das nicht ein toller Frühling?«

»Wunderbar«, stimmten beide Frauen zu.

»Kaum vorstellbar, daß Krieg herrscht.«

»Wird nicht lange dauern«, prophezeite Louise leichthin.

»Wie kommst du darauf?« Juts' Magen knurrte.

»Weil England nie einen Krieg verliert, außer gegen uns.«

»Hoffentlich haben Sie Recht.« Vaughn unterbrach sich, während er Kaffee einschenkte, »wir haben den Ersten Welt­krieg nie wirklich zum Abschluß gebracht, wissen Sie?«

Louise blinzelte. Sie wußte gar nichts, und in diesem Moment war ihr nach Erdbeerfrappe und nicht nach jugendlichen Be­trachtungen über jüngste Geschichte.

»Vaughn, wie alt bist du noch mal?«, fragte Louise.

»Achtzehn.«

»Du denkst doch nicht etwa daran, nach Kanada auszubüxen und dich freiwillig zu melden, oder?«

Er errötete so tief, daß seine Sommersprossen unsichtbar wur­den. »Ah, na ja, Mrs. Trumbull.«

»Dacht ich's mir doch.« Louise griff sich ihren Kaffee, bevor Vaughn ihn auf die Theke stellte. »Abwarten. Vielleicht können wir uns ja aus diesem Krieg raushalten.«

»Ja, Ma'am.«

»Was mich an Kriegen so erstaunt: Eine Horde von alten Männern zettelt sie an. Stimmt's?« Juts' kleines Publikum nick­te, so daß sie fortfuhr: »Dann fechten junge Männer sie aus, werden verwundet oder schlimmer, und die alten Ärsche lehnen sich zurück und kassieren die Belohnung. Das macht mich krank. Danke.« Vaughn hatte ihr den Tee über die Theke ge­schoben.

»Wenn du ein Mann wärst, würdest du dich freiwillig mel­den?«, wollte Louise von Juts wissen.

»Klar, um von dir wegzukommen.«

Darauf errötete Vaughn wieder, weil er lachen mußte, Louise aber nicht kränken wollte. Ganz Runnymede kannte ihr Tempe­rament; das von Juts allerdings ebenso.

»Haha«, sagte Louise trocken und machte sich gierig über ihr cremiges Frappe her.

»Was ich dir sagen wollte, Louise - du bist in letzter Zeit nicht du selbst.« Juts lächelte. »Das ist ein großer Fortschritt.«

Vaughn brach in Lachen aus. Louise rammte ihren Löffel ins Frappe, belud ihn mit einem üppigen Klacks Eis mit Erdbeersi­rup und klatschte ihn ihrer Schwester in das verdatterte Gesicht.

Julia vergalt Gleiches mit Gleichem. Vaughn trat unwillkür­lich einen Schritt zurück und flehte: »Meine Damen.«

»Hier gibt es nur eine Dame«, verkündete Louise würdevoll.

»Ja, und die ist vierzig Jahre alt.«

2

Licht schimmerte durch das Limoges-Porzellan. Es war so zart, daß es durchscheinend war. Jedes Stück - Tasse, Untertasse, Teller - hatte einen feinen roten Rand, der wiederum von einem dünnen Goldband eingefaßt war. Beides verschlang sich zu einem C fürChalfonte.

Celeste Chalfonte, eine schöne, eigenwillige Frau Mitte sech­zig, faltete die Leinenserviette auf ihrem Schoß auseinander. Ihr gegenüber tat Ramelle Chalfonte - ihre Geliebte seit neunund­dreißig Jahren und Ehefrau von Celestes Bruder Curtis - das­selbe.

Der Duft von Spiegeleiern, brutzelndem Speck und frischen Biskuits durchzog das Frühstückszimmer an der Ostseite des Hauses.

»Hast du denClarion?« Celeste meinte die Zeitung für den Süden von Runnymede.

»Nein«, antwortete Ramelle.

»DieTrumpet?« Diesmal war die Zeitung des nördlichen Yankee-Runnymede gemeint.

Ramelle schüttelte den Kopf. »Nein.«

Celeste läutete mit einem Silberglöckchen. Cora Hunsenmeir erschien. Sie war Ende fünfzig.

»Euer Hoheit.«

»Der Tag fängt ja gut an, hm?«, bemerkte Celeste. »Wo ist die Zeitung?«

Cora ging wortlos hinaus, kehrte zurück und legte Celeste die zusammengefaltete Zeitung zu ihrer Linken hin.

Als Celeste die Titelseite aufschlug, fiel ihr ein Foto von zwei vertrauten Gesichtern ins Auge. Zwischen Coras beiden Töch­tern stand Harper Wheeler, der Sheriff von Süd-Runnymede.

»Ach, du meine Güte.« Celeste holte Luft, dann zeigte sie Ramelle die Aufnahme. Sie richtete ihre hellen Augen auf Cora. »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«

Cora zuckte die Achseln. »Na ja - du hättest es früh genug er­fahren.« »Sind sie im Gefängnis?«, erkundigte sich Ramelle, als sie die Zeitung von Celeste entgegennahm.