»Peepbean hat Röcke an«, hänselte Nickel ihn.
Die Gemeinde war in Aufruhr, als Louise Nickel am Handgelenk aus der Bankreihe zerrte, sie einen Moment in der Luft baumeln und dann fallen ließ, als Peepbean zum nächsten Schwinger ausholte.
Father O'Reilly schnappte sich Peepbean, Louise schleppte Nickel hinaus.
»Hast du dir das ausgedacht?«
»Nein.«
DasKlick-Klack von Louises hohen Absätzen hallte durch das marmorne Vestibül. Mit beiden Händen stieß sie die Tür auf, die so heftig zurückschwang, daß sie Nickel umwarf. Die rappelte sich hoch, öffnete die Tür und blieb auf der obersten Stufe stehen, von wo aus sie Louise zu ihrem Auto hasten sah. Louise brauste davon und ließ das Kind stehen.
Nickel ging zu Fuß nach Hause. Als sie dort ankam, versuchte Juts gerade auf Händen und Knien die Telefondrähte miteinander zu verbinden. Louise hatte in einem Tobsuchtsanfall die Kabel aus der Wand gerissen. Ihre würde sie auch noch aus der Wand reißen. Einmal, in den zwanziger Jahren, hatte sie im Bon-Ton eine Telefonzelle demoliert. Sie hatten ihre Kundenkarte zurückverlangt.
Louise mußte fünf Jahre gute Führung vorweisen, bis sie von dem Kaufhaus eine neue Karte bekam.
Juts blickte auf, als Nickel ins Haus stapfte.
»Gut gemacht.«
»Peepbean hat sein Handtäschchen nach mir geworfen.«
»Ha!« Julia lachte, nachdem sie vorsichtshalber ihre Chesterfield aus dem Mund genommen hatte. »Wie du hier sehen kannst, hatte deine Tante Wheezie einen schlechten Moment. Davon hat sie mit neunundvierzig vielleicht zu viele gehabt.« Sie lachte wieder, dann streckte sie die Hand nach Nickel aus, die sich zu ihr setzte.
»Da.« Sie bot Nickel einen Zug aus ihrer Zigarette an. »Hast es verdient.«
Nickel nahm die Zigarette in den Mund und inhalierte vorsichtig.
»Nicht zu stark. Okay, jetzt rauslassen.«
»Schmeckt komisch.«
»Ich liebe den Geschmack. Jeden Tag segne ich die Indianer dafür, daß sie dieses Kraut angebaut haben.« Juts lächelte und fummelte wieder an den Drähten. Sie streckte die Hand nach der Zigarette aus, aber Nickel nahm noch einen Zug.
»Momma, wenn ich groß bin, will ich genauso sein wie du. Dann rauche ich Chesterfield.«
Juts' Lachen ging in ein Summen über, als sie überlegte, wie dieser Streich noch zu übertreffen wäre: Mit einer Tortenschlacht in der Sixtinischen Kapelle?
72
Aus der offenen Farbdose, die auf der Abdeckplane stand, tropfte es mintgrün. Lillian Yost, wieder hochschwanger und hochbeglückt, hatte beschlossen, den Flur im oberen Stockwerk mintgrün zu streichen. Millard erfüllte ihr jeden Wunsch, wenn sie schwanger war, teils aus Stolz und teils aus schlechtem Gewissen, weil er sie in der Bäckerei so hart rannahm.
Extra Billy Bitters tauchte einen breiten Pinsel in die Farbe. Eine Zukunftsvision - offene Farbdosen, rosa, blau, grün, weiß, beige, eierschale, rot - erschreckte ihn. Sein Blick trübte sich, er hielt den Pinsel einen Moment zu lang, und ein dicker Tropfen platschte auf seinen Schuh.
»Pop.« Er hatte sich angewöhnt, seinen Schwiegervater so zu nennen.
»Hm.« Pearlie bearbeitete die Holzverkleidung.
»War's das?«
»Hm?« Pearlie sah nicht auf.
Billy rückte der Wand mit raschen, geübten Pinselstrichen zu Leibe. »Ich meine, als du aus Frankreich zurückkamst. was hast du da gemacht?«
»Angefangen, bei Bob Frankel zu arbeiten.«
»Das war alles?«
»Ich war verdammt froh, am Leben zu sein.«
»Tja.« Billy verstummte.
»Weißt du, Billy, manchmal grübelt man zu viel. Manchmal sehe ich die Gesichter meiner Kameraden. komisches Zeug. Da war zum Beispiel so ein magerer Italiener aus Massachusetts, Vito Capeto. Wir haben zusammen frisches französisches Brot gegessen, diese langen Stangen, und er hat französisches Brot mit italienischem Brot verglichen, ich wollte, ich könnte ihn nachahmen. Witziger Junge.« Er hielt inne. »Ich war wohl selbst noch ein Junge.« Er atmete aus. »Zwei Tage später waren wir im Wald bei Belleau, ich bin ausgerutscht, aufs Gesicht gefallen, hatte Schlamm in der Nase, hab keine Luft gekriegt. Die Erde hat gebebt. Ein Meer aus Schlamm hat sich auf mich gewälzt, ich bin drunter vorgekrochen, hab alles gekrallt, was fest war. Wie ich aufstehe, war Vito oben im Baum, hing in den Ästen wie eine Stoffpuppe. Und jetzt streiche ich hier Häuser.«
»Tja.« Billy lächelte den älteren Mann erleichtert an.
»Und weißt du was? Ich weiß immer noch nicht, wofür ich gekämpft habe. Der Krieg zur Beendigung aller Kriege.« Hohn lag in Pearlies Stimme.
»Hast du dich je eingesperrt gefühlt?«
»Da drüben?«
»Hier.«
Es folgte eine lange Pause. »Klar. Nach Marys Geburt hatte ich schwer zu kämpfen. Ich hab das Würmchen geliebt.« Er stand auf und sah seinem Schwiegersohn ins Gesicht. »Aber wenn die Kinder erst mal da sind, kannst du nicht weg. Du hast Oderuss und David. Jungen brauchen einen Vater. Denkst du daran abzuhauen?«
»Nein. Es ist bloß, manchmal hab ich das Gefühl, ich krieg keine Luft. Ich weiß nicht, warum.« Seine Miene hellte sich auf. »Dann will ich in meinen Wagen steigen, die Jungs reinladen und mich besaufen. rausgehen und den Mond anheulen.«
Pearlie gab ein kleines Heulen von sich, und Billy stimmte ein. Das Heulen löste sich in Gelächter auf.
Billy brach abrupt ab und fragte eindringlich: »Was soll ich bloß tun, Pop?«
»Du sollst das Beste draus machen.« Pearlie legte seine Hand auf Billys Schulter. »Man muß aus dem Vorhandenen schöpfen.«
73
Louise ging Juts drei Wochen aus dem Weg - ein Rekord. Sie frönte dem erhebenden Gefühl, ein Opfer zu sein. Sie konnte den Kopf schütteln, die Stimme senken und salbadern, Julia Ellen führe Nickel auf den Pfad der Untugend. Erfüllt von köstlicher Pein, der Mittelpunkt von Mitgefühl und Zuwendung, erzählte sie Orrie Tadja, Juts sei keine gute Mutter, weil sie keine leibliche Mutter sei. Diese Erklärung brandete wie ein Präriefeuer durch Runnymede; einige stimmten Louise zu, andere nicht, doch alle steuerten eine Variante des Themas bei, über die Zukunft des Kindes, Juts' Persönlichkeit und das Leben im Allgemeinen.
Die menschliche Zunge ist wie das Klappern einer Klapperschlange: Ohne wäre der Mensch besser dran.
Mutter Smith genoß diesen Sturm in vollen Zügen. Julia Ellens Ruf wurde ruiniert, doch Josephine wusch ihre Hände in Unschuld. Trudy Epstein war auch nicht gerade betrübt darüber, denn ihre Version der Vergangenheit lautete, daß Chessy sie aufrichtig geliebt habe und nur aus Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen bei seiner Frau geblieben sei. Seit sie mit Senior Epstein verheiratet war, hielt sie klugerweise den Mund, was aber nicht hieß, daß es ihr unrecht war, wenn ihre Freundinnen mit Trudys Version der Geschichte hausieren gingen.
Mary Miles Mundis sagte zur allgemeinen Überraschung: »Wir hatten ein bißchen Aufregung nötig.«
Ramelle erfuhr von dem Gerede durch Ev Most, die Juts sehr mochte, aber nicht diejenige sein wollte, die sie davon unterrichtete. Ramelle erzählte es Cora, die an diesem Tag arbeitete, und Cora schnappte sich ihre Handtasche und marschierte zur Tür hinaus. Ramelle sprang ins Auto, um sie zu Louise zu fahren. Cora verlor selten die Beherrschung, aber sie war so wütend, daß sie nicht klar sehen konnte.
Bei Trumbulls angekommen, stellte Ramelle den Motor ab und wartete.
Louise saß auf der hinteren Veranda, zu ihren Füßen Körbe mit Garn, daneben Doodlebug. Sticken und Leiden waren ihre beiden Hobbys.
Cora warf ihre Handtasche auf die Erde und baute sich vor ihrer Tochter auf, die über den Anblick ihrer Mutter so überrascht war, daß sie die Nadel mit dem königsblauen Faden mitten in der Luft hielt.