Sie fuhren zu Celestes Stall. O. B. hatte Minnie und Monza vor den schönen Schlitten gespannte, er war dunkelblau mit goldenen Zierstreifen. O. B. hatte auch ein Percheronpferd namens Lillian Russell gesattelt, weil Rambunctious und General Pershing für ein kleines Mädchen auf einem langen Ritt zu temperamentvoll waren. Das wußte Nicky natürlich nicht. Sie meinte, sie könnte alles reiten. Lillian war zwar groß, aber fromm.
Juts und Nicky hatten tags zuvor den Stall mit Zweigen und Bändern und mit Gerstengarben dekoriert, an denen sich Pferde besonders freuten. Ramelle, in ihren Zobelmantel gehüllt, hatte bei den Vorbereitungen zugeschaut.
»Ist es nicht herrlich?« Julia strahlte.
»Es ist kalt«, nörgelte Louise.
»Du solltest froh sein. Es heißt, Kälte zieht die Poren zusammen, und wenn man älter wird, vergrößern sich die Poren.«
»Hör auf. Weißt du, was ich von Pearlie zu Weihnachten bekomme?«
»Wenn ich's wüßte, würde ich's dir nicht sagen.«
»Ich würde es dir sagen, wenn ich wüßte, was Chester dir gekauft hat.«
»Aber erst, wenn ich dich bestochen hätte, zum Beispiel, oben das Badezimmer zu tapezieren.«
»Juts, das war vor Jahren. Du wolltest mich nicht vom Dach runterlassen, wenn ich dir nicht meinen Osterhut schenke - also sind wir quitt.«
»Hm, Unterröcke schenkt er dir keine mehr. Du hast genug, um ein Wäschegeschäft aufzumachen.« Sie sah auf ihre Uhr. »Auf die Plätze, fertig, los. Ramelle, im Schlitten ist noch Platz für eine Person.« »Nein. Ich wollte euch bloß verabschieden. Ich höre die Schlittenglocken so gern.«
»Ich auch.« Juts sprang hinauf und nahm die Zügel.
»Wer hat gesagt, daß du fährst?«
»Louise, du kannst Pferde nicht ausstehen.«
»Das ist nicht wahr.« Wheezie sah zu, wie O. B. Nicky auf Lillians breiten Rücken hob. »Nicky, du siehst aus wie eine Vogelscheuche. Hast du nichts Netteres anzuziehen - einen Rock zum Beispiel?«
»Ich hasse Röcke. Magnesiamilch.« Es gab nichts Schlimmeres als Magnesiamilch.
»Männer sehen gerne hübsche Beine«, sagte Juts, die selbst umwerfend schöne hatte.
»Mir egal.«
»Eines Tages wird es dir nicht mehr egal sein«, schalt Louise.
»Dies ist wärmer, Wheezie, und ich hab keine Schneehose mit passendem Oberteil für sie. Außerdem kümmert es sowieso keinen.«
»Mich schon.«
Juts faßte sich mit der Hand an den Kopf, als würde sie gleich ohnmächtig. Louise stieß sie fest in die Rippen.
»Autsch!«
Minnie und Monza, nach Minnie Maddern Fiske und Monza Alverta Algood, zwei berühmten Schauspielerinnen der Jahrhundertwende, benannt, drehten die schönen kastanienbraunen Köpfe so weit nach hinten, daß sie die Insassen des Schlittens sehen konnten.
»Sie sind so weit.« O. B. nickte Nickel zu.
»Ich auch«, sagte sie fröhlich.
O. B. schob das große zweiflügelige Stalltor auf. Juts schnalzte den Pferden zu, und nach kurzem Ruckeln glitten sie in den Schnee hinaus.
Louise trug einen eng anliegenden taubenblauen Mantel mit Schnürverschluß und Astrachankragen, einen Astrachanmuff, hohe Stiefel und dazu passende weiche schwarze Handschuhe.
»Du hast gesagt, du hättest nichts anzuziehen.«
Louise hob die Stimme. »Ach, das hier?«
»Ja, das. Wenn ich gewußt hätte, daß du dich wie ein Filmstar rausputzt, hätte ich mich auch ein bißchen aufgedonnert.«
»Du siehst gut aus.« Louise atmete die frische Luft ein. »Bloß Nicky sieht schluderig aus.«
Juts trug einen roten Pullover, einen roten Rock, schwarze Perlen und weiche Stiefel mit umgeschlagenen Stulpen, darüber einen dunkelgrünen Mantel mit einer Christbaumbrosche am Revers. Es war ein hübscher Aufzug.
»Seht euch vor mit dem Glatteis«, warnte O. B. als er die Laternen auf beiden Seiten des Schlittens anzündete.
»Machen wir.« Juts schnalzte noch einmal, und mit bimmelnden Schlittenglocken fuhren sie los.
Lillian Russell setzte sich in Bewegung, die Luftstöße aus ihren großen Nüstern verdichteten sich zu Wolken.
Die Leute winkten, als sie auf der Baltimore Street aus der Stadt fuhren. Ihr erstes Ziel waren Mrs. Abel und ihr Sohn, ein unverheirateter unangenehmer Sonderling, den Juts Un getauft hatte. Sie hielten vor dem windschiefen Holzhaus, sangen>The First Noel< und gaben Mrs. Abel einen Truthahn. Sie dankte ihnen und machte die Tür gleich wieder zu, weil es kalt wurde im Haus.
Juts schraubte einen Flachmann auf und gönnte sich einen Schluck. Dann bot sie ihn Louise an.
»Nein danke, und du solltest auch nicht trinken.«
»Bloß ein Schlückchen. Vertreibt die Kälte.«
Nachdem sie fünf weitere Truthähne abgeliefert hatten, setzte leichtes Schneetreiben ein. Juts war in einen Seitenweg eingebogen, um auf eine Straße zu stoßen, die in westlicher Richtung zum Haus der Mundis führte. Sie umrundeten Runnymede, und je weiter sie nach Westen kamen, desto steiler stieg der Weg an.
Schließlich erreichten sie die Einfahrt von Mrs. Mundis; ihr neues Haus stand auf einem Hügelkamm. Herrliche Hickorybäume hoben sich wie stumme Wächter vor dem Himmel ab. Harry hatte die Geistesgegenwart besessen, auf einem alten Grundstück mit ausgewachsenen Bäumen und Sträuchern zu bauen. Große Ulmen durchsetzten die Weiden, und mächtige Eichen und Walnußbäume stachen wie schimmerndes Mattsilber vom Schnee ab.
In allen Fenstern des Hauses flackerten goldene Lichter. Mary Miles Mundis brauchte keinen Truthahn. Sie veranstaltete ihre traditionelle Weihnachtsfeier, und die Hunsenmeirs hatten sich geeinigt, daß dies ihre letzte Station sein sollte. Sie waren froh, ins Haus zu kommen, und sei es nur, damit Juts die Wärmflasche wieder mit heißem Wasser füllen konnte.
»Julia, sing nicht mit so viel Tremolo - und hör auf zu trinken.«
Die große blank polierte Tür mit den Messinggriffen flog auf. Mrs. Mundis erschien auf der Schwelle. »Frohe Weihnachten.«
Timmy Kleindienst brachte Minnie und Monza in den Stall. Er und ein Pferdepfleger spannten sie aus und warfen ihnen Decken über. Timmy und O. B. waren die besten Stallburschen in der Gegend.
Drinnen bewunderten Juts, Wheezie und Nicky die duftenden Girlanden, in die Apfelsinen, Äpfel, Trauben, Tannenzapfen, Stechpalmenzweige und silbern besprühte Eichenblätter gewunden waren. Schnüre aus Goldband waren hier und dort eingeflochten, und ein breites kariertes Band schlängelte sich von einem Ende der Girlanden zum anderen.
Den riesigen Baum in reinem Weiß zierten glänzende rote Kugeln. Grüne Samtbänder waren an die Spitzen der Zweige gebunden, goldene Girlanden umschlangen den Baum, und ein Stern von Bethlehem bildete den krönenden Abschluß.
Nachdem Louise sich voll gestopft und über jede Kalorie gestöhnt hatte, setzte sie sich an den Steinway-Flügel. Sie spielte >God Rest Ye Merry, Gentlemen<, >Adeste Fideles<, >We Three Kings< und>It Came upon a Midnight Clear<.
Juts sprach dem Eierflip reichlich zu und erklärte, das sei der Beste, den sie in ihrem ganzen Leben gekostet habe. Darauf folgten Witze über das Alter, dann wandte sich das Gespräch dem Prozeß zu, den eine Versicherungsgesellschaft gegen die Familie Rife anstrengte, weil sie die Fleischverpackungsfabrik in Brand gesteckt hatte, um die Versicherungssumme zu kassieren. Die Untersuchungen der Versicherung waren im Schneckentempo vorangegangen, doch am Ende hatte sie genug Beweise gesammelt, um zuschlagen zu können.
Der Schnee war dichter geworden. Juts sah aus dem Fenster, Louise trat zu ihr. »Ich fühl mich so wohl hier, ich will gar nicht wieder weg.«
»Wir sollten besser gehen.« Auch Juts wollte nicht.
Harry sagte im Stall Bescheid. Tim Kleindienst sagte, er werde die Pferde in fünfzehn Minuten fertig haben und sie direkt vors Haus bringen.