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Sie ging über den Flur bis zum Badezimmer.

Der Fliesenboden war mit zerrissenem Packpapier, Paketschnüren und geöffneten Schachteln übersät.

Irene lag in der Wanne, mit aufgeschlitzten Handgelenken.

Trish starrte auf ihre Freundin. Irene lag offensichtlich schon einige Zeit dort. Die Haut ihres Körpers war weiß, faltig und vom Wasser aufgequollen, ihre leeren Augen wie vom grauen Star weiß eingetrübt. Um sie herum trieben Körperteile ihres Mannes. Arme. Beine. Hände. Der Kopf. Die Teile waren weiß und blutleer und dümpelten dicht an dicht im Wasser.

Trish wollte wegsehen, aber sie konnte es nicht. Ihr Blick war starr auf die Badewanne gerichtet.

Ihr war nicht bewusst, dass sie schrie, bis ihre Kehle schmerzte.

42.

Doug bereitete das Mittagessen vor. Während er Senf auf die Hotdogs strich, blickte er durch das Fenster auf Trish. Sie arbeitete in ihrem Garten und versuchte wieder einmal, dort so etwas wie Ordnung zu schaffen. Doug machte sich große Sorgen um sie. Nach dem ersten Schock, als sie Irene gefunden hatte, war sie schnell wieder zur Normalität zurückgekehrt. Nur zwei Tage nach dem Auffinden des Leichnams war sie wie immer. Sie war nicht verstört, nicht verängstigt, nicht in sich gekehrt.

Da stimmte etwas nicht. Das war nicht normal. Doug selbst hatte Hobies Tod noch nicht ganz verdaut, und dabei hatte er nicht einmal die Leiche seines Freundes gesehen. Trish hatte Irene in der Badewanne gefunden, mit aufgeschnittenen Pulsadern, umgeben von Leichenteilen, und doch verhielt sie sich, als wäre nichts Ungewöhnliches vorgefallen. Doug hatte nicht mit ihr darüber gesprochen, hatte das Thema Irene gar nicht erst angeschnitten, aus Angst, Trish unnötig aufzuregen. Er hatte angenommen, sie selbst würde darüber reden, sobald sie dazu bereit war. Aber bis jetzt hatte sie das nicht getan, was überhaupt nicht ihrem Charakter entsprach.

Doug beobachtete durchs Fenster, wie sie Unkraut jätete, und fragte sich, ob sie nicht eines Tages wohl unerwartet durchdrehen und all die aufgestauten Gefühle in ihr explodieren würden.

Wie üblich war der Postbote völlig ungeschoren davongekommen. Die Polizei hatte ihn verhört, aber er hatte ihnen wieder den alten, dummen Spruch »Der Postal Service ist für den Inhalt der Sendungen nicht verantwortlich« aufgetischt, und wie üblich konnte man nicht das Geringste dagegen tun. Nichts, absolut nichts brachte den Postboten eindeutig mit dem Inhalt der Pakete in Verbindung, die Irene geschickt worden waren. Jedenfalls nichts, was sich beweisen ließe.

Der Postbote versprach, eine gründliche Untersuchung durch den Postal Service zu veranlassen, um zu ermitteln, woher die Päckchen mit den Leichenteilen stammten.

Eine gründliche Untersuchung durch den Postal Service ...

Einen Dreck!

Die Würstchen waren fertig. Doug bat Billy, seine Mutter zu holen. Es war Zeit fürs Mittagessen.

»Kleinen Moment noch«, sagte Billy. »Gleich kommt Werbung.«

»Du hast die Sendung schon tausendmal gesehen. Geh schon und hol deine Mutter. Jetzt sofort.«

»Ja, gleich.«

Doug seufzte und schüttelte den Kopf. Er öffnete das Fenster und ließ einen Schwall warmer Sommerluft herein. »Essen ist fertig«, rief er.

Trish blickte auf, blinzelte in die Sonne und winkte. »Komme gleich.«

Doug beobachtete, wie sie den Pflanzenheber hinlegte, sich Hände und Knie abklopfte und zur Veranda ging. Sie hätten von hier verschwinden sollen, überlegte Doug. Sie hätten Willis schon verlassen sollen, als alles angefangen hatte. Jetzt war es zu spät. Sie saßen fest. Die Tankstellen am Ort hatten kein Benzin mehr, und neue Lieferungen waren nicht vorgesehen, weil keine der Tankstellen, nicht einmal die der großen Marken, ihre Rechnungen bezahlt hatten.

Die Schecks waren in der Post verloren gegangen.

Doug schaltete den Herd aus, fischte mit einer Gabel die Würstchen aus dem Wasser und legte sie in die aufgeklappten Brötchen. Er wusste, dass der Benzinmangel nur vorübergehend sein würde, doch während der nächsten drei oder vier Tage konnte niemand Willis verlassen, es sei denn, man hatte noch einen vollen Tank. Der Tank des Broncos war nur noch halb voll.

Doug konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass die Lage sich zuspitzte und der Postbote nicht mehr als drei oder vier Tage brauchen würde, um zu vollenden, was immer er sich vorgenommen hatte.

Trish kam herein. Sie schwitzte und wischte sich die Stirn ab. »Puh, ist das heiß draußen. Ich hoffe, wir kriegen heute Nachmittag ein bisschen Regen, damit es sich abkühlt. Hat heute schon einer von euch den Wetterbericht gehört?«

Doug schüttelte den Kopf. Billy, der sich die Dick Van Dyke Show anschaute, hatte nicht einmal die Frage gehört.

Trish wusch sich im Badezimmer Gesicht und Hände. Dankbar nahm sie den Teller mit den Hotdogs, auch wenn sich ihr Gesicht eine Sekunde lang verdüsterte, als Doug ihr ein Glas Eistee reichte. Sie ging mit dem Essen auf die Veranda. Doug nahm ebenfalls seinen Teller und folgte ihr nach draußen. Sie setzten sich nebeneinander an den Tisch.

Trish biss in ihren Hotdog. »Was hast du heute Nachmittag vor?«, fragte sie.

»Was ich vorhabe? Ich habe nichts ...«

»Gut. Ich möchte, dass du den Manzanitastrauch neben dem Haus ausgräbst. Ich möchte meinen Garten vergrößern.«

»Hör mal ...«

»Haben Sie etwas Wichtigeres zu tun, Herr Lehrer?«

Er schaute Trish an, und die Besorgnis musste in seinen Augen zu sehen gewesen sein, denn sie blickte zur Seite. »Nein«, sagte Doug, »ich habe nichts anderes zu tun. Ich helfe dir im Garten.«

»Danke.« Sie biss noch einmal in den Hotdog.

Das Telefon klingelte. Doug schob den Stuhl zurück und stand auf. »Ich gehe schon«, sagte er, eilte ins Haus und nahm den Hörer ab. »Hallo?«

Eine Frauenstimme rief: »Hilfe! Um Himmels willen, helfen Sie mir! O Gott! Ich bin hier ganz allein!«

Doug überlief eine Gänsehaut. »Wer ist denn da?«

»Trish? Helfen Sie mir!«

»Hier ist nicht Trish, hier ist ...«

»O Gott, ich höre ihn schon!«

»Was ist denn los? Ich ...«

»Trish!«, kreischte die Frau.

»Trish!«, brüllte Doug. »Komm her, schnell!«

Sie stürzte ins Haus und riss Doug den Hörer aus der Hand. »Hallo?«

»Er ist wieder da!«

Trish erkannte die Stimme. Ellen Ronda. Sie hatte nicht mehr angerufen, seitdem Trish allein in dem Haus gewesen war. Nun war die Hysterie in ihre Stimme gekrochen, hatte sie völlig verändert, sodass Ellen vollkommen fremd klang. Die Frau am anderen Ende der Leitung war wahnsinnig geworden - eine bibbernde Verrückte, eine stammelnde Idiotin.

»Was ist?«, fragte Trish aufgeregt.

»Er verfolgt mich!«, schrie Ellen. »Mit einem Baseballschläger!«

»Beruhigen Sie sich«, sagte Trish. »Bleiben Sie ...«

Dann hörte sie das Klirren von zersplitterndem Glas.

Dann das dumpfe Geräusch eines Baseballschlägers, der gegen eine Wand hämmerte.

»Kommen Sie! Bitte!«, kreischte Ellen. »Bringen Sie die Polizei mit. Er ...«

Es knackte laut, und die Leitung war tot.

Trish ließ den Hörer fallen und ergriff Dougs Hand. »Komm schnell!«

»Was ist denn?«

»Ellen wird überfallen! In diesem Augenblick!«

»Lass uns die ...«

»Dafür ist keine Zeit!« Trish riss die Tür auf. »Du bleibst hier«, rief sie Billy zu. »Schließ die Türen ab! Bleib im Haus!« Sie zerrte Doug über die Veranda zum Wagen. »Nun fahr schon!«

Doug fuhr so schnell er konnte, aber das Haus der Rondas war auf der anderen Seite der Stadt, und es gab keine Abkürzung. Der Bronco raste durch den Bach, dass das Wasser hoch aufspritzte, und rumpelte durch die ausgefahrene Spur. Als sie durch die Stadt rasten, weit über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, schien die Straße verlassen zu sein. Als sie am Postamt vorbeikamen, warf Doug einen raschen Blick hinüber. Der Parkplatz war leer. Selbst der Wagen des Postboten war verschwunden.