Doug ging über den weißen Boden zum ersten Baum und berührte ihn.
Auch die Umhüllung des Baumes fiel in einem Regen aus Briefen zusammen.
Im Haus klingelte das Telefon; das Geräusch war in der Stille des Morgens laut zu hören. Doug wusste, dass wahrscheinlich Trish anrief, doch er bewegte sich zwischen den Bäumen und Sträuchern hindurch immer weiter weg vom Haus, wobei er wahre Brieflawinen auslöste. Er musste sehen, wie weit die weiße Landschaft sich ausdehnte.
Doug war nicht überrascht, als er feststellte, dass die weiße Decke genau an seiner Grundstücksgrenze endete. Rasch lief er zum Haus zurück. Er verspürte ein perverses Vergnügen, während die Umschläge unter seinen Füßen raschelten und knisterten. Das Telefon klingelte immer noch. Doug eilte ins Schlafzimmer und nahm den Hörer ab, während er sich aufs Bett fallen ließ.
»Hallo?«
»Briefe ... Briefe ...«, sang der Postbote in einer grottenschlechten Parodie auf einen Las-Vegas-Nightclubsänger. »Wir haben Briefeee ...«
Doug, dessen Hand plötzlich schwitzte, legte so plötzlich auf, als hätte er sich die Finger verbrannt. Sein Herz schlug heftig, und nicht nur von der Anstrengung des Laufens. Einen Augenblick blieb er so liegen, atmete keuchend und dachte nach. Dann nahm er den Hörer wieder ab, um Mike anzurufen.
»Briefeee«, sang der Postbote in den Hörer.
Wieder legte Doug hastig auf. Der Postbote blieb in der Leitung, hielt sie offen und ließ ihn weder Anrufe tätigen noch annehmen.
Wie du willst, dachte Doug und presste entschlossen die Lippen aufeinander. Wenn der Postbote es auf die harte Tour haben wollte, konnte er es haben.
Doug zog das Telefonkabel heraus. Zuerst würde er zu Billy und Trish ins Krankenhaus fahren. Dann zur Polizeiwache. Dann würde er im Haushaltswarengeschäft ein paar zusätzliche Mülleimer kaufen.
Dann würde er hierher zurückkehren, den Garten harken und all diese verdammten Briefe wegwerfen.
Trish sagte, sie würde in der kommenden Nacht zu Hause bleiben und ihm Gesellschaft leisten, wenn Doug es wünschte. Billy ging es besser, berichtete sie, und er wollte nicht, dass seine Eltern jede Sekunde des Tages bei ihm wachten, als wäre er noch ein Baby. Aber Doug bestand darauf, dass Trish bei ihrem Sohn blieb, weil es für den Jungen wichtig sei. Er selbst musste mit Mike eine Strategiesitzung leiten; es gab einiges zu diskutieren und zu planen.
Also blieb Trish im Krankenhaus.
Das war eine kluge Entscheidung, denn am nächsten Tag war das Grundstück wieder von Post bedeckt, wenn auch die rein weißen Umschläge des vorigen Morgens durch eine merkwürdige Mischung von seltsam geformten Paketen, schlampig eingewickelten Päckchen und schmuddeligen Bündeln frankierter Briefe ersetzt worden waren. Wie zuvor war jeder Quadratzentimeter des Grundstücks bedeckt. Irgendwie hatte der Postbote es hinbekommen, die Stücke dieses Sammelsuriums wie die Teile eines riesigen Puzzles lückenlos zusammenzusetzen.
Doug öffnete die Tür und trat hinaus. Der Geruch traf ihn wie ein Keulenschlag - ein ranziger, übler Gestank nach Verwesung und Zerfall. Durch die aufgerissene Ecke eines der Päckchen in seiner Nähe sah er ein Bündel verschimmelter Trauben. Das Päckchen war an Trish adressiert, offensichtlich eine der Lieferungen von ihrem Fruit-of-the-Month Club. Daneben war ein unregelmäßig geformtes, seltsam eingewickeltes, von Briefmarken übersätes Objekt, das nur eine Katze sein konnte. Durch das braune Packpapier war Blut gesickert. Auch dieses Paket war an Trish adressiert.
Doug ging über das Grundstück, und eine furchtbare Angst stieg in ihm auf. Offensichtlich klappte sein Plan nicht. Die ganze Stadt sollte die Post völlig ignorieren, sollte nichts schicken und nichts in Empfang nehmen, und Mike zufolge hielten sich alle daran. Und doch hatte der Postbote Kraft genug, Hunderte Päckchen voller Perversitäten zu produzieren oder zu sammeln und sie binnen einer einzigen Nacht auf Dougs Grundstück zu schaffen und zu einem Mosaik des Grauens zusammenzufügen. Wie konnte er auch nur darauf hoffen, eine Kreatur bekämpfen zu können, die so etwas Gewaltiges zustande brachte?
Aber vielleicht war genau das der Punkt.
Vielleicht wollte der Postbote, dass sie genau das dachten. Vielleicht hatte er Angst, saß in der Klemme und holte nun seine stärksten Geschütze hervor, um die Einwohner von Willis zu demoralisieren und zur Aufgabe zu treiben.
Oder lag es daran, fragte sich Doug, dass er die Briefe vom Vortag beseitigt hatte? War es möglich, dass jegliche Beschäftigung mit Post, sogar ihre Beseitigung, den Postboten mit Energie versorgte?
Doug eilte ins Haus zurück, zog sich an und fuhr in die Stadt, um mit Mike zu sprechen. Er bat den Polizisten, seine Leute anzuweisen, jedermann zu sagen, die Post auf gar keinen Fall anzurühren, was immer auch geschah. Die Leute sollten die Post nicht verbrennen, nicht wegwerfen, gar nichts damit machen. Sie sollten zulassen, dass die Post sich anhäufte, sie aber auf keinen Fall anfassen.
Auch Doug rührte die Pakete in seinem Garten nicht an und verbrachte die Nacht bei Billy und Trish im Krankenhaus. Als er am folgenden Nachmittag nach Hause kam, war der Garten gesäubert. Sämtliche Päckchen waren verschwunden.
Doug lächelte. Das war ein taktischer Fehler des Postboten gewesen, da war er sicher. Denn der Gestank und die Seuchengefahr durch die verwesenden Früchte, Tiere und was sonst noch in den Päckchen gewesen war, hätten Doug letztendlich gezwungen, den Garten zu säubern und dadurch dem Postboten Energie zu verschaffen. Stattdessen war der Postbote seinerseits gezwungen gewesen, Kraft darauf zu verwenden, die Päckchen zu beseitigen.
Die Anzeichen waren unmerklich, aber sie waren da.
Der Postbote bekam Angst.
Er wurde schlampig.
Es ging abwärts mit ihm.
Sie mussten ihn nur weiterhin auflaufen lassen.
50.
Die Tage waren lang. Die Nächte waren länger.
Telefon, Gas, Wasser und Strom waren seit dem Tag unterbrochen, nachdem die Päckchen verschwunden waren, und sowohl Doug als auch Trish begannen zu riechen, weil sie nicht baden konnten. Zu essen gab es Sandwiches und Gegrilltes, und sie tranken warmes Bier und warme Cola. Während der endlosen Tage warteten sie auf der Veranda und versuchten zu lesen, ohne wirklich etwas aufzunehmen, oder sie gingen ins Krankenhaus, um bei Billy zu sitzen. Das Hospital besaß seine eigenen, unabhängigen Stromgeneratoren, und wenn es Doug und Trish wegen der neuerlichen Überfüllung auch nicht erlaubt war, das rationierte Wasser zu verwenden oder die Nacht in der gekühlten Luft der Klimaanlage zu verbringen, so hatten sie wenigstens die befriedigende Gewissheit, dass man sich um Billy kümmerte.
Der Psychiater, der von Phoenix gekommen war, sagte ihnen nach einer Sitzung mit Billy, die den ganzen Nachmittag gedauert hatte, dass ihr Sohn ein gesunder und ausgeglichener Junge sei und mit der richtigen Unterstützung in der Lage sein sollte, sich von den Schrecken zu erholen.
Nachts wurde Dougs unruhiger Schlaf von Träumen gestört. Träume, in denen Willis eine Geisterstadt war und sämtliche Gebäude aus Postsendungen bestanden. Träume, in denen Trish nackt und verführerisch auf dem Bett lag, von Kopf bis Fuß mit abgestempelten Briefmarken bedeckt. Träume, in denen Billy eine Uniform des Postal Service trug und den Postboten grinsend auf dessen höllischen Runden begleitete.
Das Benzin im Bronco ging zur Neige, aber Doug konnte nicht anders, als in die Stadt zu fahren und sich bei der Polizei nach der Lage zu erkundigen. Der Postbote kam jede Nacht und stellte die Post zu, die er nun im Briefkasten deponierte. Doug fürchtete immer wieder, dass jemand in der Stadt nachgab, einen Brief annahm oder, schlimmer noch, abschickte. Doch Mike und Tegarden sagten jedes Mal, dass der Widerstand gegen den Postboten ungebrochen sei, soweit sie es sagen konnten.