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Der sechste Tag verging.

Die Klimaanlage im Krankenhaus war abgestellt worden, um Treibstoff für die Generatoren zu sparen, aber die Fenster waren geöffnet, und eine leichte Brise kühlte Billys Zimmer. Doug und Billy spielten Monopoly, während Trish zuschaute; dann spielten Trish und Billy Parcheesi, während Doug zuschaute.

Wie dünn doch die Fassade der Zivilisation war, dachte Doug. Wie wenig es braucht, um sie alle wieder in die Höhlen zurückzutreiben. Es waren nicht nur die Gesetze, die die Menschen von den Tieren unterschieden. Es war nicht die Vernunft. Es war auch nicht die Kultur oder die Regierung. Es war die Kommunikation, die ihnen die Annehmlichkeiten des modernen Lebens sicherte. Ein Zusammenbruch der Kommunikation im Zeitalter der Globalisierung, wo fast alles von der zuverlässigen Übertragung korrekter Informationen abhing, machte die Menschen hilflos und verloren, was zur Aufgabe normaler Verhaltensregeln führte und den Weg ins Chaos ebnete.

Wie weit entfernt der Alltag zu sein schien. Der Beruf, die Schule. Wie idyllisch und unschuldig das alles nun wirkte. Doug versuchte sich zu erinnern, wann wieder Schulanfang war, doch er wusste es nicht. Er wusste nicht einmal mehr das Datum.

Während er zum Polizeirevier ging, um zu sehen, was vor sich ging, blieb Trish im Krankenhaus. Auf dem Weg kam Doug am Circle-K-Einkaufszentrum vorbei. Er fuhr langsamer, als er den Postboten sah, der den blauen Postkasten vor dem Kiosk öffnete. Der Kasten war völlig leer, und wütend schlug der Postbote die Metallklappe zu. Doug schauderte, so hager, beinahe skeletthaft sah der Postbote aus. Seine blasse Haut war ausgebleicht wie weiße Knochen, und sein ehemals feuerrotes Haar war stumpf.

In Doug keimte Hoffnung auf. Sein Plan schien aufzugehen. Offenbar hatte er recht gehabt: Smith mochte in der Lage sein, Post zu ersetzen und zu erzeugen, aber dazu brauchte er Nachschub an neuer Post. Doug lächelte in sich hinein.

Plötzlich drehte Smith sich zu ihm um und grinste. Er sah ihm direkt in die Augen, als wüsste er genau, dass Doug ihn beobachtet hatte. Die perfekten Zähne in dem weißen Gesicht, das wie die Fratze eines Totenschädels aussah, leuchteten Furcht erregend. Ein zum Leben erwachtes Monster aus einem Comic-Heft. Der Postbote griff in seine Tasche und zog eine Hand voll Briefumschläge heraus, fächerte sie auf wie ein Kartenspiel, bot sie Doug an.

Doug trat aufs Gaspedal und fuhr am Circle K vorbei, ohne den Postboten anzusehen, während ihm das Herz bis zum Hals schlug.

Seine Furcht überlebte die Fahrt bis zum Polizeirevier nicht. Zum ersten Mal hatte er gute Neuigkeiten zu berichten, und als er erzählte, was er gesehen hatte, brachen die Polizisten in Jubel aus.

»Keine Post«, sagte Mike und grinste. »Keine Post! Keine Post!«

Die andere fielen in den Sprechgesang ein.

»Keine Post! Keine Post! Keine Post!«

51.

Tril Allison stand mit seinen Söhnen vor dem Wohnzimmerfenster und beobachtete, wie der rote Wagen des Postboten vor ihrer Einfahrt abbremste. Annie, die nicht hinschauen wollte, weil sie Angst hatte, blieb in der Küche.

Der Wagen kam zum Stehen, und der Postbote stieg aus. Er sah außergewöhnlich dünn aus, fast ausgezehrt, und selbst aus der Entfernung konnte Tril die knochigen Hände sehen, die aus den Ärmeln der Uniform ragten, und das hagere, ausgemergelte Gesicht. Trils Hände umklammerten die Fensterbank. Er hatte Angst und war zugleich in Hochstimmung; er fürchtete sich und war zugleich freudig erregt. Es funktionierte! Der Englischlehrer hatte recht gehabt. Wenn er keine Post zustellen konnte, verlor John Smith seine Kraft. Er starb.

Durch das Fenster traf Trils Blick sich mit dem des Postboten, und zum ersten Mal seit langer Zeit blickte Tril nicht weg.

Der Postbote bewegte sich zum hölzernen Briefkasten und öffnete die Klappe. Umschläge quollen heraus, weiße und gelbbraune, dünne und gepolsterte, große und kleine: die unberührte Post, die in den vergangenen Tagen zugestellt worden war. Der Postbote blickte wieder zum Haus. Tril sah unbändige Wut auf dem weißen, ausgemergelten Gesicht, einen Ausdruck von Schmerz und Hass, so rau und ungehemmt, dass beide Jungen vom Fenster zurückwichen.

Doch Tril hielt dem Blick stand.

Er beobachtete, wie der Postbote wütend die Umschläge vom Boden aufhob und sie in den Kasten zurückschob. Er sah hin, als der Mann noch mehr Post vom Wagen holte und sie ebenfalls hineinschob. Er schaute zu, als er die Klappe des Briefkastens schloss.

Der Postbote ging zur Fahrertür des Wagens. Er warf einen wütenden Blick zum Haus und sagte etwas, was Tril nicht verstehen konnte, ehe er einstieg und in einer Staubwolke davonfuhr.

Tril wartete eine Weile, um sicherzugehen, dass der Postbote nicht zurückkehrte. Dann sah er Annie an, dann seine Söhne. Schließlich nahm er Hammer und Nägel und ging nach draußen, um den Briefkasten zuzunageln.

Hunt James fuhr in eine der sechs Parklücken vor dem Gebäude, das er sich mit Dr. Elliott teilte. Er war gekommen, um den Postschlitz in seiner Bürotür mit Klebeband zu verschließen, damit der Postbote nicht in der Lage war, irgendetwas an seine Geschäftsadresse zuzustellen. Er lief über den ausgeblichenen, rissigen Asphalt und betrat den kurzen Fußweg. Im Fenster des Zahnarztes sah er neben dem vertrauten Schild »Heute keine Kontrolluntersuchungen« ein weißes, rechteckiges Stück Pappe, auf dem in hastig hingekritzelten Buchstaben »ABSOLUT KEINE POST!« geschrieben stand.

Gute Idee, dachte Hunt. Er schloss die Tür zu seinem Büro auf und schaltete das Licht ein. Mit entschlossenem Schritt lief er über den Teppichboden zu seinem Schreibtisch. Er nahm einen breiten schwarzen Filzstift und ein Blatt Schreibpapier sowie eine Rolle Klebestreifen. Lächelnd begann er zu schreiben.

Der Postbote fuhr dreimal am Haus vorbei, ehe er anhielt. David Adams grinste in sich hinein, als er sah, dass der rote Wagen vor dem Haus bremste. Er hatte den Briefkasten ausgegraben, das Loch aufgefüllt und den Kasten ganz hinten im Hof abgeladen. Später, nach dem Frühstück, würde er den Pfosten zu Feuerholz zersägen und den Briefkasten selbst in Stücke schlagen. Der Postbote stieg aus dem Wagen, und mit den Briefen in der Hand ging er über die Auffahrt direkt auf die Vordertür zu.

Rasch schloss David die Gittertür und verriegelte die eigentliche Haustür. Immer noch grinsend zog er die Vorhänge zu. Der Postbote musste allmählich verzweifeln. Er sah miserabel aus, und er stellte die Post sogar am Tag zu. Bald hatten sie den Bastard in die Enge getrieben!

John Smith klopfte an die Tür. »Mister Adams!«

David sagte nichts, rührte sich nicht.

Erneutes Klopfen. »Mister Adams!«

David antwortete nicht.

»Ich weiß, dass Sie da drinnen sind«, sagte der Postbote. Er klopfte wieder, lauter jetzt, kräftiger. »Mister Adams? Es tut mir leid, Sie darüber informieren zu müssen, dass Sie gegen ein Bundesgesetz verstoßen. Da Sie keinen Briefkasten haben, sind Sie verpflichtet, entweder ein Postfach an Ihrem Wohnort oder einen Briefschlitz an Ihrer Tür zu haben, damit die Post ordnungsgemäß zugestellt werden kann. Wenn nicht, beeinträchtigen Sie den Betriebsablauf des US Postal Service und können gerichtlich verfolgt werden.«

David lächelte. Es lag ein harter Unterton in der Stimme des Postboten und mehr als nur eine Andeutung von Verzweiflung.

»Ich weiß, dass Sie da drinnen sind«, wiederholte der Postbote. Seine Stimme bekam nun einen verführerischen, gerissenen Beiklang. »Ich habe hier Sendungen, von denen ich weiß, dass Sie sie gerne sehen würden. Darlas letzten Brief. Ein Brief von ihrem Geliebten. Das ist heute gute Post, Mister Adams. Gute Post.«

David sagte nichts, obwohl er den Hundesohn am liebsten angeschrien hätte. Er blieb regungslos stehen. Dann hörte er, wie der Postbote die Briefe wütend auf die Türschwelle warf und davonstapfte. Einen Augenblick war das Starten des Automotors zu vernehmen, gefolgt vom Abrollgeräusch der Reifen, das leiser wurde, als der Wagen davonfuhr. David zog die Vorhänge auf, öffnete die Tür, atmete tief durch und fühlte sich gut.