Auch der Kaiser war auf gespenstische Weise anwesend, durch eine direkte Konferenzschaltung aus der Kaiserlichen Residenz. In dem Holovid wurde Ezar im Sitzen gezeigt, in voller Uniform. Cordelia wollte sich nicht ausmalen, welche physischen Strapazen dies für ihn bedeutete, die Schläuche und Monitorkabel, die an seinem Körper hingen, wurden wenigstens vor der Vidapparatur verborgen. Sein Gesicht war weiß wie Papier, seine Haut fast durchscheinend, als ob er buchstäblich von der Bühne schwinden würde, die er so lang beherrscht hatte.
Die Galerie war überfüllt mit Ehefrauen, Stabspersonal und Wachen. Die Frauen waren elegant gekleidet und mit Juwelen geschmückt, und Cordelia musterte sie interessiert, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder darauf, einige Informationen aus Vorpatril herauszuholen.
»Hat dich Arals Ernennung zum Regenten überrascht?«, fragte sie.
»Nicht wirklich. Ein paar Leute nahmen diese Geschichte von Rücktritt und Rückzug ins Privatleben nach dem Schlamassel von Escobar ernst, aber ich nie.«
»Er hat es ernst gemeint, dachte ich.«
»Oh, daran zweifle ich nicht. Der erste, den Aral mit diesem Getue vom prosaisch steinernen Soldaten zum Narren hält, ist er selber. Ich denke, das ist die Art von Mann, der er schon immer gern sein wollte. Wie sein Vater.«
»Hm. Nun ja, ich hatte bei ihm einen gewissen Hang zum Politisieren in der Konversation bemerkt. Auch mitten in den außerordentlichsten Umständen. Zum Beispiel bei Heiratsanträgen.«
Vorpatril lachte. »Das kann ich mir gut vorstellen. Als er jung war, war er ein echter Konservativer — wenn man wissen wollte, was Aral über irgendeine Sache dachte, dann mußte man nur Graf Piotr fragen und dessen Antwort mit zwei multiplizieren. Aber zu der Zeit, als wir zusammen dienten, da wurde er … hm … komisch. Wenn man ihn in Fahrt brachte …« In seinen Augen war ein gewisses schelmisches Funkeln, das Cordelia sofort ermunterte.
»Wie brachtest du ihn in Fahrt? Ich dachte, politische Diskussionen waren für Offiziere verboten.«
Er schnaubte verächtlich: »Ich glaube, man hätte das Atmen mit etwa der gleichen Erfolgschance verbieten können. Der Vorschrift wird, sagen wir mal, nur sporadisch Geltung verschafft. Aral hielt sich daran, es sei denn, Rulf Vorhalas und ich nahmen ihn mit und brachten ihn dazu, sich wirklich zu entspannen.«
»Aral? Entspannen?«
»O ja. Nun, Arals Trinken war bemerkenswert …«
»Ich dachte, er war ein lausiger Trinker. Er hatte keine Lust darauf.«
»Das war es ja, was bemerkenswert war. Er trank selten. Obwohl er eine schlimme Zeit durchmachte, nachdem seine erste Frau gestorben war, als er sich viel mit Ges Vorrutyer herumtrieb … hm …« Er warf einen Blick zur Seite und nahm dann einen anderen Anlauf: »Auf jeden Fall war es gefährlich, ihn dazu zu bringen, sich zu sehr zu entspannen, denn dann wurde er niedergeschlagen und ernst, und dann brauchte es nur wenig, um dahinterzukommen, welche gegenwärtige Ungerechtigkeit oder Unfähigkeit oder Verrücktheit seinen Zorn erregte. Gott, konnte der Mann reden. Wenn er dann seinen fünften Drink hinuntergegossen hatte — kurz bevor er unter den Tisch glitt für die Nacht —, da konnte er in jambischen Pentametern über die Revolution deklamieren. Ich dachte immer, er werde eines Tages auf der politischen Seite landen.« Er lachte in sich hinein und blickte fast liebevoll auf die kräftige, in Rot und Blau gekleidete Figur, die mit den Grafen am anderen Ende des Saals saß.
Die Abstimmung des Vereinigten Rates über die Bestätigung von Vorkosigans kaiserlicher Ernennung war nach Cordelias Meinung eine seltsame Sache. Sie hatte es bisher nicht für möglich gehalten, daß man fünfundsiebzig Barrayaraner zur Übereinstimmung darüber bringen könnte, in welcher Himmelsrichtung ihre Sonne am Morgen aufging, aber hier war das Votum für Kaiser Ezars Entscheidung fast einstimmig. Die Ausnahme bildeten fünf Männer, die sich der Stimme enthielten, vier laut, einer so leise, daß der Lordwächter des Sprecherkreises ihn auffordern mußte, sein Votum zu wiederholen. Selbst Graf Vordarian stimmte mit ja, fiel Cordelia auf — vielleicht hatte Vortala den Zwist vom Abend zuvor letztlich noch in einem frühmorgendlichen Treffen beilegen können. Es schien alles auf einen sehr verheißungsvollen und ermutigenden Start von Vorkosigans neuer Aufgabe hinzuweisen, und sie sagte das auch zu Lord Vorpatril.
»Oh … ja, Madame«, sagte Lord Vorpatril, nachdem er ihr zugelächelt hatte, »Kaiser Ezar hat deutlich gemacht, daß er geschlossene Zustimmung wünscht.«
Sein Ton machte ihr klar, daß sie wieder einen Fingerzeig übersehen hatte.
»Willst du damit sagen, daß einige dieser Männer lieber mit nein gestimmt hätten?«
»Das wäre unklug von ihnen, zum jetzigen Zeitpunkt.«
»Dann müssen die Männer, die sich enthalten haben … ziemlich viel Zivilcourage haben.« Sie musterte die kleine Gruppe mit neuem Interesse.
»Ach, die sind schon in Ordnung«, sagte Vorpatril.
»Was meinst du damit? Sie bilden doch sicher die Opposition.«
»Ja, aber sie sind die offene Opposition. Niemand, der ernsthaften Verrat plant, würde sich so öffentlich zu erkennen geben. Die Burschen, vor denen Aral seinen Rücken wird schützen müssen, sind unter der anderen Sippschaft, unter den JaSagern.«
»Wer sind sie?« Cordelia runzelte besorgt die Stirn.
»Wer weiß?« Lord Vorpatril zuckte die Achseln, dann beantwortete er seine eigene Frage: »Negri, wahrscheinlich.«
Sie waren ringsum von leeren Sitzen umgeben. Cordelia war sich nicht sicher gewesen, ob dies aus Sicherheits- oder aus Höflichkeitsgründen so eingerichtet war. Offensichtlich aus letzteren, denn zwei Zuspätgekommene, ein Mann in der grünen Uniform eines Oberstleutnants und ein jüngerer in teurer Zivilkleidung, trafen ein und setzten sich unter Entschuldigungen vor sie hin. Cordelia dachte, sie seien Brüder, und ihre Vermutung wurde bestätigt, als der jüngere sagte: »Schau, da ist Vater, drei Sitze hinter dem alten Vortala. Welcher ist denn der neue Regent?«
»Der säbelbeinige Kerl in der rot-blauen Uniform, der sich gerade zu Vortalas Rechter hinsetzt.«
Cordelia und Vorpatril tauschten hinter den Rücken der beiden Männer einen Blick aus, und Cordelia legte den Finger auf ihre Lippen. Vorpatril grinste und zuckte die Achseln.
»Was sagt man über ihn beim Militär?«
»Das kommt darauf an, wen du fragst«, sagte der Oberstleutnant. »Sardi hält ihn für ein strategisches Genie und ist in seine Kommuniques vernarrt. Er ist überall dabei gewesen. Bei jedem Scharmützel in den letzten fünfundzwanzig Jahren scheint irgendwo sein Name aufzutauchen.
Onkel Rulf pflegte große Stücke auf ihn zu halten. Andererseits sagte Niels, der in Escobar dabei war, daß er der kaltblütigste Bastard sei, dem er je begegnete.«
»Ich habe gehört, daß man ihn für einen heimlichen Progressiven hält.«
»Da ist nichts Heimliches dabei. Einige der älteren VorOffiziere fürchten ihn wie die Pest. Er hat versucht, Vater zu bewegen, mit ihm und Vortala die neue Steuerverfügung zu unterstützen.«
»So, so.«
»Da geht es um die direkte kaiserliche Steuer auf Erbschaften.«
»Auweh! Nun ja, ihn würde das ja nicht treffen, nicht wahr? Die Vorkosigans sind doch schrecklich arm. Laßt Komarr zahlen. Deshalb haben wir es doch erobert, oder nicht?«
»Nicht gerade deshalb, du kleiner Ignorant. Ist einer von euch Stadtclowns schon seiner betanischen Puppe begegnet?«
»Männer von feiner Lebensart, du Kerl«, korrigierte ihn sein Bruder.
»Nicht zu verwechseln mit euch Kommißstiefeln.«
»Für eine solche Verwechslung besteht keine Gefahr. Nein, mal im Ernst. Es kursieren da die verrücktesten Gerüchte über sie, Vorkosigan und Vorrutyer in Escobar, von denen sich die meisten widersprechen. Ich dachte, daß Mutter darüber etwas zu sagen wüßte.«