Выбрать главу

Rolf Krohn

BEGEGNUNG IM NEBEL

Phantastische Erzählungen

Verlag Das Neue Berlin

GESTERN?

Begegnung im Nebel

Montag

Ein trüber Morgen begann über der alten Stadt im Tal. Nebel hatte sich zwischen den Bergkämmen verfangen und lag seit einer Woche als graue Decke auf Häusern und Türmen. Wie Bäche, die in einen trägen See strömen, sickerten Dunstschleier aus den Waldhängen. Nur selten wehte ein Windhauch herüber.

Er saß sich der Sonnenball über die Gipfel hob, blieb unterhalb der Dunstdecke verborgen. Heller wurde es, doch nicht wahrhaft Tag.

Häufig quälte dieser Nebel die kleine hispanische Stadt Äliacum. Sie war kein günstiger Siedlungsort, wenn sie auch an einer strategisch wichtigen Stelle lag und als Veteranenkolonie Vorteile genoß. Weil hier kein genügend breiter Bach floß und die Brunnen sommers versiegten, hatte Kaiser Tiberius befohlen, einen Aquädukt zu errichten.

Das Bauwerk, unfertig noch, ragte aus dem Nebelmeer wie ein zerborstener Hafendamm. Zur Zeit wurde an den Pfeilern siebzehn bis einundzwanzig gearbeitet; andere waren nahezu fertig, für die folgenden lag erst das Baumaterial bereit.

Die Frühablösung der Wachen war unterwegs. Hinter ihr schallten dumpfe Tubentöne: das Wecksignal für das kleine Militärlager.

Ein Windzug quirlte durch die Schwaden. Zu sehen war jedoch nichts, nach zehn oder zwölf Speerlängen verschwamm jeder Gegenstand im Nebel. Man verließ sich auf das Gehör.

Fackeln oder Steinölpfannen waren wegen der hölzernen Gerüste verboten.

Der Legionär Marcus trottete als dritter in der Reihe und versuchte, sich durch rasche Bewegung wach zu machen. »Bei Mithras, eine Nässe ist das! Wie in Nordgermanien.« Er stolperte über eine Bohle und polterte mit einem Fluch zu Boden. Sein Helm schepperte über die Steine. Jetzt war er munter. »Die Pest über die blödsinnigen Nachtwachen!«

Centurio Quintus Corellius stellte sich taub. Es wäre an ihm gewesen, den Vergleich zu ziehen. Trotz seines dicken Wollmantels wühlte dumpfer Husten in ihm. Mit dieser Krankheit war er im letzten Jahr aus den germanischen Waldsümpfen zurückgekehrt als nach dem Pyrrhussieg von Idistaviso der offensive Krieg gegen des Arminius Horden eingestellt worden war. Seither siechte er dahin.

»Halt, stehenbleiben! Parole?« brüllte eine heisere Stimme.

»Cäsar Tiberius!«

»Tiberius Claudius Nero. – Posten Material Stapel meldet keine Vorkommnisse.«

Die Wache wurde abgelöst, sie war die letzte auf der Liste.

»Marcus!« Der Centurio wandte sich halb um. »Du bist heute bis zum Wachwechsel Adjutant des Bauleiters. Die anderen marschieren selbständig zurück. Marcus, mir nach!« Er kämpfte einen Hustenanfall nieder.

»Zu Befehl!« sagte ein Unteroffizier.

»Zu Befehl!« sagte auch Marcus. Um ein Haar hätte er sich die Hände gerieben. Zum Bauleiter das war wie ein Geldgeschenk. Auf der Baustelle gab es beliebte und unbeliebte Vorgesetzte wie überall. Für Servius Rabirius aber schwärmten alle. Im Frühjahr war der ehemalige Pionieroffizier aus Rom hierher versetzt worden, um den Aquädukt zu vollenden. Neun von zehn solcher Verbannter waren gereizte, unlustige Menschen, bisweilen gar Versager wie Rabirius’ Vorgänger. Nicht

dieser Mann; alle glaubten, es würde noch besser, wenn man ihm freie Hand ließe. Doch nur die technischen Belange fielen in sein Ressort. Für die Sklaven und für die Entlohnung der Freien, für Einkäufe und Abrechnungen zeichnete ein Provinzialsekretär verantwortlich; und die Wachcenturia unterstand dem Militärkommandanten der Region, dem Tribun Crusius. Solch eine Dreiteilung forderte Konflikte geradezu heraus. Die Soldaten litten dar unter, gehorchten ihrem ungeliebten Oberst und vergötterten insgeheim Rabirius.

Sie mußten Umwege gehen und Hindernisse übersteigen. Noch immer hüllte sich die Baustelle in Nebel, aber es wurde hell. Man sah Stapel und Sandhaufen, die umzäunte Kalkgrube. Im grauen Dunst wirkte alles doppelt öde. Melancholisch erinnerte sich Marcus an Sonnentage, wenn Mittagslicht die Ziegelmauern übergoldete, wenn aus der Stadt Lieder herüberhallten. Im Augenblick unvorstellbar. Nebel über Äliacum und kein Ende.

Es war nicht weit. Im Fachdialekt der Bauexperten hieß der bereits fundamentierte Verzweigungspunkt des Aquädukts Wasserschloß. Rabirius wohnte in einer kleinen Villa daneben. Später einmal sollte hier der Präfekt der Städtischen Wasserleitungen von Äliacum Unterkommen.

Centurio Corellius rückte den Waffengurt zurecht und schritt als erster die Stufen zum Eingang hinauf.

Im Vorraum stießen sie auf eine junge Sklavin, die leise singend mit Lappen und Wassereimer den Mosaikboden reinigte. Sie war von hübscher Gestalt und gut gekleidet. Marcus blickte ihr vergnügt in den Ausschnitt.

Jeder Soldat kannte die Verhältnisse in diesem Haus. Darum schnauzte Corellius die Dienerin auch nicht an, sondern wandte sich zwar grußlos, aber doch höflich an sie: »Ist dein Herr schon aufgestanden, Astris?«

Errötend zog sie das Gewand zurecht und erhob sich. »Ich sage ihm Bescheid. Wartet bitte einen Moment!« Sie huschte davon. Man hörte ihre bloßen Füße, dann leise Worte. Der rote Vorhang wurde beiseite gezogen und gab das Wohngemach frei.

Marcus kannte viele Wohnungen, vor allem natürlich die von kleinen Leuten, aber seit einem Meldegang auch die des Tribuns. Vielleicht war er voreingenommen, aber gegen dieses Haus kam nichts an. Für römische Verhältnisse war bereits seltsam, daß sich der Architekt nur von zwei Sklavinnen bedienen ließ andere seiner Klasse brauchten ein Dutzend. In Äliacum glaubte man zu wissen, daß Rabirius von griechischen Hauslehrern erzogen worden war, und solche Leute hielten Sklaven ja für Menschen. Der Vielbewunderte aus Rom steckte voller Ideen. Allein, was er beim Bau des Aquädukts ersonnen und verbessert hatte, war zehn Orden wert. Doch die heilige Dienstvorschrift der Legion kannte dafür keine Auszeichnungen.

»Salve, Centurio!«

Verblüfft blieb Corellius stehen und riß den Arm zum römischen Salut empor. Er hatte den Hausherrn zu spät bemerkt.

Rabirius saß nicht auf dem Sofa, sondern abseits auf einem Hocker und aß. Das Tischchen vor ihm war mit Speisen und Notiztäfelchen bedeckt. Er stand höflich auf.

Die Toga kleidete den schlanken Mann schlecht; und wer ihn sah, schwor, zu dieser Figur passe sie nicht. Dabei war an seiner altrömischen Abkunft nicht zu kratzen. Ein Vorfahr hatte zuerst gegen, dann für Cäsar gestritten, ein anderer war ein bedeutender Dichter, dessen Sohn amtierte zeitweilig als Chef des Kaiserlichen Geheimbüros; etliche Verwandte bekleideten einflußreiche Posten in den Stäben des Imperiums. Sein Aussehen verriet den Römer, die dunkelbraunen Haare ebenso

wie das kantige Gesicht. Die Augen dagegen waren um einen Ton zu freundlich für einen Vermögenden.