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Einmal in zwei Jahren nur hatte er erlebt, daß jemand an der Pipeline Unrechtes tat. Ein alter, schnauzbärtiger Bauer war's, der einmal wöchentlich in der Nacht in einer Schlucht, durch die die Ölleitung sich zog, einige Fässer Rohöl abzapfte. Ein Löchlein hatte er einfach in das Stahlrohr gebohrt, und daraus sprudelte es lustig in die Fässer. Waren sie voll, verschloß er das Loch mit einem eisernen Stöpsel, den er mit einem Splint sicherte. So raffiniert war das schnauzbärtige Väterchen, aber Dimitri entdeckte es, fing das Bäuerchen ein wie eine wilde Stute, jawohl, mit einem Lasso — ha, welch ein Kerl, der Dimitri Sergejewitsch! — und brachte ihn ins Gefängnis. Heraus kam dabei, daß das schnauzbärtige Väterchen seit einem Jahr Öl abzapfte und es auf dem Markt verkaufte. Man gab Dimitri die Hand, beglückwünschte ihn und nannte ihn einen >Held der Arbeit<.

Genossen, was gibt es Herrlicheres für einen Russen, als ein >Held der Arbeit< zu sein?

In dieser Nacht war es wieder nötig, die Leitung abzufahren. Dimitri Sergejewitsch zog seine Stiefel an und über die Stiefelhose einen handgestrickten Pullover mit Rollkragen, denn kalt ist es in der Nacht im Gebirge, wenn auch am Tage die Sonne glutete. Er setzte sich in seinen Jeep und fuhr durch das nachtstille Tiflis hinaus zur Pipeline. Sein Vater, Kolka Iwanowitsch Kabanow, der zweite Mann seiner Mutter, war noch wach, sah aus dem Fenster und winkte ihm zu und rief:»Dimitri, bring zweihundert Gramm Wodka mit, wenn du morgen zurückkommst!«

Und Dimitri Sergejewitsch rief zurück:»Ich vergesse es nicht, Väterchen!«

(Wobei man wissen muß, daß in Rußland der Wodka nicht nach Flüssigkeitsmaßen, sondern nach Grammgewicht verkauft wird.)

Gegen zwei Uhr früh war es, als Dimitri seinen Jeep verließ und hinunterstieg in einen Hohlweg, durch den sich die stählerne Schlange der Pipeline zog. Ein böser Ort war das, steinig und mit Dornenhecken bewachsen, und hier hatte es sogar einmal einen Bruch gegeben, weil ein dicker Stein von den Felsen herunterrollte und mit spitzer Kante das Stahlrohr einschlug. So eine Wucht hatte er, oben vom Gipfel kommend. Wie gesagt, eine böse Gegend war's.

Dimitri stand oben auf dem Pfad und sah hinab auf die im Mondlicht glitzernde Stahlröhre. Den Jeep hatte er zurückgelassen auf der Straße, jenseits des Hügels, denn auf dem Trampelpfad konnte man nicht fahren. Und plötzlich sah er einen Schatten, der durch die Schlucht wanderte, an der Ölleitung entlang, eine große, huschende Fledermaus, die an der Pipeline entlangrannte, dem einzigen von Dornenbüschen freien Weg.

Dimitri trat zurück in den Schatten der Felsen. Eine Pistole zog er aus der Hosentasche und drückte mit dem Daumen den Sicherungsflügel herum.

Der Schatten wanderte weiter. Ein freies Stück kam jetzt, im Mondlicht glänzte die Stahlröhre, und der Schatten trat in die bleiche Helligkeit. Ein Kopftuch, ein flatternder Rock, nackte, im Mondschein schimmernde Beine. Dimitri Sergejewitsch schüttelte den Kopf, sicherte die Pistole wieder und steckte sie zurück in die Hosentasche.

Ein Frauchen, dachte er. In der Nacht läuft sie an der Pipeline entlang. Was soll das? Verboten ist's doch, jeder weiß das. Man muß sie erschrecken, daß sie es nie vergißt.

Dimitri Sergejewitsch trat an den Rand des Hohlweges und legte die Hände trichterförmig vor den Mund. Schrecklich dröhnte seine Stimme zwischen den Felsen, als er brüllte.

«Stoij!«schrie er.»Stoij, Mütterchen! Ich schieße, wenn du nicht stehenbleibst!«

Der Schatten wirbelte herum. Das Kopftuch rutschte ab, und Dimitri sah im Mondlicht blonde Haare und ein erschrockenes, bleiches Gesicht, das zu ihm hinaufstarrte. Dann duckte sich die Gestalt wieder und rannte mit flatterndem Rock die Ölleitung entlang ins Dunkel.

Ein Mädchen, dachte Dimitri verblüfft. Wirklich, ein junges Mädchen ist's. Was sucht sie an der Pipeline? Kommt sie von einem Lie-bestreffen? Oder hat man wieder irgendwo die Leitung angezapft, o verflucht noch mal.

«Stoij!«brüllte er noch einmal.»Ich schieße. Komm heran!«Aber während er rief, lief er schon in den Hohlweg hinunter, denn wenig Sinn hatte es, zu drohen, wo man niemanden mehr sah.

Dimitri erreichte die Pipeline, indem er rücksichtslos durch das Dornengestrüpp brach. Zwanzig Meter vor ihm jagte der Schatten an der Stahlröhre entlang, mit schlenkernden Armen und wehendem Rock.

Kein Problem für Dimitri, dachte er und streckte sich wie ein Rennpferd. Dann lief er, mit großen, weiten Sätzen, so wie eine große Wildkatze läuft, mit den Muskeln federnd und fast lautlos.

Bettinas Herz schlug wie wild, ihre Lungen keuchten, und sie spürte, wie ihre Beine nachließen und weich in den Knien wurden. Da sah sie sich um, und zwei Meter nur hinter ihr, wie ein schwarzer Panther, schnellte der fremde Mensch durch den Mondschein, die Hände vorgestreckt, um sie sofort greifen zu können, wenn er sie erreichte. Da schrie sie auf, und alle Not, alle Angst, alle Hoffnungslosigkeit lagen in diesem Schrei. Sie warf sich herum, duckte sich, streckte die kleinen Fäuste vor und hieb Dimitri beim letzten Satz gegen die Brust und zwischen die Augen. Zwei harte Schläge waren es, in die er hineinsprang, er taumelte zurück, griff an seinen Kopf, aber dann knirschte er mit den Zähnen und rannte weiter, erreichte das Mädchen, riß es an der Schulter herum, warf sich auf sie wie ein Wolf auf ein zitterndes Lamm, und so fielen sie zu Boden, ineinander verkrallt, und sie trat um sich und kratzte und biß und spuckte, und Dimitri Sergejewitsch hatte alle Mühe, sein Gesicht vor ihren Nägeln zu schützen und sie mit seinem Körper auf die Erde zu drücken.

«O du Satanchen!«keuchte er.»Du wildes Adlerchen! Laß das Beißen, du! Ich will dir nicht die Knöchelchen zerbrechen! Lieg still, kleine Katze!«

Er faßte ihre Arme, bog sie über ihren Kopf zurück und lag auf ihr mit seinem ganzen Gewicht. Da streckte sie sich, alle Gegenwehr zerschmolz, nur ihre Augen starrten ihn wild und haßerfüllt an, und ihre Lippen zitterten, als friere sie.

Tief atmend sah Dimitri sie an, und er sah, wie schön sie war, wie jung und wie fest ihr Körper. Die Bluse hatte er ihr zerrissen, und ein Teil ihrer Brust schimmerte im Mondlicht.

«Welch eine Nacht«, sagte er keuchend, aber er hielt ihre zuckenden Arme noch wie mit Eisenzangen umklammert.»Nichtsahnend fährt man durch die Berge, und was geschieht? Ein Engel fällt vom Himmel.«

Bettina schloß die Augen. Den Kopf wandte sie ab, drückte ihn in das harte Gras, und dann weinte sie.

Da ließ Dimitri Sergejewitsch sie los, kniete sich neben sie, beugte sich vor und zog die zerrissene Bluse über ihre entblößte Brust.

Und plötzlich, als er sie wieder ansah, das weinende, zerbrochene Täubchen, wußte er, daß diese Nacht eine ganz besondere Nacht war und daß ein neuer Abschnitt im Leben des Dimitri Sergejewitsch Sotowskij begonnen hatte.

Nun lag sie da und weinte. Ein schmutziges Gesichtchen hatte sie, von den Dornenhecken zerkratzte Beine, vom Rocksaum fehlte ein Fetzen, und an den Füßen, man soll's nicht glauben, trug sie moderne Halbschuhe, wie sie Dimitri noch nie in Tiflis gesehen hatte. Ein jammervoller Anblick war's, und man wußte in den ersten Minuten auch gar nicht, was man sagen sollte. Da läuft ein Mädchen nachts die Ölleitung entlang, flüchtet beim Anruf, wehrt sich wie eine Tigerin, und dann ist sie plötzlich ein wehrloses Täubchen und zittert und bebt und macht einem das Herz schwer mit den Tränen.