«Ein sanftes, liebes Mädchen mit einer runden, festen Brust. Gefühlt habe ich sie. Gut genug für zehn Jungen. Wo ist sie?«kreischte die Alte.
«Ich habe niemanden mit einer runden Brust gesehen, Mütterchen«, sagte Piotr ehrlich. Im Hintergrund kicherte Axinja, die Schwester, wie ein blöder Geier.
«Ruhe!«schrie die blinde Alte.»Betrug war's! Kleider hat sie genommen! Butter und Speck und Schinken! Die Hölle über sie! Zur Polizei gehst du und meldest es! Sofort! Und so lieb sprach sie, so nett war sie. Den Glauben sollte man verlieren an Gott und alle Engel. O welch ein Frauchen wäre es für meinen Piotr gewesen.«
Es half kein Widerreden; noch in der Nacht fuhr Piotr auf einem alten, rostigen Fahrrad hinunter nach Tiflis und meldete der Miliz den geheimnisvollen Vorfall. Und er wunderte sich, daß man sofort tätig wurde und ihn nicht mit einem Fußtritt auf die Straße setzte. Im Gegenteil, man umarmte ihn, nannte ihn ein kluges Bürschchen und alarmierte — so hörte es der staunende Piotr — telefonisch den General Oronitse.
«Eine heiße Spur, Genosse General!«rief der Milizhauptmann ganz aufgeregt.»In den Weinbergen nach Rustawi hin. Ich verhöre den Burschen sofort und fahre mit einem Kommando an den Ort. Jawohl, Genosse General. Mein Name ist Uman Tonjanowitsch Wje-renka. Hauptmann, Genosse General! Ich danke für das Lob, Genosse General.«
Piotr zuckte zusammen, als der Hauptmann mit den Stiefelhacken knallte. Er war nie Soldat gewesen. Zu blöd dafür, hieß es bei der Musterung. Und das will etwas heißen.
«Und nun zu dir, mein Lieber«, sagte der Milizhauptmann jovial.»Erzähle, was du weißt. Wie sieht sie aus?«
«Das weiß niemand, Brüderchen«, sagte Piotr und grinste freundlich.
«Das erschwert das alles ja.«
«Wie beschreibt dein Mütterchen das Mädchen?«
«Überhaupt nicht, Genosse Hauptmann. Gefühlt hat sie es. Abgetastet. Ein rundes Brüstchen soll sie haben, sagt sie. Mein Mütterchen ist blind.«
Hauptmann Wjerenka war ein cholerischer Mensch. Er gab Piotr sieben Ohrfeigen, und Piotr hielt sie aus, denn er war ein starker Idiot, kräftig wie ein Bulle. Nur wußte er nicht, warum er geschlagen wurde, und fragen mochte er nicht, denn das komplizierte alles nur noch mehr.
Sagte ich nicht, es war eine böse Nacht für Piotr?
Aber so ist es immer im Leben. Die Unschuldigen leiden.
Oberst Jassenskij und General Oronitse saßen auf der Ofenbank und — kauten kalten Braten. In der >schönen Ecke< des Zimmers hockten — Axinja und Piotr, und die blinde Alte lehnte am Ofen und murmelte unverständlich vor sich hin.
Draußen krochen vierzig Soldaten durch jeden Winkel von Haus und Scheune. Scheinwerfer erhellten den Garten und die Umgebung. Suchhunde bellten, und ein Jagdfieber hatte alle erfaßt, als die Hunde in der Scheune eine Spur aufnahmen, von einem Berg Maisstroh bis zum Haus und in die Stube vor den offenen Herd.
«Sie war hier«, sagte Oberst Jassenskij und polkte hinter der vorgehaltenen Hand eine Fleischfaser aus einer Zahnlücke.»Sie hielt sich in der Scheune versteckt und kam dann in die Hütte. Das Weitere kennen wir. Wie sprach sie, Mütterchen?«
Die blinde Alte unterbrach ihre leisen Selbstgespräche.
«Wie ein Töchterchen aus einer fernen Gegend. Weiß ich? Sie sprechen alle anders, die Menschen, und nennen sich doch alle Russen. Wie kann man sich da auskennen?«sagte sie böse.
«Sprach sie wie eine Deutsche, die Russisch gelernt hat?«
«O ihr toten Seelchen!«schrie die Alte.»Woher soll einer wie wir wissen, wie eine Deutsche spricht, he?«
«Das stimmt«, sagte General Oronitse leise.»Begnügen wir uns mit der Feststellung, Genosse Oberst, daß diese Bettina hier war. Die Alte ist blind, der Sohn ein Idiot, die Tochter ein blöde kichernde Maus. Mir scheint, das Mädchen hat eine natürliche Begabung, Spuren zu verwischen.«
Jassenskij sah den General böse an.»Warten Sie es ab, Fjodor Ni-kolajewitsch«, sagte er heiser.»Ein Mädchen hat nicht die Nerven eines Mannes. Vor einem Bataillon Soldaten mag es sich verstecken, und es schreit auf und wird kopflos, wenn ein Regenwurm über ihren Schenkel kriecht.«
«Warten wir also auf den Regenwurm«, sagte General Oronitse sarkastisch. Jassenskij nickte mehrmals.
«Es wird nicht lange dauern.«
Und wirklich, es schien, als sei man nahe am Ziel.
Die Spürhunde hatten die Witterung wieder aufgenommen. Hechelnd, die Schnauzen seibernd auf der Erde, liefen sie an langen Lederriemen kreuz und quer über das Land, zerrten dann an den
Leinen und rannten leise heulend den armenischen Bergen zu. Vor einem Steinhaufen gebärdeten sie sich wie toll, fesseln mußte man sie, die blutgierigen Bestien, und dann warf man die Steine zur Seite, entdeckte eine Mulde und in ihr ein zusammengeknülltes Bündel angesengter Kleider.
«Aha! Aha!«schrie Oberst Jassenskij, als der Fund auf dem Tisch lag. Die blinde Alte und ihre Kinder hatte man hinaus in den Schuppen geschickt. Dort schäkerte Axinja mit einem rotbäckigen Rotarmisten. Ein bißchen blöd war sie, gewiß, aber stramme Schen-kelchen hatte sie und auch sonst war alles an ihr so, wie ein Weibchen gebaut sein soll. Wen kümmert da die Blödheit? Wer eine Mettwurst ißt, fragt auch nicht, ob das Schweinchen schielte.
«Die Uniform ist's«, sagte General Oronitse und zerrupfte mit spitzen Fingern das Kleiderbündel.»Jacke, Bluse, Rock einer Stewardeß. Gratuliere, Safon Kusmajewitsch… sie war es. Und nach Armenien will sie. Ganz klar über die türkische Grenze. Wir sollten sofort den Oberkommandierenden in Eriwan benachrichtigen.«
Und während Bettina und Dimitri zusammen an der Ölleitung rangen und sich später küßten und den Mond bewunderten und dummes Zeug redeten, fiel entlang der sowjetisch-türkischen Grenze ein unsichtbares Gitter. Auf den Straßen stauten sich die Lastwagen kilometerlang und wurden gründlich untersucht. Unter die Achsen kroch man sogar und stemmte die Kisten der grusinischen Strumpffabrik >Krzanissi< auf, trotz lauten Protestes des Transportleiters, der sich darauf berief, als staatlicher Funktionär brauche er nicht untersucht zu werden. Was halfs? Man stemmte die Kisten auf und fand in sechs Kisten statt der Strümpfe Flaschen mit feinstem grusinischem Kognak >Jubileiny XX<.
«O ihr Teufelchen!«schrie der staatliche Transportleiter, setzte sich an den Straßenrand und weinte bitterlich.
Gegen Morgen wurde er abgeholt von der Miliz aus Tiflis.
Aber die deutsche Stewardeß Bettina Wolter entdeckte man nicht. Weder in Kisten noch unter den Achsen. Auch die Hunde versagten. An einem Bach verloren sie die Witterung, denn im fließenden Wasser bleibt kein Duft.
«Hunde sind das!«schrie Oberst Jassenskij, als man ihm das meldete.»Erbärmliche, stinkende Hunde! Eine Hündin riechen sie zehn Werst weit bei Windstille, aber hier versagen sie. Abschießen sollte man sie!«
Was half's? Es gab keine Spur mehr. Die Grenze war abgeriegelt. Irgendwo dort in den armenischen Bergen irrte das Mädchen herum, das nicht nur für Oberst Jassenskij zu einem entscheidenden Problem wurde. Auch Moskau hatte sich wieder gemeldet. Ein langes Fernschreiben fanden General Oronitse und Oberst Jassenskij vor, als sie in die Dienststelle nach Tiflis zurückkamen.
«Aha! Aha!«sagte Jassenskij wieder, und immer, wenn er so enthusiastisch» Aha «sagte, wurde Oronitse nachdenklich, denn was Jassenskij erfreute, war meistens der Kummer der anderen.»Meine Ahnung!«
Die Fernschreiben waren deutlich. Sie waren Befehle. Und wenn Moskau befahl, bedeutete das, mit dem eigenen logischen Denken aufzuhören. Nicht nur in Rußland ist es so, Freunde; überall, wo einer die Hacken zusammenschlägt und» Jawohl!«antwortet, hat der Geist nichts mehr zu suchen.
Die Befehle lauteten: Bettina Wolter muß unter allen Umständen aufgegriffen werden.
Bettina Wolter ist in Tiflis in Verwahr zu nehmen. Sie wird so schnell wie möglich nach Moskau überführt werden.