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Die Nachrichtensperre bleibt.

Die Herren der deutschen Fluggesellschaft DBOA werden einige Fotos der Bettina Wolter mitbringen. Das beste Bild ist zu klischieren und anzudrucken. Alles unter Verschluß als G/Ib.

Bettina Wolter wird ab sofort zum militärischen Sicherheitsfaktor erklärt.

«Da haben wir es, Fjodor Nikolajewitsch«, sagte Oberst Jassens-kij ein wenig bedrückt und legte die Fernschreiben zurück auf den Tisch.»Solche Dinge aus Moskau. Sehen Sie nun auch ein, daß hinter dem mysteriösen Flugzeugabsturz mehr steckt als nur ein däm-licher Blitzeinschlag?«

General Oronitse schwieg. An die Nacht auf dem Flugplatz dachte er, an die schwere Maschine, die ohne Lichter aus den Wolken schoß, zu steil zur Landung ansetzte, emporgerissen wurde und dann durchsackte. Er hatte das Tonband angehört, das auf dem Kon-trollturm II von Wladimir Mironowitsch Bubnow beschrien worden war, in höchster Verzweiflung, als er das Unglück hilflos vor seinen Augen ablaufen sah. Und es war ein Unglück, weiter nichts. Aber Oronitse schwieg. Warum sich Unannehmlichkeiten machen, dachte er. Moskau befiehlt — das ist gut, Genossen. Damit geht die Verantwortung von uns weg in den Kreml, und auch die Blamage. Denn daran glaubte General Oronitse ganz fest: Bis auf die Knochen blamiert würde man eines Tages dastehen wie einer, der die Hosen voll hat.

Doch wer kennt die Gedanken des Kreml?

Dort saßen in einem kleinen Zimmer der GRU drei Männer an einem alten Tisch und blätterten in einigen Papieren.

Experten des Nachrichtenwesens, Sektion Westeuropa, Teil Bundesrepublik, waren es, und sie lasen in den wenigen Angaben, die man über Oberleutnant Wolfgang Wolter besaß.

«Er hat Verbindungen zur Gruppe Gehlen«, sagte einer der schlicht gekleideten Männer, mit einer Hornbrille auf der langen Nase.»Ein wertvoller Mann. Jassenskij muß das Mädchen sicherstellen. Haben wir das Mädchen, haben wir auch den Bruder. Uns fehlt ein Ohr im Amt Gehlen.«

In der gleichen Nacht landeten auch die deutschen Experten aus Hamburg und wurden zu den Flugzeugtrümmern geführt, die noch immer von Rotarmisten ringförmig abgesperrt waren. Dann fuhr man sie zum Grusinischen Krankenhaus Nr. I und ließ sie mit den verletzten Passagieren und mit den Piloten Pohlmann und Andresen sprechen.

Hier trafen die deutschen Experten auch auf Oberst Jassenskij und General Oronitse.

«Ein merkwürdiger Unfall, fürwahr«, sagte Jassenskij anzüglich.»Ha-ben Sie die Bilder der Bettina Wolter mitgebracht?«

«Natürlich. «Der deutsche Delegationsleiter, ein Oberingenieur, überreichte dem sowjetischen Oberst ein Kuvert mit drei Bildern. Bettina Wolter in Stewardeß-Uniform, einmal im Profil, einmal en face, einmal als Ganzfoto.»Es ist uns unerklärlich, wieso.«

«Ein hübsches Mädchen«, unterbrach Jassenskij. Auf Erklärungen der Deutschen legte er keinen Wert. Am allerwenigsten auf unerklärliche Dinge. Moskau macht sich allein ein Bild über die Vorkommnisse; man braucht keine kapitalistischen Ausflüchte.»Sie sprach Russisch?«

«Das wissen wir nicht. «Der Oberingenieur machte ratlose Augen.»Das müßte das Personalbüro wissen.«

«Wir wissen es!«sagte Jassenskij steif.»Das genügt vollauf. Die Trümmer des Flugzeuges stehen Ihnen zur Verfügung. Der Platzkommandant wird Sie bei allen Untersuchungen unterstützen. «Oberst Jassenskij wandte sich ab, aber er kehrte noch einmal zurück.»Kennen Sie Bettina Wolter?«

«Nein. «Der Oberingenieur starrte den Oberst etwas betroffen an. Bisher war der Empfang kühl, ja eisig gewesen. Ein paar Worte des Bedauerns, dann Fragen, die wie ein Verhör klangen.»Wir haben einige… zig Stewardessen. Man kennt sie beim fliegenden Personal, aber in der Konstruktionsabteilung.«

«Danke. «Oberst Jassenskij nickte wieder.»Die Toten und auch die verletzten Passagiere, soweit sie transportfähig sind, können in ihre Heimatländer geflogen werden. Lediglich die beiden Piloten bleiben in Tiflis.«

«Darf ich fragen, warum?«sagte der deutsche Delegationsleiter, nun ebenso kühl wie Jassenskij. Und er erhielt die Antwort, die er erwartet hatte und die ein Bibelspruch der Russen war:

«Fragen Sie bitte in Moskau nach. Wir haben Befehle direkt aus Moskau.«

Und man fragte nicht weiter. Moskau war weit.

Und im übrigen war das eine Aufgabe der deutschen Botschaft.

«Hast du die zweihundert Gramm Wodka mitgebracht, mein Söhn-chen?«rief Kolka Iwanowitsch Kabanow, als er seinen Ziehsohn Dimitri im Flur hörte.

Auf einem Korbsessel saß er, in Hemd und Hose und Pantoffeln an den Füßen, die weißen Haare noch struppig von der Nacht. Die Zähne hatte er sich schon geputzt und einen Tee aufgeschüttet. Auf dem Gasherd stand die Pfanne mit Eiern und Speck bereit. Aus dem Backofen duftete frisches Weißbrot, denn der alte Kolka buk das Brot selbst, weil ihm das Brot in Tiflis nicht schmeckte.»Nach Öl riecht es!«sagte er immer.»Und wenn man's ißt — bei Gott, auch einen Öllappen könnte man kauen. Alles stinkt hier nach Öl. «Das war übertrieben, aber man hatte es sich angewöhnt, über das Nörgeln von Väterchen Kolka hinwegzuhören. Er meinte es auch gar nicht so, aber irgend etwas muß der Mensch ja haben, worüber er schimpfen darf. Um Politik kümmerte sich Kolka wenig, an die Rationalisierungen hatte er sich gewöhnt, das Thema der Parteibonzen war erschöpft, vom Großen Vaterländischen Krieg kann man nicht ewig erzählen… ich frage, was bleibt einem alten Väterchen anderes übrig, als übers Essen zu schimpfen? Und da er ein vorzügliches Brot buk, ertrug Dimitri das Schimpfen und gab seinem Väterchen sogar recht. So hat man am ehesten Ruhe. Es ist ja so einfach, ruhig zu leben.

«Hast du den Wodka, Dimitri?«rief Kolka noch einmal, als die Haustür zuklappte.

Das mit dem Wodka war auch so eine Angewohnheit des Alten. Er trank ihn gar nicht am Morgen, aber er stellte die Flasche mit den 200 Gramm auf das Büfett, als sei es eine Blumenvase mit Orchideen, und besah sie sich den ganzen Tag. Erst am Abend begann er, ein Gläschen nach dem anderen zu trinken, zusammen mit kleinen Stückchen Speck, die er auf eine Messerspitze aufspießte. Das war sein Abendessen. Dazu eine dicke Scheibe seines Brotes. Seit

Jahren kannte Dimitri das so: ein blanker Tisch, ein Holzbrett mit Speck und das kleine, hohe Gläschen mit wasserhellem Wodka. Es war, als ob sich Kolka den ganzen Tag auf diese Stunde in der Abenddämmerung freute… vielleicht das letzte Vergnügen, das ihm nach einem schweren Leben geblieben war.

«Gibt es was Neues, Söhnchen?«fragte Kolka. Er stand auf, ging zum Gasherd, knipste die Flamme an, schob die Pfanne darauf und ging zu seinem Korbsessel zurück.»Du kommst später als sonst.«

«Nichts Neues, Kolka Iwanowitsch!«rief Dimitri vom Flur und schob ein Mädchen vor sich her zur Zimmertür. Unter seinen Händen, die auf ihren Schultern lagen, spürte er ihr Beben.»Keine Angst, Wanduscha«, flüsterte er und strich ihr über die kurzen blonden Haare.»Er ist ein gutes Väterchen. Ein wenig grob, aber was macht's? Ein hartes Leben hatte er. Mamuschka sprach darüber, er nie. Schwer verwundet war er im Krieg, auf den Tod lag er, mit drei Lungenschüssen. Und nie mehr erholt hat er sich davon. Ab und zu hustet er noch. Dann sagt er: >Hört, hört — eine tönende Postkarte aus Smolensk.< Ein witziges Männchen ist's. Du brauchst nicht zu zittern.«

Als er mit Bettina — sie war das Mädchen — vor dem Wohnraum stand, stieß er die Tür mit einem Ruck auf, so daß sie gegen die Wand prallte. Bettina fühlte sich in das Zimmer geschoben wie ein großes, schweres, steifes Paket. Kolka Iwanowitsch Kabanow saß auf seinem Korbsessel, kratzte sich mit beiden Händen in den weißen Haaren und starrte das fremde Mädchen in dem zu langen Pullover Dimitris an.

«Mein Wodka, Väterchen«, sagte Dimitri hinter Bettina fröhlich.»Mehr als zweihundert Gramm. Und auch ganz umsonst. Kostet kein Rubelchen, Väterchen. Was sagst du nun?«