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Bettina stand in der Tür, mit hängenden Armen, wie händelos, denn die Ärmel hingen ihr ja weit über die Hände. Sie sah den alten Kolka Iwanowitsch mit ihren flehenden blauen Augen an, und wie sie sich so ansahen, stumm, auf der einen Seite ängstlich und bittend, auf der anderen Seite mit sprachlosem Erstaunen, webte etwas Unbegreifliches ein unsichtbares Band zwischen sie und fesselte sie aneinander. Sie spürten es beide. sie sahen sich in die Augen, und es war ihnen, als seien sie immer zusammen gewesen, als käme nicht ein fremdes Mädchen im beginnenden Morgen in ein unbekanntes Haus, sondern alles war so selbstverständlich, so richtig, so einfach, kurzum natürlich, daß Kolka nickte, aufstand, zum Gasherd ging, die Tür des Küchenschrankes öffnete und noch drei Eier herausnahm.

«Hunger wirst du haben, nicht wahr?«war das erste, was er zu Bettina sagte.»Ein paar Eierchen mit Speck sind das richtige.«

Dimitri lächelte glücklich. Er umarmte Bettina von hinten und preßte sie an sich.

«Wanda heißt sie, Väterchen. Wanda Fjodorowa. Sie sucht ihr On-kelchen Wanja in Tiflis. Gefällt sie dir?«

Kolka drehte sich am Gasherd um.»Müde ist sie. Sieh sie dir an, Dimitri. Geh, mach ihr das Bett in deinem Zimmer.«

«Eine böse Stiefmutter, Dunja, hat sie. Weggelaufen ist sie von ihr.«

«Essen und schlafen«, sagte der alte Kolka streng.»Du redest zuviel, Söhnchen. Ein Menschlein wie Wanda hat noch viele Tage Zeit, mir alles zu erzählen. «Er sah Bettina wieder an, mit einem Blick, der nicht einem Fremden gehörte, sondern wirklich einem Väterchen. Zärtlich war dieser Blick.»Hast du nichts anzuziehen?«

«Ich habe ihr die Kleider zerrissen«, sagte Dimitri.

«Was hat er? Zerrissen? Die Kleider? Mein Sohn?«Kolka schüttelte wild die Pfanne mit den Eiern und dem Speck.»Verzeih es ihm, Wanduscha. Ein guter Junge ist er, gut erzogen von seiner Mutter, ein kluger Kopf, fürwahr. Nur geht sein Temperament oft mit ihm durch. Ein Grusinier, weißt du. Ist wie schäumender Wein, sein Blut. Er wird dir nachher neue Kleider kaufen, auch wenn's seine Ersparnisse kostet. Aber zuerst eßt ihr.«

«Danke, Väterchen«, sagte Bettina leise.»Er hat mir die Kleider zerrissen, weil ich mich wehrte und ihn biß und kratzte. Ich wollte weglaufen vor ihm.«

«An der Pipeline, Väterchen. Ich war im Dienst«, erklärte Dimi-tri.

Kolka Iwanowitsch vergaß die Pfanne, als Bettina ihre ersten Worte sprach. Wahrhaftig, zum erstenmal vergaß er seinen Speck, und er wurde brauner, als er sein sollte.

Wie sie spricht, dachte er und bekam einen leichten Schwindel. Wie eine Ukrainerin. oder nein, nein. wie eine Deutsche, die Russisch gelernt hat. Da sind die Worte so klar, die Sätze so grammatisch richtig, die Sprache so kühl wie aus einem Eisschrank. Bat-juschka sagt sie… aber nur eine Vokabel ist's, gelernt, ohne den inneren Ton, den ein Russe in >Väterchen< legt. Und dagegen ihre Augen, so voller Güte und Vertrauen. Ein merkwürdiges Mädchen ist's, das muß man sagen. Man wird Dimitri genau befragen müssen, woher sie kommt und wie er sie gefunden hat. Und verliebt ist das Jüngelchen, man sehe nur seine glänzenden Pferdeaugen. Wie ein Affe springt er herum, holt Teller und Tassen und benimmt sich wie ein Idiot. Es werden schwere Tage werden, Kolka Iwanowitsch.

Dann aßen sie. Dimitri erzählte von den Manövern in den Bergen und wie er den Feldwebel angebrüllt hatte. Und noch während sie aßen, sank der Kopf Bettinas herunter, und sie schlief im Sitzen ein. Im Halbschlaf ließ sie sich von Dimitri ins Nebenzimmer führen, und so, wie sie war, in dem langen Pullover, fiel sie auf das Bett und schlief, kaum daß sie lag.

«Man muß sie ausziehen, Väterchen«, sagte Dimitri besorgt. Aber Kolka hielt ihn fest.

«Nicht alles auf einmal, Söhnchen«, sagte er und drückte ihn aus dem Zimmer.»Sag einmal, wo kommt sie her?«

«Von ihrer Hexe Dunja. Ihr Vater.«

«Wo lebt denn diese Dunja?«

«Ich weiß es nicht. Aber sie ist.«

«Ein merkwürdiges Russisch spricht sie. «Kolka setzte die Teller aufeinander und trug sie zum Spülbecken.

«Hast du schon einmal einen Usbeken sprechen gehört? Oder einen Jakuten? Oder gar einen Kirgisen?«sagte Dimitri.

«Geh schlafen!«Kolka zeigte auf eine andere Tür.»Mein Bett ist noch warm.«

«Ich bin nicht müde, Väterchen. Über Wanda will ich mich mit dir unterhalten.«

«Das hat Zeit, Dimitri.«

«Ich liebe sie, Väterchen! Ich verbrenne, als sei die Sonne in mir.«

«Dummheit ist's, weiter nichts!«Kolka ließ heißes Wasser über die Teller laufen. Dabei dachte er daran, wie Wanda Fjodorowa ins Zimmer kam und es ihm war, als sei sie schon seit ihrer Kindheit bei ihm gewesen.

«Ich werde sie heiraten!«rief Dimitri wild.

«Die Idioten sterben nie aus«, sagte Kolka grob.»Vielleicht ist sie eine Landstreicherin?«

«Und wenn sie in der Gosse geboren wurde, Väterchen — ich liebe sie!«schrie Dimitri.

«Halt den Mund! Du weckst sie auf. «Kolka klapperte mit den Tellern.»Geh ins Bett, du dämlicher Bär. Und in vier Stunden wecke ich dich. Dann gehst du ins Kaufhaus und holst ihr neue Kleider.«

«Die schönsten in ganz Tiflis!«rief Dimitri.»Du sollst sehen, Väterchen, wie ein Engel wird sie aussehen, und die Leute werden auf der Straße stehenbleiben, sich umdrehen und sagen: Nein, daß es so etwas unter den Menschen gibt!«

«O Himmel, leg dich hin. Du hast Fieber.«

Kolka wartete, bis Dimitri aus dem Zimmer gegangen war. Dann spülte er das Geschirr ab, trocknete es, räumte es säuberlich in die Schränke, überzeugte sich, daß Dimitri in festem Schlaf lag und schlich dann nebenan in die Kammer, wo Bettina schlief.

Vor dem Bett stand er, sah das Mädchen in dem weiten Pullover an und musterte das trotzige, im Schlaf zuckende Gesicht.

«Wer bist du?«sagte Kolka Iwanowitsch Kabanow leise, beugte sich vor und zog vorsichtig eine dünne Seidendecke über die ausgestreckte Gestalt.»Himmel, wer bist du, Töchterchen? Warum ist mir, als hätte ich dich schon gesehen mit langen blonden Zöpfen?«

Und er blieb an dem Bett sitzen, über eine Stunde lang, und starrte sie an. -

Die Begegnung zwischen Irene Brandes und Wolfgang Wolter in Bonn verlief genau so, wie es Jurij Alexandrowitsch Borokin geplant hatte. Er brachte die junge Boxerhündin Anette von der Hardthöhe zu Irenes Appartement, und sie hatte drei Stunden Zeit, sich mit dem Tier anzufreunden, es zu füttern mit rohem Fleisch und zu lernen, wie man einen Hund dieser körperlichen Stärke fest in die Hand nimmt und kommandiert.

«Gut so«, sagte Borokin zufrieden und tätschelte der schnüffelnden Anette den dicken Kopf.»Muß ich wiederholen, was Ihre Aufgabe ist, Irene?«

«Nein, Borokin. Es wird mir nicht schwerfallen, mich in den jungen Oberleutnant zu verlieben. «Irene Brandes sah noch einmal in den Dielenspiegel. Ihre Eleganz war vollkommen. Kühl wirkte sie, aber von einer Kälte, an der man sich die Finger verbrennen konnte.»Und meine Mutter?«fragte sie, als sie sich abwandte.

«Wir halten unser Wort, Irene. Nach Erfüllung dieses Auftrages können Sie Ihre Mutter in Herleshausen abholen. Sie wird im planmäßigen Interzonenzug sitzen. «Borokin stieß die Tür zum Treppenhaus auf.

«Gehen wir. Oberleutnant Wolter wird schon auf dem Dressurplatz sein. Sie haben mit Ihrem Make-up zu lange gebraucht.«

Wie immer hatte Borokin recht. In Sichtweite des Hundedressurplatzes trennte er sich von Irene Brandes und fuhr zurück nach Rolandseck zur sowjetischen Botschaft. Irene lenkte ihren weißen Sportwagen auf den kleinen Parkplatz, nahm Anette von der Hardthöhe straff an die Hand und ging zum Eingang einer Holzbaracke, an deren Fenster ein Mann saß und rauchte. Auf dem Platz tummelten sich die Hunde, sprangen über Holzwände, krochen durch lange Säcke oder mußten sich auf Kommando hinlegen oder ihre langsam gehenden Herren umkreisen. Oberleutnant Wolter stand noch abseits, seinen schönen Schäferhund an der Leine, und sah zu.