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«Ohne Rubelchen geht man auf die Reise?«fragte er noch einmal.

«Gebettelt habe ich, Väterchen. Drei Wochen lang gebettelt. Um von Dunja wegzukommen, hätte ich den Teufel rasiert.«

«Sieh, Väterchen, welch ein erbarmungswürdiges Geschöpf!«rief Dimitri.»Ein Jammer ist's, diese Dunja nicht züchtigen zu können. Den Hals müßte man ihr umdrehen.«

«Geh das Kleid holen, Dimitri!«sagte Kolka streng.»Mit Schwätzen kann sich keiner anziehen.«

Dimitri rannte hinaus. Sein Kopf glühte. Das ist das Feuer der Liebe, dachte er. Oh, ich Glücklicher. Ein heiliges Feuer ist's! Wie schön sie ist, Wanda Fjodorowa! Und wie hilflos. Gebettelt hat sie, das arme Schwänchen. Und er rannte wie ein Stürmer auf einem Fußballplatz durch die Straßen zum Bazar, zu dem kasakischen Seidenhändler Luban Stepanowitsch Filowjew, und schrie schon in dessen Ladentür:»Brüderchen, ein Kleid brauche ich! Das schönste Seidenkleid von Tiflis! Mit großen Blumen und einem tiefen Hals. Sie kann's tragen, Luban Stepanowitsch. Oh, einen Busen hat sie! Aus Marmor, bei meiner Seele. Ich lüge nicht. Zeig mir ein Kleid, das eine Prinzessin tragen könnte!«

Unterdessen hatte Kolka Iwanowitsch sein drittes Becherchen Kwaß getrunken, stopfte sich eine Pfeife, brannte sie an, paffte den Qualm gegen die Decke und faltete die Hände über dem zufriedenen Leib.

«Erzähl mir aus deinem Leben, Wanduscha«, sagte er dann.»Ich bin ein neugieriger alter Mann. Alte Männer sind wie Marktweiber; sie können über einen Kohlkopf eine Stunde reden. Wo bist du zur Schule gegangen?«

«In unserem Dorf, Väterchen«, sagte Bettina. Sie spürte, wie Gefahr von Kolka zu ihr herüberschlich. Wie ein klebriger Strom war es. Wie Leim, der über die Dielen rinnt und sie festkleben würde, wenn er sie erreichte.

«Ein guter Lehrer, Töchterchen. War er strafversetzt aus der Stadt?«

«Ich weiß es nicht. Wir nannten ihn Onkelchen Gurjan.«

«Und du hast Mist gefahren und die Schafe geschoren?«

«Nein. Ich war im Büro des Brigadiers für Weizen.«

«Aha! Aha!«machte der alte Kolka und blies den Rauch wieder gegen die Decke.»So ist das. Und da geht man einfach weg wegen des Stiefmütterchens Dunja? Und bettelt sich bis Tiflis. Das ist ein merkwürdiges Leben, Töchterchen. Sind wir noch im achtzehnten Jahrhundert? Gibt es keine Post, kein Telefon, keinen Zug, kein Auto? Kann man Onkelchen Wanja nicht benachrichtigen? Muß man wie eine Ratte durch die Berge laufen? Erklär es mir mal, Wanduscha.«

Bettina atmete ein paarmal tief auf. In den grauen Augen Kolkas sah sie das Glimmen des Mißtrauens.

«Es ist alles so furchtbar«, sagte sie und begann schnell zu weinen. Eine Flucht war's, denn wer wagt es, wenn er ein fühlendes Herz in der Brust trägt, ein weinendes Mädchen weiterhin so scharf zu fragen?

Kolka Iwanowitsch Kabanow kaute an seinem Pfeifenmundstück. Zufrieden war er nicht mit der mageren Auskunft. Keine Logik war darin. Ein verliebter Tropf wie Dimitri, ha, der glaubte es, wenn man nur schön mit den Äuglein klappert. Aber einen alten Mann betrügen, dessen Herz im Eiswind Sibiriens zu Leder wurde, wer schafft das schon? Und als Kolka bei diesen Gedanken war, biß er heftiger auf seinen Pfeifenstiel.

Sibirien, dachte er. Das ist mein Geheimnis. Das weiß weder Dimitri, noch wußte es Mascha, Dimitris Mutter, als wir heirateten. Niemand weiß es. Aber so ist es. Jeder von uns trägt einen Packen Geheimnisse mit sich herum, und wenn wir sie alle ausschütteten, diese Säcke — die ganze Menschheit könnte man unter diesem Müll begraben.

«Nicht weinen, Wanduscha«, sagte er brummend.»Ein verheultes Weibchen sieht aus wie ein Schweinchen mit Rotlauf. Trink noch eine Limonade. Es ist ja schon gut. gut ist's, hörst du. die Welt ist eben voller Merkwürdigkeiten.«

Als Dimitri zurückkam vom Bazar, das Seidenkleid über dem Arm — denn Packpapier gab es nicht, man müßte es sonst mitbringen —, stand Wanda Fjodorowa am Spülbecken und säuberte das Geschirr. Der alte Kolka saß vor einem krähenden Grammophon und spielte Platten mit donnernden Chören. Aber sie waren verkratzt und so oft gespielt, daß der Gesang klang wie das Stöhnen einer Rinderherde vor der Tränke. Kolka störte das wenig; er kannte jeden Ton, und wenn er genug Wodka getrunken hatte, sang er oft mit.»Auch ich war einmal ein guter Sänger!«brüllte er dann, wenn Dimitri ihn bat, der Nachbarn wegen leiser zu grölen.»Soll ich mich schämen? Ha! Und jetzt den Stenka Rasin! Jetzt gerade! Eine gute Stimme ist ein Geschenk Gottes! Sollen wir lästern, Bürschchen?«

So einer war Kolka Iwanowitsch.

«Welch ein schönes Kleid«, sagte Bettina leise, als Dimitri es hochhielt, als wolle er es auf dem Markt anpreisen.»Viel zu schade ist es für mich.«

«Er hat versprochen, daß du darin aussiehst wie eine Prinzessin, der Luban Stepanowitsch«, rief Dimitri mit glücklich glänzenden Augen.»Zieh es an, Wanda Fjodorowa. Sieh nur, die großen Blumen. Mohn ist es! Ein Mädchen mitten im roten Mohn. Sie werden in Tiflis die Mäuler aufsperren.«

Und so war es auch.

Bettina zog das Kleid an, und als sie aus dem Nebenzimmer herauskam, vergaß Kolka an seiner Pfeife zu kauen, und Dimitri klatschte in die Hände und war sichtbar verwirrt.

«Ein Elfchen«, sagte der alte Kolka.»Ohne Zweifel ein Elfchen.«

Bettina drehte sich im Kreise. Oh, wie raffiniert war das. Das Kleid hob sich von ihren Beinen ab, ein schwingender Reifen wurde der Rock, der höher und höher kletterte bis zu den Schenkeln, und die Brüste zitterten unter dem dünnen Seidenstoff und drückten sich durch, als wollten sie das Gewebe zerreißen.

So etwas macht atemlos, Freunde. Das sind Feierstunden des Lebens. So etwas brennt sich ins Herz ein, unauslöschlicher als jede Tätowierung.

«Es ist Dummheit, heute schon zu Onkelchen Wassilij Iwanowitsch Tschigirin zu gehen«, sagte Dimitri, als Bettina wieder ruhig stand und das Mohnkleid in der Sonne leuchtete, die durch das Fenster fiel wie der Strahl eines grellen Scheinwerfers.»Sag es auch, Väterchen! Sie ist noch zu müde von der langen Reise. Erholen soll sie sich bei uns.«

«Sehr müde ist sie«, sagte der alte Kolka und grinste über seinem Pfeifenstiel.»Kaum bewegen kann sie sich vor Mattigkeit.«

Es wurde ein schöner Tag.

Nach dem Mittagessen, das Kolka wie immer kochte — heute gab es Rassolnike, eine Suppe aus Schweinenieren, Gurken und Sahne trank man noch eine Tasse Tee, und dann führte Dimitri stolz wie ein Pfau die schöne Wanda Fjodorowa durch Tiflis. Zuerst fuhren sie zum Verwaltungsgebäude des Ölkombinats, wo sich Dimitri einen Tag Urlaub holte, was gar nicht so einfach war, denn er mußte dafür vier Fragebogen ausfüllen und genau zwölf Beamte belästigen, bis er den einen Tag bewilligt bekam.

«Wo wollen wir hin, Täubchen?«rief Dimitri lustig, als er endlich wieder auf der sonnenheißen Straße stand.»Die ganze Welt möchte ich dir zeigen, aber dazu ist ein Tag zu wenig.«

«Ich kenne Tiflis nicht. Führ mich hin, wo es schön ist und ich alles vergessen kann«, sagte Bettina. Und es war nicht so dahergeredet, sondern sie meinte es ehrlich. Vergessen, dachte sie. Und wenn es nur für einen Tag ist. Vergessen, daß ich aus den brennenden Trümmern kroch. Vergessen die Angst, in Rußland zu sein. Vergessen, was noch vor mir liegt: der lange Weg in die Freiheit. Und vor allem vergessen, daß ich sie verlassen muß… den guten, alten, mißtrauischen Kolka, dessen Blick so merkwürdig vertraut ist; und Dimitri, den großen, fröhlichen Jungen, der es wert wäre, geliebt zu werden.

Vergessen. Für einen Tag. Wer weiß, was morgen ist?

«In ein Museum könnten wir gehen«, sagte Dimitri und legte den Arm um Bettinas Schulter.»Ins Grusinische Museum der Schönen Künste? Oder ins Lenin-Museum? Wir könnten auch zum Botanischen Garten und in den Wald von Chudiakov fahren. Oder zum Urdschi Monasteri, dem blauen Kloster?«