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Könnte man dann bei Dimitri und Kolka bleiben?

Sie wandte sich ab, deckte die Hände vor die Augen und warf sich aufs Bett.

Dimitri oder Mutter.

Kolka oder Wolfgang.

Es waren keine Fragen mehr. Ein Teufel hatte dies Entweder-Oder ersonnen, und Bettina war zu schwach, um darüber zu entscheiden.

Wer nie in einem solchen Zwiespalt war, wird es auch nie begreifen.

Man hatte nicht zuviel prophezeit, als man General Oronitse schlaflose Nächte und unangenehme Tage voraussagte. Und auch Oberst Jassenskij fühlte sich nicht wohl und kratzte sich mit seinen tabakgebeizten Fingern immer öfter unter der Nase, was bewies, wie nervös er war.

Um es rundweg zu sagen: Sie hatten versagt. Wer Moskau kennt, weiß, daß solche Einsichten angetan sind, die Hose flattern zu lassen. Ein Offizier kann dumm sein, denn nicht allen hat der liebe Gott ein reges Hirn gegeben — aber wenn er einen Befehl gut ausführt, ohne zu denken, ich bitte, was hindert ihn daran, ein guter Offizier zu sein? Wenn er hingegen denken kann und sogar stolz darauf ist, und mit seinem ganzen klugen Hirn kommt er trotzdem nicht weiter als der Blöde, der Wasser mit einem Sieb schöpfen will — dann hat man allen Grund, sich mit Wodka und Papirossy zu trösten.

Die Suche der eingesetzten Bataillone war vergeblich und wurde abgeblasen. Nur die Grenzstationen hatten weiter Alarm und belästigten die Grenzfahrer mit langwierigen Kontrollen. Die Truppen kamen aus den Bergen zurück in die Garnisonen, und General Oro-nitse schickte ihnen einen internen Tagesbefehl, in dem er jeden einzelnen beschimpfte, einen Hohlkopf nannte und eine vierzehntägige Urlaubssperre anordnete.

«Beschämend ist das!«schrie Oronitse in seinem Hauptquartier und hieb auf den Kartentisch.»Zweitausendvierhundert Rotarmisten suchen ein hilfloses Mädchen, und was bringen sie heran? Ihre Uniform! Nichts weiter als ihre ausgegrabene Uniform! Hält man das für möglich?«

«Regen Sie sich nicht auf, Fjodor Nikolajewitsch«, sagte Oberst Jassenskij.»Ich habe es Moskau zu erklären versucht. Dem Himmel sei Dank, daß auch im Kreml Leute aus Grusinien sitzen! Sie kennen das Land und sind wie ich der Ansicht, daß wir warten sollten. In den Bergen, Schluchten und Höhlen wird sich diese Bettina Wolter verbergen, bis sie glaubt, der Sturm um sie habe sich gelegt. Dann kommt sie heraus, und wir fangen sie wie einen Schmetterling.«

«Und wenn er nicht kommt, Ihr Schmetterling?«

«Sie kommt!«Jassenskij lächelte verzerrt.»Wo soll sie denn hin?«

«Vergessen Sie nicht: sie spricht Russisch.«

«Aber jeder Russe merkt, daß es ein gelerntes und kein angeborenes Russisch ist.«

«Und unsere Grenze zur Türkei ist weich. Es gibt Felsengebiete, die kaum kontrolliert werden können. Ab und zu fliegt ein Hubschrauber drüber, das ist alles.«

Oberst Jassenskij kratzte sich wieder unter der Nase. Der Pessimismus Oronitses ging ihm an die Nerven.»Sie ist noch im Lande«, sagte er laut.»Verdammt noch mal, Fjodor Nikolajewitsch, mir wäre es sogar ein Fest, wenn sie noch hier sein würde. Im Vertrauen, das Vögelchen ist uns gar nicht wichtig. Wichtiger ist, daß wir ein Mittelchen für ihren Bruder haben. Über seine Schwester werden wir ihn zu uns locken. Wir wissen jetzt, daß dieser Oberleutnant Offizier des deutschen Militärischen Abschirmdienstes ist. Zwar nur ein kleines Rädchen, aber auch kleine Rädchen können eine Maschine stören, wenn sie sich in der falschen Richtung drehen. Je länger man nichts über diese Bettina weiß, und je länger sie verschwunden bleibt, um so wirksamer können wir den Bruder bearbeiten. So gesehen, lieber Fjodor Nikolajewitsch, war die Suche gar kein Mißerfolg.«

«Da haben Sie recht, Safon Kusmajewitsch«, sagte General Oro-nitse müde.

Man muß Mitglied der GRU sein, dachte er, um mit solcher So-phistik reden zu können. Das nennt man Dialektik, Genossen! Da kann man noch etwas lernen.

Aber die Freude im stillen war nur kurz.

Es war ausgerechnet der Copilot und Funker Paul Andresen, der neue Unruhe zu Oronitse und Jassenskij trug.

Nach langen Untersuchungen und Erklärungen hatte man der deutschen Sachverständigen-Delegation zu verstehen gegeben, daß es sinnlos sei, weiter nach Ursachen zu forschen. Das Unglück war geschehen, es gab genug Augenzeugen, Chefpilot Pohlmann hatte mühsam geschildert, wie es zum Absturz gekommen war, es war eine ganz klare Situation, über die man nicht lange zu diskutieren brauchte.

Die Toten wurden freigegeben und in verlöteten Zinksärgen zunächst nach Hamburg geflogen. Die Verletzten, soweit sie transportfähig waren, brachte man auch zurück nach Deutschland. Nur vier Verletzte blieben im Grusinischen Krankenhaus Nr. I zurück. Schuld daran war Professor Klimenti Kusmanowitsch Semlakow, der Chef des Krankenhauses. Er wehrte sich gegen die Verlegung der vier Patienten, unter denen Pohlmann und Andresen waren, mit der Beredsamkeit eines Marktschreiers.

«Genossen!«sagte er mit heftigen Armbewegungen bei einer internen Besprechung mit Vertretern der maßgebenden Behörden.»Übersehen wir hier einmal die Rechtslage. Darum geht es nicht.

Wir haben die Gelegenheit, an vier verletzten Menschen der Welt zu zeigen, was die sowjetische Medizin zu leisten vermag. Wann hat man schon Gelegenheit, ein solches Forum zu finden? Demichow in Moskau setzte einem Hund einen zweiten Kopf auf, und die Welt war sprachlos. Doch, ehrlich, Genossen, was war's? Eine Spielerei. Kann man einem Menschen den Kopf abschneiden und woanders draufsetzen? Sie lachen. zum Weinen ist's, nutzlose Experimente zu machen. Wenn so etwas möglich wäre, liefen bald alle Großmütterchen mit den Köpfen von Zwanzigjährigen herum. Wobei zu überlegen wäre, wo man die Köpfe herbekommt. «Oh, Professor Semlakow war in Fahrt. Man kannte ihn, und man erwartete jetzt von ihm einen Vortrag, der reizvoller war als eine Aufführung des grusinischen Balletts in der Paliaschwili-Oper.

«Aber hier, Genossen«, rief Professor Semlakow, drückte auf einen Knopf, das Licht erlosch und auf einer großen Leinwand erschien ein buntes Bild; ein Mann in einem Krankenhausbett, den Kopf verbunden, die Brust umwickelt wie eine Mumie,»hier haben wir die Möglichkeit, Reales zu leisten. Ich zeige Ihnen vier Verletzte, an denen wir die sowjetische ärztliche Kunst demonstrieren können: Zwei Männer und zwei Frauen, bei denen wir durch Transplantationen und Korrekturoperationen die zerstörte Natur wiederherstellen können.«

Dann kamen die Bilder, schonungslos die Verwundungen zeigend, verbrannte Körperstellen, zerfetzte Gliedmaßen und ein ehemals schönes Mädchengesicht, das durch eine klaffende Wunde quer durch das Gesicht völlig entstellt war. Irene Heidfeld, die zweite Stewardeß, war es, und durch die Versammlung ging ein mitleidiges Raunen. Auch Paul Andresen wurde gezeigt: seine Kniescheibe war zertrümmert. Professor Semlakow erklärte, daß man die Splitter herausnehmen und die Knochenscheibe durch eine Schnappsehne ersetzen wolle.

Wenn auch die Vertreter der Behörden wenig von dem verstanden, was da medizinisch auf sie an Worten herabregnete — die Bilder überzeugten. Man gab die vier Verletzten als >nicht transportfähig< nicht frei, und Professor Semlakow machte sich daran, mit Hilfe eines Filmapparates, der alles aufnahm, für die Nachwelt zu beweisen, daß die Sowjetunion nicht nur das größte Agrarland der Erde, sondern auch im Besitz der besten Chirurgen war.

So kam es, daß Paul Andresen in Tiflis blieb, während man das Flugzeugunglück vergaß, der Alltag alle Erinnerungen an diese Nacht niederwalzte und nur im Grusinischen Krankenhaus Nr. I noch von den >Deutschen< gesprochen wurde, den Propaganda-Patienten des Professors Semlakow.

Nach zehn Tagen Bettruhe durfte Andresen aufstehen, humpelte an zwei Krücken durch die langen Korridore und durch den Garten. Er besuchte Irene Heidfeld, zu der er sagte, sie sähe aus wie eine Maharani, der Turban stände ihr gut. Und Irene Heidfeld lächelte dankbar, denn man hatte ihr bisher jeden Spiegel vorenthalten, und sie wußte nicht, wie schrecklich ihr Gesicht entstellt war. Dann ging er weiter zu Werner Pohlmann, den man zuerst tot gemeldet und auch zu den anderen Toten gelegt hatte. Einem Milizionär erst fiel auf, daß der >Tote< sich auf die Seite gedreht hatte, denn er konnte sich genau erinnern, ihn auf den Rücken gelegt zu haben. So entdeckte man, daß Pohlmann noch lebte, aber welch ein Leben war es! Sein ganzer Rücken war verbrannt. Mit Kreislaufspritzen und künstlicher Beatmung hielt man ihn am Leben. Er war der Glanzfall des Professors Semlakow.»Noch nie ist es gelungen, einen Menschen mit solchen Verbrennungen dritten Grades lebensfähig zu halten. Ich werde es! Ich bringe ihn durch, Genossen! Er wird mir nicht unter der Hand ersticken.«