Das war ein kluges Wort, denn Bettina dachte gar nicht daran, in Bone brav im Gasthaus der Ölfirma zu warten und Dimitri einen sehnsuchtsvollen Brief in die Wüste zu schreiben. Allerdings sprach sie nicht mehr von dem Gedanken, in die Wüste zu gehen, zumal sie sah, daß man ihr in Bone, anders als in Algier, eher feindlich gegenüberstand. Hier hatte man überhaupt kein Verständnis mehr für eine romantische Liebesgeschichte. Hier ging es um Öl, um Frankreichs Monopol in Algerien, das letzte Bollwerk, das der Grande Nation nach der Unabhängigkeit Algeriens geblieben war. Hier ging es um Milliarden Francs, durch eine blitzende Pipeline gepumpt von den einsamsten Wüstenstationen zur Küste, und um die Ausbeutung unvorstellbarer Erdgasvorkommen, die man gewissermaßen so nebenbei entdeckt hatte und die eine völlig neue Energieversorgung Frankreichs für die Zukunft bedeuteten.
Ein deutsches Mädchen, das einen Russen liebt! Blödsinn! Und so ließ man Bettina völlig ungeschoren, nahm sie wahr, mehr aber auch nicht, betrachtete sie als Gast der Gesellschaft, um den man sich so wenig wie möglich kümmern sollte, und ließ ihr so alle Freiheit, sich in Bone umzusehen und einen Plan zu zimmern, wie ihn noch keine Frau erdacht hatte.
Kapitel 7
Bettina war nicht arm nach Algerien gekommen. Alles Geld, das sie sich erspart hatte, hatte sie von dem Bankkonto abgehoben, bevor sie nach Marseille geflogen war. Nun sah sie, daß die Bank in Bone sehr gern deutsche Mark annahm und einen hohen Kurs in algerischen Franken berechnete. Nur die Hälfte ihres Geldes wechselte sie um, und war für afrikanische Begriffe ein reicher Mensch.
Fünf Tage sah sich Bettina in der Hafenstadt um, dann wußte sie genau, was sie tun würde. Mit der Kaltblütigkeit und dem Mut, die sie schon in Rußland zur eigenen Verwunderung gezeigt hatte, ging sie zu einem arabischen Autovermieter und verlangte einen Jeep und einen wüstenkundigen Fahrer.
«Das ist eine gar nicht so einfache Sache, Mademoiselle«, sagte der Autoverleiher Habib Marmoud. Er sprach ein gepflegtes Französisch und war stolz darauf, vier Jahre die höhere Schule in Constantine besucht zu haben.»Es kommt vor allem darauf an, wohin Sie wollen!«
«Nach Ain Taiba«, sagte Bettina unbefangen.
«Sie wissen, Mademoiselle, daß ich mich strafbar mache, wenn ich Ihnen helfe?«fragte Marmoud zurück.
«Ja. Dafür zahle ich Ihnen auch das Doppelte.«
Es gibt keinen Nordafrikaner, der ein gutes Geschäft vorübergehen läßt. Erst kommt Allah, dann kommt das Geld, und es ist der Wille Allahs, daß jeder auf Erden gut leben soll. Nichts steht im Koran, daß man Geld ausschlagen soll, wenn man es verdienen kann.
«Es gibt nur einen, der den Weg nach Ain Taiba kennt, der nicht über die Ölstraße geht, und das ist Achmed Arbadja. Aber Achmed ist ein merkwürdiger Mensch, Mademoiselle. Man darf keine Angst haben, wenn man mit ihm reist.«
«Ich habe keine Angst, Habib Marmoud«, sagte Bettina fest.»Ich fahre mit diesem Achmed zur Hölle, wenn es sein muß.«
«Dann ist es gut, Mademoiselle. «Marmoud lächelte.»Sie haben es richtig gesagt… zur Hölle. Denn Achmed ist ein Teufel. «Am Abend dieses Tages stand im Hinterhof der Garage, die Marmoud auch noch betrieb, ein Jeep bereit, und im Büro wartete ein Mensch, der Bettina trotz aller Vorwarnungen zutiefst erschreckte.
Er war kein Riese, aber er wirkte wuchtig durch seine breiten Schultern und die Muskelpakete, die durch das dünne Hemd sich wölbten wie hölzerne Kegel. Eine flache, eingeschlagene Nase hatte er, kurzes, schwarzes, wolliges Haar, kleine, stechende Augen, und der Kopf saß fast ohne Hals auf den Schultern wie bei einem Schneemann — Rumpf und Kopf in einem. Über seine breite Stirn zog sich eine wulstige Narbe, auf die Bettina erschrocken starrte, als Mar-moud den finsteren Gesellen vorstellte.
«Die Narbe bekam Achmed Arbadja bei einem Überfall auf eine französische Patrouille in den Aumalebergen. Mit einem Messer schlitzte man ihm die Stirn auf, bis auf den Knochen. Aber trotz der Verwundung kämpfte Achmed weiter, und keiner der Franzosen überlebte. Dann wurde er gesucht. Zehntausend Francs auf seinen Kopf. In den Bergen von Ouled Nail leitete er eine Partisanengruppe. Wie viele hast du getötet, Achmed?«
«Vierhundertdreiundvierzig«, sagte Arbadja. Er hatte eine tiefe, rauhe Stimme, aber sie klang nicht unangenehm.
«Vierhundertdreiundvierzig! Er allein! Mit eigener Hand?«
«Auch neunzehn Deutsche waren dabei. «Achmed sah Bettina ernst an. Sie zog die Schultern hoch, aber hielt seinem Blick stand. Unter ihrer Kopfhaut zuckte es, aber sie dachte an die Wochen in Grusinien, und da wurde sie ruhig und mutiger.»Fremdenlegionäre. Ich mußte sie töten, Mademoiselle. Sie hätten sonst mich getötet. Und es war noch etwas anderes: Sie mordeten für Geld… ich kämpfte für das Vaterland!«
Habib Marmoud setzte sich hinter seinen Bürotisch. Für ihn war die Lage klar, er wartete nur auf Bettinas Worte. Aber als sie nichts sagte, hob er die Schultern.
«Es ist schade, Mademoiselle, aber dieses Geschäft wird wohl nichts, nicht wahr?«
«Warum?«Bettina drehte sich zu Habib um.»Ich nehme Achmed Arbadja! Morgen früh fahren wir los!«Sie griff in die Tasche und zog einen Bündel Geldscheine heraus.»Hier ist das Geld.«
«Nicht morgen früh!«Arbadja erwachte wie aus einer Starrheit. Lautlos glitt der schwere, massige Körper an Bettina vorbei zur Karte des Gebietes Bone, die an der Wand hing. Eine normale Autokarte.»Wir fahren gleich, in der Nacht. Dann ist es kühl für Mademoiselle. Und am Tag schlafen wir. Aber nur, wenn Sie wollen.«
Bettina nickte.»Ich vertraue ganz Ihnen, Achmed. Tun Sie, was Sie für richtig halten. Bringen Sie mich nur bis Ain Taiba und zurück nach Bone.«
«Sie… Sie vertrauen mir, Mademoiselle?«fragte Arbadja leise. Es war, als habe er so etwas zum erstenmal gehört.
«Ja Achmed; wie einem Bruder.«
«Ich werde Ihr Bruder sein«, sagte Arbadja feierlich.»Und ich bringe Sie nach Ain Taiba.«
Habib Marmoud wartete, bis Arbadja das Büro verlassen hatte und sich um den Jeep kümmerte. Von dem kleinen Auto hing in einer Stunde ihr Leben ab; von dem Motor, dem Getriebe, dem Benzinvorrat, dem Wasserreservoir, den Reifen und Achsen und Bremsen. Um alles würde sich Achmed Arbadja kümmern, auch um das Zelt, die Decken, die Büchsen Verpflegung und die Waffen, die er heimlich mitnahm.
«Sie haben einen Teufel gebändigt«, sagte Marmoud anerkennend als sie Arbadja im Hof rumoren hörten.»Allerdings… er ist auch noch nie einem so mutigen Engel begegnet.«
Ein Stunde später fuhr der Jeep durch das nächtliche Bone den Medjerda-Bergen entgegen. Hinter dieser Bergkette, dem letzten Riegel vor der heißen Unendlichkeit, begann die Wüste.
Bettina sah auf ihre Uhr, als sie Bone verlassen hatten. 23.12 Uhr.
Sie merkte sich diese Zeit, auch wenn es sinnlos war. Aber zu dieser Stunde begann die Fahrt in die Hölle, von der sie nicht wußte, wie sie ausgehen würde. Es war wie damals in Tiflis, als sie aus dem brennenden Flugzeugwrack kroch und wegrannte in die Ber-ge.
Achmed Arbadja saß schweigend hinter dem Steuer. Der Jeep kletterte die Bergstraße hinauf, bog dann ab und verließ die normale Route.