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Mit glänzenden Augen stand Achmed Arbadja auf und trat hinaus in die kalte Wüstennacht. Nach Osten wandte er sich, dort wo Mekka lag, und kniete sich in den pulverfeinen Sand. Dann beugte er den Kopf weit vor und legte ihn auf seine in den Sand gedrückten Hände.

«Allah sei Dank!«sagte er laut.»Ich war ein kleingläubiger Mensch. Du läßt sie weiterleben.«

Und dann schlief auch er, eng an Bettina gepreßt, wie ein Hund, der sich mit Anhänglichkeit bei den Menschen bedankt für ein Streicheln, ein liebes Wort oder eine Scheibe Wurst.

Drei Bohrtürme, sieben Baracken, eine Energiestation, ein Magazin und vier Garagenhallen — das ist die Bohrstelle VI südlich der winzigen Oase Ain Taiba.

Hier leben siebenundvierzig Männer, und sie kommen sich vor wie siebenundvierzig Verdammte.

Jeden Tag landen Transportflugzeuge auf dem gewalzten Sandsteifen hinter den Bohrtürmen. Zweimal wöchentlich kommt eine Lastwagenkolonne von Ouargla herunter, der nächsten größeren Wüstenstadt, wo sich auch die Büros, die Magazine und vor allem die Mädchen befinden, die monatlich einmal für zwei Tage Pause von Staub und Hitze besucht werden dürfen. Hier gibt es Bars und Bistros, von denen die siebenundvierzig Männer in der glühenden Einsamkeit träumen, und jeder hat einen Kalender im Spind hängen, auf dem er die Tage abstreicht… noch vierzehn Tage bis zu Jeannes weichen Armen. noch zehn Tage, noch neun, noch fünf Tage, und dann hat man ein Bett und einen weißen Körper neben sich und pfeift auf die Wüste, den Ölgestank, das schal schmeckende Wasser und auch auf die guten, harten Francs, denn man wird gut bezahlt für die Kraft und den Mut, mitten in einem Sandmeer zu leben und sich mit Sandflöhen und Skorpionen zu unterhalten.

Dimitri hatte sich schnell in die Gemeinschaft der rauhen Burschen von Ain Taiba eingelebt. Man nannte ihn schlicht Iwan, dem Sammelbegriff für Russen, und Dimitri ließ es über sich ergehen. Ihm war alles Äußere gleichgültig, auch daß man ihn als ausgebildeten Ingenieur zunächst in den Maschinensaal — wie man die glutheiße Baracke mit den Elektromotoren nannte — steckte, wo er stundenlang nur eine Schalttafel bewachte, die Lager ölte, dauernd Kurzschlüsse zu beheben hatte, weil das Stromnetz überlastet war; eine sture Arbeit, vor der sich jeder andere drückte. Dimitri war es recht so. Hier hatte er Zeit, an Bettina zu denken und an sein schönes Leben, das in Tiflis geblieben war.

Drei Tage nach seiner Ankunft in Ain Taiba kam einer der leitenden Ingenieure zu ihm — mit einem Hubschrauber war er extra wegen Dimitri von Ouargla gekommen — und bestellte ihn in die Vorarbeiterbaracke.

«Es wird Schwierigkeiten geben, Sotowskij«, sagte er ohne lange Einleitung.»Ihre Braut ist in der Wüste verschwunden.«

«Wer?«fragte Dimitri. Er begriff nicht, was der Oberingenieur von ihm wollte. Er hatte keine Braut in Afrika.

«Sie wissen nicht, daß Ihre Braut in Algerien ist?«fragte der Mann aus Ouargla verblüfft.

«Ich habe keine Braut«, sagte Dimitri.»Sie verwechseln mich, Monsieur.«

«Unmöglich!«Der Oberingenieur sah Dimitri irritiert an.»Aus Bone kam die Meldung, daß Ihre Braut, Bettina.«

«Wanduscha!«schrie Dimitri auf. Er schnellte hoch und warf die Arme in die Luft.»Wanduscha ist hier?«Sein Gesicht glänzte, fast wäre er durch das Zimmer getanzt wie ein Tscherkesse.»Brüderchen Oberingenieur, sie ist mir nachgefahren? Sie hält zu mir! Wo ist sie? Wo? Sag schnell, wo ich meine Wanduscha finden kann!«

«Es scheint wirklich ein Irrtum zu sein«, sagte der Oberingenieur und wischte sich über die Augen.»Nicht Wanduscha — Bettina heißt das gesuchte Mädchen.«

«Sie ist es! Sie ist es!«jubelte Dimitri. Er riß den verblüfften Oberingenieur an sich, küßte ihn auf beide Wangen und drehte ihn um sich selbst, als sei er ein großer Kreisel.»Wo ist sie?«schrie Dimitri dabei.»Brüderchen, wo ist sie denn? Ich fahre ihr entgegen.«

«Einen Dreck werden Sie!«sagte der Oberingenieur grob. Er flüchtete aus dem Griffbereich Dimitris und wischte sich den perlenden Schweiß aus dem Gesicht.»Ihre Wanduscha, oder wie das Weibsstück heißt, beschäftigt schon die algerischen Behörden. Allein ist sie in die Wüste, anscheinend, um nach Ain Taiba zu kommen.«

«Ein mutiges Weibchen, ein tapferes Weibchen. sie war es immer«, sagte Dimitri glücklich.

«Ein idiotisches Weibchen!«schrie der Oberingenieur aus Ouar-gla.»Allein durch die Wüste! Das macht nicht einmal ein Irrer! Und wir haben die dicken Köpfe! Himmel und Hölle noch mal, wir haben hier einen knallharten Job, für den es ebenso harte Francs gibt, wir schlafen nicht auf Rosen, sondern auf Pritschen, und als Sie sich bei uns meldeten, wußten Sie, was Sie hier erwartet! Hier ist eine Bohrstelle nach Öl, aber kein Privatpuff!«

Dimitri sah den schreienden Oberingenieur stumm und wehmütig an. Meine Wanduscha, dache er. Kommt durch die Wüste zu mir, und er nennt sie eine Hure. Oh, was sind dies nur für Menschen? Haben sie kein Herz mehr? Verstehen sie nicht mehr, was die Liebe alles vermag? Daß es weder Grenzen noch Völker noch nackte Vernunft gibt, wenn man liebt? Ist er eine Maschine, die Geld produziert?

Und dann tat er etwas, was er in Rußland getan hätte, wenn ein Genosse seine Wanduscha eine Hure genannt hätte: Er trat einen Schritt vor und gab dem Oberingenieur eine schallende Ohrfeige.

An diesem Tage wurde Dimitri von neunzehn Arbeitern der Bohr-stelle VI von Ain Taiba zusammengeschlagen. Er ahnte es vorher, als der Oberingenieur nach dieser Ohrfeige stumm die Baracke verließ und der Vorarbeiter nach einer halben Stunde ins Zimmer kam, mit dem Daumen zur Tür zeigte und sagte:»Komm mal raus, Iwan, aber schnell!«

Und Dimitri trat vor die Tür und sah vor sich eine Gasse von halbnackten, muskelstarken Männern, die ihn mit ausdrucklosen Gesichtern anstarrten und die Hände zu Fäusten ballten.

«Lauf, Iwan!«sagte der Vorarbeiter hinter ihm dumpf und gab ihm einen Stoß in die Nieren.»Bei uns benimmt man sich nicht wie in Sibirien. «Dimitri wollte etwas erklären. Sibirien, wollte er sagen. Was habt ihr bloß alle gegen dieses herrliche Land? Wie benimmt man sich denn da, he? Friedliche Menschen sind's. Menschen wie wir. Und Freunde hat man in der Taiga, Freunde bis an den Tod! Aber er schwieg. Sinnlos war's, jetzt noch zu reden. Er sah in die harten Augen der Männergasse, er fühlte einen neuen Stoß in seinem Rücken, und er sah den Oberingenieur an einem Auto stehen und das Strafgericht beobachten.

Da ging er… ja, er ging, ganz langsam, nicht wie man erwartet hatte, daß er renne wie um sein Leben… die Hände auf dem Rücken, den Kopf weit in den Nacken, schritt er durch die Gasse der halbnackten schwitzenden Männerleiber, und die harten Fäuste hatten plötzlich keine Kraft mehr, nicht die, die man gern hineinlegen wollte, denn so einen Menschen hatte man noch nicht gesehen, auch nicht in der Wüste, der durch eine schlagende Gasse ging und die Hiebe hinnahm wie ein Streicheln.

Am Ende des Weges fiel Dimitri in den Sand, mit dem Gesicht zuerst, ebenso stumm, wie er seinen Weg gegangen war. Man ließ ihn liegen, nur der Vorarbeiter schüttete einen Eimer Wasser über ihn, das aber verdunstete, bevor Dimitri aus seiner Ohnmacht erwachte.

Er kroch in seine Baracke und legte sich auf sein Bett, aber in der Nacht schlich er sich wieder hinaus, kletterte auf das Dach der Garage und hockte sich hier auf das Wellblech, sah hinaus in die jetzt kalte, unter den Sternen herrliche Wüste und wartete auf Bettina.

Am nächsten Tag kümmerte sich keiner um ihn. Seinen Arbeitsplatz hatte ein Türke eingenommen. Er bekam von der Küche kein Essen mehr. Er war wie Luft, man sah durch ihn hindurch und rannte ihn um, wenn er jemandem im Wege stand. Ain Taiba hatte ihn ausgestoßen. Er war vogelfrei.