Выбрать главу

Plötzlich waren sie da, spukhaft aus den Dünen auftauchend, fast lautlos umfuhren sie die drei Bohrtürme, die wie Skelettfinger in den Nachthimmel ragten, und hielten vor der großen Verwaltungsbaracke. Die Nachtwache, in einem Wachhäuschen neben dem Maschinenhaus, schlief. Es war gegen drei Uhr morgens. Was sollte hier schon passieren? Die Zeit der Rebellenüberfälle war vorbei. Niemand zerstörte mehr die Pipeline oder steckte die Bohrtürme in Brand, denn auch Algerien verdiente gut an den Erdöl- und Erdgasvorkommen, die französische Geologen entdeckt und erschlossen hatten. Wozu also noch die dumme Wache?

Der leitende Ingenieur von Ain Taiba staunte nicht schlecht, als man an seine Tür klopfte. Er sah auf die Uhr, fluchte und sprang aus dem Bett. Als er die Tür aufriß und auf dem Flur ein staubbedecktes Mädchen mit einem grinsenden Araber stehen sah, fragte er nicht lange, wer das sein könnte. Er seufzte tief auf, schüttelte

den Kopf, trat zur Seite und zeigte ins Zimmer.»Treten Sie ein, Mademoiselle«, sagte er nicht gerade ausgesprochen freundlich.»Seit Tagen erwarten wir Sie. Entschuldigen Sie meine Aufmachung, aber ich bin auf nächtliche Besuche nicht eingerichtet. «Er war einen Bademantel über seinen Schlafanzug, machte Licht und betrachtete Bettina, die zögernd ins Zimmer kam. Eingefallen und elend sah sie aus, mit tiefliegenden Augen und unendlich müde. Arbadja, der ihr folgte, zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen. Nur machte er den Eindruck, als sei er in einen Mehltrog gefallen, so mit Staub überzogen war er.

«Sind Sie krank?«fragte der Ingenieur und holte aus einem Eisschrank Wein und Mineralwasser.

«Ich habe gerade mit knapper Not ein Fieber überstanden. «Bettina setzte sich an den Tisch, der vor dem Fenster stand. Nun, da sie am Ziel war, verließen sie alle Kräfte. Sie kam sich vor wie hundert Jahre alt, gebrechlich und von einer unstillbaren Sehnsucht nach ewiger Ruhe.

«Trinken Sie. «Der Ingenieur hielt ihr ein großes Glas mit kaltem Wasser vermischten Weins vor den Mund. Dann sah er sich um zu Achmed Arbadja und musterte ihn mit einer gewissen Hochachtung.»Ihr seid durch den Erg gekommen?«

«Ja!«antwortete Arbadja kurz.

«Das war doch Selbstmord!«

«Für einen Europäer«, sagte Arbadja stolz.

Es dauerte eine halbe Stunde, bis Bettina sich soweit erholt hatte, daß sie klarer denken und handeln konnte.»Ich werde Sotowskij holen«, sagte der Ingenieur.»Nein, bleiben Sie sitzen, Mademoiselle, ich hole ihn allein.«

Das hatte seinen guten Grund. Die Gemeinschaft von Ain Taiba hatte Dimitri nach der Prügelszene formell ausgestoßen. Man warf sein Bettgestell aus der Baracke, und er schleppte es in den alten, baufälligen, nicht mehr gebrauchten Materialschuppen, der noch aus den Anfängen der Bohrtätigkeit übriggeblieben war, und zwischen alten Maschinenteilen, verrosteten Eisenträgern und abge-

schabten Bohrköpfen, zwischen Kisten und Säcken, in denen sich Skorpione und Sandvipern eingenistet hatten, schlief Dimitri, hauste wie ein Einsiedler, mußte von seinem ersparten Geld sich das Essen kaufen — aber erst dann, wenn die anderen des Trupps schon gegessen hatten, und meist war es nur ein halber Teller, der übrigblieb, und niemand kümmerte sich um den verrückten Iwan, der sibirische Manieren einführen wollte, wie der Vorarbeiter gebrüllt hatte.

Dimitri schrak hoch, als ihn jemand an den Schultern rüttelte.»Aufstehen!«schrie ihm eine Stimme ins Ohr.»Besuch aus Deutschland.«

«Wanduscha!«schrie Dimitri hell. Mit einem Satz war er aus dem Bett, stieß den Ingenieur zur Seite, rannte hinaus, sah den Jeep vor der Verwaltungsbaracke stehen, und dann wiederholte sich die nächtliche Szene von drei Tagen vorher, er warf die Arme hoch und brüllte in die Nachtstille hinein und stolperte durch den Sand, und Ar-badja ließ ihn vorbeilaufen und ging ihm aus dem Weg, als er ihm im Flur begegnete.»Wanduscha!«stöhnte Dimitri, als er die Tür aufriß.»Ich habe gebetet. zum erstenmal im Leben habe ich gebetet. und du bist da! Du bist da! O mein Gott!«

Vor dem Haus hielt Arbadja den Ingenieur fest, der Dimitri folgen wollte.»Laß sie jetzt allein, Herr«, sagte er.»Das Glück der Liebenden ist ein Geschenk Allahs und gehört nur ihnen allein.«

«Ihr habt für alles einen Spruch«, meinte der Ingenieur und lächelte sauer.»Aber ich will nur in die Telefonzentrale. Erlaubt das mein Wüstenfuchs?«

Achmed Arbadja zog die Lippen hoch. Sein weißes Gebiß leuchtete aus dem staubigen Gesicht. Er gab keine Antwort, aber er ließ den Ingenieur los. Stolze Teufel sind sie alle, diese Weißen, dachte er. Aber was hilft's? Man muß mit ihnen leben.

In Bone fluchte der Direktor nicht minder kräftig wie sein Ingenieur in der Sahara, als ihn das Telefon aus dem schönsten Morgenschlaf schreckte. Neben ihm lag eine dunkelhaarige Schöne, die trotz des Klingelns weiterschlief.

«Was ist?«schrie der Direktor ungnädig.»Ain Taiba? Himmel noch mal, was soll das? Brennt ihr ab? Das wäre der einzige Grund, mich aus dem Schlaf zu holen.«

Aber es zeigte sich, daß es auch noch einen anderen Grund gab. Mit immer größerer Verblüffung hörte er sich den Bericht aus der Wüste an und schabte sich dabei mit den Fingernägeln über die Brust.

«Das hat es noch nicht gegeben!«sagte er ehrlich, als der Ingenieur in Ain Taiba schwieg.»Wie sieht das Weib denn aus?«

Direktor Paul Servante war einen Tag später aus dem Urlaub gekommen, nachdem Bettina aus Bone verschwunden war. Er hatte auf seinem Schreibtisch nur die Berichte vorgefunden und Bettina eine >hysterische Ziege< genannt. Zu Hause in Lyon hatte er eine liebende Gattin und drei Kinder, womit erklärt ist, daß die schwarzhaarige Schönheit in seinem Bett lediglich zur Wüstenverpflegung gehörte.

«Hübsch ist sie auch noch?«rief Direktor Servante verblüfft.»Was man nicht alles erlebt! Natürlich, ich spreche heute morgen gleich mit Marseille. Wenn dieser Dimitri nach Hause will.«

«Er hat einen Dreijahresvertrag unterschrieben«, sagte der Ingenieur in Ain Taiba.»Aber, ehrlich, wir sind froh, wenn er wieder geht. Er mag ein hervorragender Fachmann sein, aber für die Wüste ist er nichts. Wenn es möglich ist, lassen Sie ihn ziehen. Annullieren Sie den Vertrag.«

Die Antwort aus Marseille kam schnell, und Direktor Servante in Bone freute sich darüber. Der Vertrag war ungültig, wenn Dimitri das Handgeld zurückzahlte, das er bekommen hatte.

«Ich zahle jede Summe, wenn Dimitri zurück kann nach Deutschland«, sagte Bettina in Ain Taiba, als der Ingenieur die Nachricht überbrachte.

«Wir sind ja keine Raubtiere«, antwortete der Ingenieur mit einem Anflug von Galanterie.»Und gerade wir Franzosen haben das größte Verständnis für die Liebe.«

Es war lustig anzusehen, wie Bettina darauf rot wurde und zu Boden sah wie ein kleines, verliebtes Mädchen, und Dimitri umarm-te den Ingenieur, was dieser gar nicht gern hatte, auf jeden Fall nicht von Dimitri.

Von nun an ging es sehr schnell. Mit einem Lastwagen fuhren sie nach Fort Lallemand, und weder Bettina noch Dimitri blickten zurück, als sie Ain Taiba verlassen hatten und die einsamen Bohrtürme zwischen Wüste und glutendem Himmel wegschwammen. Sie wollten nicht zurücksehen. Einem Irrtum trauert man nicht nach. Was Ain Taiba aber für Dimitri bedeutet hatte, das sagte er keinem, weder Bettina noch seinem Ziehvater Kolka. Nie mehr sprach er über die kleine Oase. Nur zwei Narben an seinem Körper erinnerten ihn stumm an jenen Tag, an dem er durch die Gasse der Schlagenden gegangen war, hocherhobenen Hauptes wie ein Bär, der aufrecht stirbt, weil er der König Grusiniens ist.

Hinter dem Lastwagen hüpfte der Jeep mit Achmed Arbadja am Steuer. Auch er hatte einen Triumph im Herzen. Nicht das verdiente Geld machte ihn fröhlich, sondern der Sieg über die Weißen. Er hatte Ain Taiba erreicht trotz Patrouillen, Hubschrauber und Bewachung. Er hatte die Wüste bezwungen, und Allah war sichtbar bei ihm gewesen.