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Und das mit nur zwei Wörtern.

»Vollkommen korrekt.«

Ohne dass er sich dagegen wehren konnte, war Kochs Arroganz urplötzlich verpufft. Sein Instinkt sagte ihm, dass das Verhör durch den UB-Beamten lediglich ein Vorgeplänkel gewesen war, und so war er instinktiv auf der Hut.

Die Reaktion des Schattenmannes ließ nicht auf sich warten. »Na also«, heuchelte er erleichtert und stieß sich mit an Trägheit grenzender Lässigkeit vom Türbalken ab. »Wurde aber auch Zeit.«

»So glauben Sie mir doch, verdammt noch mal!«, beschwor Koch den muskulösen, sich nahezu lautlos auf ihn zubewegenden Anzugträger mit unverkennbar russischem Akzent. »Ich …«

Im Verlauf seiner Haft und insbesondere während des Krieges hatte Erich Koch alle nur erdenklichen Arten von Verletzten und Getöteten zu Gesicht bekommen. Nahe gegangen war ihm dies nicht. Im Falle des durchtrainierten, über 40 Jahre alten Russen, dessen komplette linke Gesichtshälfte durch eine hässliche Brandwunde entstellt war, verhielt es sich jedoch anders. Er hatte etwas an sich, das ihn zu einem willenlosen Befehlsempfänger degradierte, nicht etwa nur wegen seines Gesichts oder der Klappe, hinter der er sein linkes Auge verbarg. Nein, dieser Schlägertyp war anders, auf eine Art, die schwer in Worte zu kleiden war. Abgesehen von seiner Brandwunde, die seinen Kontrahenten automatisch das Fürchten lehrte, waren es vor allem sein penibel zurechtgestutzter Bürstenschnitt, das rötliche Haar und die pockennarbige Haut, die den muskelbepackten Hünen geradezu unverwechselbar machten. Verstärkt wurde Kochs Eindruck durch dessen Tonfall, mitunter sarkastisch, ab und an einschüchternd und rau. Eine Stimme, die sich jedem, insbesondere Koch, auf Anhieb einprägte. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo sich das Zimmer …«

»Genug.« Mit einem Lächeln im blutleeren Gesicht, aus dem das nahezu wimpernlose, wie erstarrt wirkende rechte Auge besonders hervorstach, hatte der Fremde neben Koch Position bezogen und richtete den Blick auf die gegenüberliegende Wand. Als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt, bot er dem polnischen Geheimdienstoffizier daraufhin die Fläche der Hartgummiprothese dar, welche seine rechte Hand ersetzte. »Ihre Waffe, Genosse!«, forderte er seinen polnischen Kollegen auf, die Stimme, in der ein Hauch von Unmut mitschwang, deutlich erhoben.

Der Beamte des polnischen Staatssicherheitsdienstes stutzte, tat jedoch, was von ihm verlangt wurde und zog eine Tokarew Kaliber 9,2 mal 18 Millimeter aus dem Halfter unter seinem Jackett hervor. »Hier Ge…«, begann er, ein leichtes Stirnrunzeln auf dem verdutzten Gesicht.

Genug Zeit, sein Unbehagen zum Ausdruck zu bringen, hatte Guzik indes nicht. Denn kaum lag die Waffe in seiner Hand, riss der Unbekannte die Tokarew empor, zielte mit der Linken auf die Stirn des UB-Offiziers und jagte ihm eine Kugel durch den Kopf. Immer noch das gleiche, durch den jähen Tod wie eingefroren wirkende Stirnrunzeln im Gesicht, verharrte der polnische Leutnant zunächst auf der Stelle.

Dann beschrieb er einen Halbkreis und brach mit ersticktem Gurgeln zusammen.

All das war so schnell gegangen, dass Koch zunächst dachte, er habe geträumt. Den Mund halb offen, wandte er sich ruckartig um, den Blick wechselweise dem Toten und seinem Henker zugewandt. Während all der Jahre, in denen er sich als Kriegsverbrecher betätigt hatte, war ihm so etwas nicht untergekommen. Erst als er die Blutspritzer an der Wand registrierte, wusste er, dass die Exekution des Polen keine Einbildung gewesen war.

Erich Koch war sprachlos. Und das wollte bei einem wie ihm etwas heißen.

So schnell würde der einstmals wortgewandte Parteibonze die Sprache auch nicht wiederfinden. Dafür sorgte allein der Lauf der Tokarew, den er plötzlich an seiner Stirn spürte. Und die Stimme, mit der die nun folgenden Worte untermalt waren: »Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle«, hallte sie von den schalldichten Wänden wider, »mein Name ist Kirow, Igor Kirow.« Der Fremde pausierte, fuhr mit der Zungenspitze über die Oberlippe und gestand: »Nur ein Pseudonym, wie ich korrekterweise betonen muss.«

Vor Angst wie gelähmt, rührte sich Koch nicht vom Fleck.

»Warum ich mich dann überhaupt vorgestellt habe, wollen Sie wissen?«, erriet der Unbekannte Kochs Gedanken. »Ganz einfach, weil mir korrekte Umgangsformen am Herzen liegen.« Stolz auf seinen makaberen Scherz, grinste der Rothaarige über beide Backen. Wenig später war seine Heiterkeit jedoch verflogen. »Was meine Erklärung für diesen in der Tat höchst bedauerlichen Vorfall betrifft, Herr Gau­leiter – einstweilen nur so vieclass="underline" Ich werde die polnischen Genossen glauben machen, der junge Kollege habe die Beherrschung verloren, sei mit gezückter Waffe auf Sie losgegangen. Schon gewusst, dass sein Heimatdorf von der SS ausgelöscht worden ist?«

Der Angesprochene senkte den Kopf und schwieg.

Nicht so der Unbekannte, der den Druck auf Kochs Stirn spürbar verstärkte. »Ein kurzes Gerangel, um einen Akt unzulässiger Selbstjustiz zu verhindern, ein Schuss – und schon hauchte mein heißblütiger Kollege sein Leben aus.« Der Fremde sah Koch Beifall heischend an. »Durchaus plausibel, oder?«

»Was wollen Sie von mir?«

Der Mann mit der Augenklappe brach in Gelächter aus. »Das Gleiche wie dieser bedauerliche Tropf da«, antwortete er und wies mit dem Kopf nach rechts, wo sich der Leichnam Guziks befand. Aus dem Schädel, den das Projektil mühelos durchschlagen hatte, sickerte immer noch Blut, die mit Hirnmasse und Knochensplittern vermischte Lache breitete sich rasend schnell aus.

Nein, so etwas hatte Erich Koch, notorisch bekannter Massenmörder, wirklich noch nicht erlebt.

Und würde es auch nicht mehr erleben.

»Was ich von Ihnen will?«, knurrte der Unbekannte, drückte Koch mithilfe seiner Tokarew den Kopf in den Nacken und öffnete den Reißverschluss seiner Hose. »Meinen Sie das, was Sie gerade von sich gegeben haben, wirklich ernst?«

»Ob Sie es mir nun glauben oder nicht, ich habe keine Ahnung, wo sich das Bernsteinzimmer …«

»Verzeihung, Herr Reichsverteidigungskommissar –«, ließ der Rothaarige Koch erst gar nicht ausreden, während sich sein Urin über dessen Häftlingskleidung ergoss. »Aber das nehme ich Ihnen nicht ab.« Und brüllte ihn nach Verrichtung seiner Notdurft an: »Wo ist das verdammte Zimmer abgeblieben? Raus mit der Sprache!«

8

Hyannis Port, Massachusetts / USA | 21.30 h Berliner Zeit

Es war ein Nachmittag, wie er ihn liebte. Von jenseits des Nantucketsunds strich der Wind über die Dünen, und auf dem Meer, wo es von Segelbooten und Jachten nur so wimmelte, bildeten sich silberne Schaumkronen. Am wolkenlosen, zwischen azurblau und violett wechselnden Firmament erstrahlte die Sonne, nicht so heiß wie im Hochsommer, doch warm genug, damit er es sich auf der Veranda bequem machen konnte. Hier, nur einen Steinwurf vom smaragdfarbenen Atlantik entfernt, dessen Wellen im feinkörnigen Sand verebbten, ließ es sich leben, weit weg von Washington, das ihm stets aufs Neue wie eine Schlangengrube vorkam. An einem Tag wie heute, eingehüllt von dem Geruch nach Meersalz, Dünengras und Rhododendronblüten, gelang es ihm, sich vollends zu entspannen, und wenn er an die Schwierigkeiten dachte, in denen er steckte, hatte er das auch dringend nötig.

Was er jetzt brauchte, war Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe. Und einen kühlen Kopf. Der braun gebrannte, mit Lackschuhen, dazu passender Stoffhose und einem weißen Tennis-Pullover mit V-Ausschnitt bekleidete Blondschopf jenseits der 30 schenkte sich einen Jim Beam ein, ließ einen Eiswürfel in sein Whiskeyglas fallen, hob das Glas zum Mund – und stellte es auf dem Verandageländer ab. Besser, so die blitzartige Erkenntnis, er ließ die Finger von diesem Zeug. Angesichts der Klemme, in der er steckte, brauchte er einen klaren Kopf. Einen klaren Kopf und kühlen Verstand. Sonst war er ein für alle Mal geliefert. Goodbye Villa, goodbye Segeljacht, goodbye Polo-Klub!, würde es dann heißen. Und das, vor allem das drohende Ende seiner Karriere, galt es zu verhindern.