Um jeden Preis.
Die sorgsam manikürte linke Hand auf das weiß gestrichene Geländer gestützt, warf der Herr über das größte Anwesen weit und breit einen Blick auf die sündhaft teure Rolex, die er bei Tiffany’s in New York erstanden hatte, und blickte mit nachdenklicher Miene auf den zusehends stürmischeren Atlantik hinaus. Um in Ruhe über alles nachdenken zu können, hatte er dem Personal seiner im Kolonialbaustil errichteten 15-Zimmer-Villa freigegeben. In einer Situation, die ihm alles abverlangte, konnte er keine Domestiken brauchen. Und erst recht keine Nachbarn vom Kaliber dieser neureichen Kennedys, die sich am Wochenende hier breitmachten und seine Nerven über Gebühr strapazierten.
Er brauchte jetzt Ruhe, sonst nichts.
Oder am Ende vielleicht doch einen Jim Beam?
Na, wenn schon, sagte sich der ungekrönte König von Cape Cod, trank sein Whiskeyglas leer und machte sich auf den Weg zum Strand. Dort würde er in Ruhe über alles nachdenken, wie immer, wenn er Ärger am Hals hatte.
Der gelernte Jurist und Harvardabsolvent, den man ebenso gut für einen Dressman hätte halten können, hatte die Dünen fast erreicht, als er plötzlich das Telefon schrillen hörte. Unschlüssig, ob er den Anruf entgegennehmen sollte, schob er die weiße Schiebermütze in den Nacken und blieb stehen. Dann machte er kehrt und trottete gemächlichen Schrittes zum Haus zurück, in der Hoffnung, der Anrufer, um den es sich höchstwahrscheinlich handelte, würde wieder auflegen.
Doch weit gefehlt.
Im Salon angekommen, ließ sich der begehrteste Junggeselle im Umkreis von 100 Meilen in einen ledernen Ohrensessel fallen, wandte sich der Empire-Kommode aus Mahagoni zu und griff zum Hörer. »Grant hier«, sprach er mit fester, ganz und gar nicht seinem Naturell entsprechender Stimme. Und dann: »Ja, bitte?«
Die Antwort war ein asthmatisches Keuchen, ein Röcheln, Würgen und Schnaufen, das ihm nur allzu bekannt vorkam. Gregory Boynton Grant, stellvertretender Direktor der CIA, hielt den Atem an. Die Hand, die den Hörer umschloss, begann zu zittern, und der Drang, wieder aufzulegen, wuchs mit jeder Sekunde, während er auf eine Antwort wartete.
»Schön, Ihre Stimme zu hören, Grant«, drang es schließlich an sein Ohr, seltsam verzerrt und bar jeglichen Gefühls. »Hatten Sie einen schönen Nachmittag?«
»Bislang schon.«
Anstelle einer Antwort, die Grant mit angespannter Miene erwartete, war am anderen Ende der Leitung erneut ein Keuchen zu hören, und obwohl er wusste, dass die Tage des Anrufers gezählt waren, konnte er sich eines Fröstelns nicht erwehren. »Der gute … der gute alte Greg – immer zu einem Späßchen bereit«, stieß sein Gesprächspartner hervor, unterbrochen von einem Hustenanfall, nach dessen Ende er mit brüchiger Stimme hechelte: »An Ihrer Stelle, mein lieber Grant, würde ich mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen.«
»So. Meinen Sie.«
»In der Tat.« Ein spastisches Keuchen, gefolgt von einem weiteren Hustenanfall, und die Worte: »Wenn ich ehrlich bin, Greg, ich hätte Sie für klüger gehalten. Und für dankbarer. Nach allem, was ich für Sie getan habe, machen Sie es mir nicht gerade leicht. Dabei verlange ich wahrlich nichts Unmögliches. Lediglich eine … nur eine kleine …«
»Gefälligkeit?«
»Wie schön, dass wir uns verstehen«, würgte die Stimme am Telefon hervor. »Und darum lassen Sie uns nunmehr zu meinem Anliegen kommen.«
»Oder Erpressungsversuch, je nachdem.«
Mit seiner Geduld offenbar am Ende, verschärfte der Anrufer seinen Ton. »Junger Freund –«, zischte er maliziös, woraufhin Grants Widerstand fast augenblicklich erlahmte, »ist Ihnen überhaupt klar, an welch seidenem Faden Ihr Wohlbefinden hängt? Ja? Gut zu wissen, sonst müsste ich Sie daran erinnern, dass ich es war, der Ihnen aus der Patsche geholfen hat. Oder haben Sie die Hypotheken, an denen Sie zu knabbern hatten, schon wieder vergessen? Oder Ihre Spielschulden? Oder Ihren unglückseligen Hang zu …«
»Genug davon.«
»Ach, wirklich?«, übergoss ihn die Stimme mit ätzendem Spott. »Wenn dem so ist, können wir ja endlich zur Tagesordnung übergehen. Zeit haben wir ja inzwischen genug vergeudet.« Der Zyniker am Telefon wurde leiser, bis zu einem Punkt, an dem Grant ihn fast nicht mehr verstand. »Und – wie weit sind Ihre Bemühungen gediehen?«
»Recht weit, Mister K.«
»Darf man fragen, wie weit? Kommen Sie schon, Greg, ich habe nicht ewig Zeit.«
»Na schön.« Seiner demonstrativ zur Schau getragenen Gelassenheit zum Trotz rutschte Grant auf der Kante seines Sessels hin und her. »Meinem Kontaktmann zufolge stehen die Chancen, in den Besitz des Objekts Ihrer Begierde zu kommen, nicht schlecht.«
»Was Sie nicht sagen!«, rief der Anrufer aus, die Stimme auf einmal so laut, dass sie Grant in den Ohren schmerzte. »Tut mir leid, Greg, für meine Begriffe reicht das bei Weitem nicht aus.«
»So einfach, wie Sie sich das denken, liegen die Dinge leider nicht«, setzte sich Grant vehement zur Wehr. »Wie gesagt – aus naheliegenden Gründen ist mein Kontaktmann gezwungen, mit äußerster Vorsicht zu Werke zu gehen. Der geringste Fehler, und seine Tarnung fliegt auf.« Grant öffnete den Kragenknopf seines Designerhemdes und holte tief Luft. »Wollen Sie das etwa riskieren, Mister K?«
»Wenn Sie mich so fragen, Grant – ja. Hauptsache, wir finden das Versteck.«
»Einmal angenommen, dem wäre so. Was hat ein todkranker Mann davon, wenn er in den Besitz des …«
»… Bernsteinzimmers gelangt? Ganz einfach: die Genugtuung, eines der kostbarsten, wenn nicht sogar das kostbarste Kunstwerk in seinem Besitz zu wissen, welches menschliche Hände je erschaffen haben. Soll ich Ihnen was sagen, Greg? Seit meiner Jugend, der Zeit, in der mein Leben noch nicht von der Funktionstüchtigkeit diverser Maschinen abhing, habe ich davon geträumt, es zu erwerben. Mir vorgestellt, wie es wohl wäre, wenn ich in seinen Besitz gelangte. Vielleicht können Sie das nicht verstehen, Greg, aber es ist so, war so und wird auch immer so sein. Zumindest, solange ich lebe.« Als könne er die Gedankengänge seines Gesprächspartners erraten, fügte der Anrufer, in dessen Händen sich mehr Kunstschätze befanden als in manchem Museum, mit heiserer Stimme an: »Schön und gut, werden Sie sagen, der alte Knacker hat nicht mehr lange zu leben. Wozu also die ganze Aufregung?« Nachdem ein weiterer, ungleich schlimmerer Hustenanfall verebbt war, gab sich Grants Peiniger einen Ruck und flüsterte: »Es ist der letzte Wunsch, den ich auf diesem Scheißplaneten habe. Nur ein Blick auf dieses Wunderwerk, und ich kann getrost sterben.«
»Und dann? Gesetzt den Fall, unsere Suchaktion wäre erfolgreich, was soll aus dem …«
»Das, mein lieber Greg, lassen Sie lieber meine Sorge sein«, erklärte der Anrufer von oben herab, keineswegs so kraftlos, wie man es sich bei einem Todgeweihten vorstellen würde. »Über Dinge, die einen nichts angehen, sollte man sich keine Gedanken machen.« In der Leitung begann es laut zu knistern, und ein durchdringender Pfeifton ließ Grant zusammenzucken. Den Hörer in der rechten Hand, saß er da wie gelähmt, und als er die Muschel wieder ans Ohr presste, war der Mann, dem er auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war, mit seiner Lektion in Sachen Gefügigkeit fast am Ende. Die Pointe, mit deren Hilfe er sie zu krönen gedachte, stand freilich noch aus: »Ach, noch eins, Greg –«, zischte er, während Grant die Linke zur Faust ballte, »sollten Sie die Dummheit begehen, sich meinen Plänen zu widersetzen, wäre dies ein Grund für mich, wider Willen andere Saiten aufzuziehen. Haben wir uns verstanden, Deputy Director?«