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»Sprach Lenin und schickte seine Kinder ins Bett.«

»Selten so gelacht, Genosse.« Außerstande, mit seiner Antipathie hinterm Berg zu halten, ballte Laurin die Faust, bis die Knöchel hervortraten, und bedachte Rembrandt mit einem finsteren Blick.

»Aber, aber, wer wird denn gleich patzig werden«, besänftigte Rembrandt den zwei Köpfe kleineren, ihm hoffnungslos unterlegenen Kontrahenten. »Nur ein kleiner Scherz am Rande.«

»Besten Dank. Was das angeht, ist mein Bedarf gedeckt.«

»Na schön – ganz wie Sie wollen!«, brach es aus Rembrandt ohne erkennbare Anzeichen von Groll hervor. Laurin war völlig überrumpelt. »Dann eben zum Geschäftlichen. Finger weg von der Waffe, Genosse, sonst muss ich andere Methoden anwenden.«

»Was erlauben Sie sich eigentlich? Noch ein Wort, und ich werde mich bei Mielke über Sie …«

»Gar nichts werden Sie. Ihre Waffe – aber ein bisschen dalli! Raus aus dem Halfter und her damit!«

Ein Blick auf Rembrandts ausgebeulten Trenchcoat, und Lippman hatte verstanden. Laurins Tokarew in der linken Hand, nahm Rembrandt die Finger vom Abzug, führte sie zum Mund und sog genüsslich an seiner Zigarette. Gerade so, als sei dies ein gemütlicher Plausch unter Freunden. Geraume Zeit später, als er sie fast zu Ende geraucht hatte, schnippte er die Kippe ins nahe Gestrüpp, zwinkerte Laurin zu und richtete die eigene Waffe auf ihn. »Etwas dagegen, wenn ich Ihnen einen Rat gebe, Genosse?«, fragte er in hochtrabendem Ton.

Die Knie weich wie Butter, schüttelte Laurin den Kopf.

»Ein Berufswechsel stünde Ihnen gut zu Gesicht. Nicht gerade professionell, Ihr Verhalten.«

»Sag, was du von mir verlangst, und dann …«

»Einen Freundschaftsdienst unter frischgebackenen Duzbrüdern«, feixte Rembrandt, »mehr nicht.«

»Und der wäre?«

»Du wirst jetzt in die Grube klettern, den Sarg aufknacken und etwas zutage fördern, das von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Für mich!«, erläuterte Rembrandt süffisant, »damit wir uns richtig verstehen.«

»Fahr zur Hölle, Verräterschwein!«, schleuderte ihm Laurin ins Gesicht, dessen Couragiertheit unmittelbar darauf einen herben Dämpfer erlitt. Die Mündung der Tokarew, die er an der schweißverklebten Stirn spürte, sprach eine zu deutliche Sprache.

Und so tat Willy Lippmann, linientreuer Kommunist und Agent aus Überzeugung, genau das, was sein Gegenüber von ihm verlangte.

Am Fußende des Sarges angekommen, schnappte Laurin nach Luft. Hier wimmelte es nur so von Regenwürmern, Maden und allen nur erdenklichen Kriechtieren, und als er den Blick hob, sah er, wie im Lichtkegel von Rembrandts Taschenlampe ein Borkenkäfer über den Sargdeckel spazierte. Laurin würgte, hätte sich beinahe übergeben. Zum Henker mit dir!, hämmerte es ihm durch den Schädel, das Geräusch des auffrischenden Windes im Ohr, der eine Handvoll aufgehäufter Erde wieder zurück in die Grube wehte. Bisher der Meinung, ihn könne nichts mehr erschüttern, wurde Laurin eines Besseren belehrt. Himmel und Hölle waren keine Erfindung. Vor allem Letztere nicht. Die Hölle existierte wirklich, und der Teufel auch.

»Nur keine Scheu, Agent Laurin!«, rief ihm der Mann, der Lippmanns Eindrücken zufolge in dessen Fußstapfen getreten war, wie aus weiter Ferne zu. »Gleich ist es geschafft.« Rembrandt gluckste. »Jemand wie du wird doch ausgerechnet jetzt nicht schlappmachen. An den Anblick von Toten bist du ja gewöhnt. Und was, frage ich dich, ist denn schon dabei, wenn man einem toten SS-Standartenführer einen kleinen Höflichkeitsbesuch abstattet? Rein gar nichts. Zugegeben, zehn Tage nach der Beerdigung werden gewisse – wie drücke ich mich jetzt möglichst taktvoll aus? – genau! Um deine zarte Kommunistenseele nicht allzu sehr zu strapazieren, tust du gut daran, über den körperlichen Zustand von SS-Standartenführer Hans-Hinrich von Oertzen einfach hinwegzusehen. Absolut normal, dass sich das Fleisch bereits in Wohlgefallen auflöst. Oder dass die Haare gleich büschelweise ausfallen. Oder dass die Knochen langsam zum Vorschein kommen. Über die lieben kleinen Tierchen, die sich an ihm gütlich getan haben, wollen wir gar nicht erst reden.«

Die Tokarew im Anschlag, ließ Rembrandt die Taschenlampe über die Längsseite des Buchenholzsarges gleiten. Hie und da klafften bereits einzelne Löcher, vor denen es von Maden nur so wimmelte.

»Und jetzt zum wichtigsten Teil unserer kleinen Mutprobe«, ließ er theatralisch verlauten, der sich an dem schreckensbleichen Häufchen Elend namens Willy Lippmann einfach nicht sattsehen konnte. »Wenn mich nicht alles täuscht, wirst du in der Brusttasche meines ehemaligen Vorgesetzten ein sorgsam gefaltetes Schriftstück vorfinden. Eine Art Schatzkarte, um dich richtig ins Bild zu setzen.« Auf Rembrandts Gesicht tauchte ein selbstgefälliges Grinsen auf. »Das heißt, du wirst jetzt deinen ganzen Mumm zusammennehmen, den Sarg öffnen, besagtes Schriftstück an dich nehmen und es mir übergeben. Ohne Fisimatenten, versteht sich. Ach ja – das Ritterkreuz, an dem Herrn von Oertzen so sehr gelegen war, kannst du übrigens behalten. Als Belohnung sozusagen.« Rembrandt brach in affektiertes Gelächter aus. »So viel zu deiner Mission. Vorausgesetzt, sie verläuft zu meiner Zufriedenheit, werden sich unsere Wege wieder trennen. Für immer. Hier, Genosse, deine Spitzhacke, damit du dich nicht zu sehr abmühen musst.«

*

»He, was soll das? Hilf mir gefälligst wieder raus, du …«

»Ich höre?« Während Rembrandt das vergilbte und in Plastikfolie eingeschweißte Schriftstück in seinem Trenchcoat verschwinden ließ, blickte er mit versteinerter Miene auf seinen Agenten-Kollegen hinab. Der Wind wurde stärker und das Donnergrollen im Osten rückte langsam näher. »Noch irgendwelche Wünsche?«

»Zieh mich hoch, du Scheißkerl, sonst kriegst du es mit mir zu tun!« Außerstande, ohne fremde Hilfe wieder an die Oberfläche zu gelangen, mobilisierte Laurin seine letzten Kräfte. Die Falle, in die er sich hatte manövrieren lassen, war jedoch zugeschnappt. Sämtliche Versuche, ihr zu entrinnen, von vornherein zum Scheitern verurteilt.

»Mit dir?«, äffte Rembrandt das Gekläffe von Lippmann nach, nur eine Handbreit vom Fußende des Grabes entfernt. »Der größte Unfug seit dem Kommunistischen Manifest, Genosse.«

»Kommst dir wohl reichlich schlau vor, Kanalratte!«, schrie Laurin und drohte seinem Gegenspieler mit der Faust. »Dabei haben sie dich schon lange auf dem Kieker.«

»Und wer sind ›die‹, bitte schön?«, fragte Rembrandt im gewohnten Plauderton und zerquetschte, als sein Kontrahent bereits Morgenluft witterte, Laurins linke Hand. Ohne Gefühlsregung, gerade so, als trete er eine Kippe aus. Dessen Antwort, so denn überhaupt eine von ihm erwartet wurde, ging in einer Mischung aus Schmerzenslauten, Wutgeheul und kläglichem Winseln unter.

»Raus mit der Sprache, du Zwerg!«, fuhr der Oberleutnant der Stasi sein Opfer an, zückte die Tokarew und reckte sie ihm entgegen. »Sonst zwingst du mich dazu, andere Me…«

Fast besinnungslos vor Schmerzen, hangelte Lippmann eine Fotografie aus der Gesäßtasche und reckte sie mit zitternder Hand in die Höhe. »Na, und was jetzt?«

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, riss Rembrandt ihm das Foto aus der Hand, zückte sein Feuerzeug und betrachtete die Aufnahme näher. Bei ihrem Anblick verschlug es ihm die Sprache.

»Gute Arbeit, Lippmann«, murmelte er, weit entfernt von der Abgebrühtheit, die er sonst an den Tag legte. »Gute Arbeit.«

Im Bewusstsein, das eigene Todesurteil unterschrieben zu haben, ließ Laurin seinem Groll freien Lauf. »Etwas dagegen, wenn ich dir einen Rat gebe, Genosse?«, ahmte er den verhassten Oberleutnant nach. »Ein Berufswechsel stünde dir gut zu …«

Weiter kam Willy Lippmann, der sich zu Recht auf der Verliererstraße wähnte, jedoch nicht. Fast zeitgleich mit einem Blitz, der sich unweit des Grabes von SS-Standartenführer von Oertzen in die Erde des Zehlendorfer Waldfriedhofes bohrte, traf ihn eine Kugel aus dem Lauf der Tokarew mitten in die Stirn.