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Mit einer derartigen Präzision, dass ein zweiter Schuss reine Verschwendung gewesen wäre.

»Das zum Thema Berufswechsel«, belächelte ihn Rembrandt, nachdem der Körper seines Widersachers auf dem demolierten Sarg aufgeschlagen war. »Ich hoffe, ihr beide vertragt euch gut.«

Anschließend klemmte er die Tokarew hinter seinen Gürtel, entledigte sich seines Trenchcoats und griff zum Spaten, um die Spuren seiner Tat zu beseitigen.

Es gab noch viel zu tun heute Nacht.

Weit mehr, als ihm lieb war.

13

Berlin-Wilmersdorf, Koenigsallee | 01.45 h

»Du brauchst eine Frau, Tom«, schärfte Luise von Zitzewitz, knapp 80-jährige Witwe eines pommerschen Junkers, ihrem Neffen Tom Sydow ein. An den leichten Schlaganfall, den sie vor gut vier Stunden erlitten hatte, verschwendete sie offenbar keinen Gedanken mehr.

»Na, du machst mir vielleicht Spaß, Tante Lu«, lachte Sydow amüsiert auf, einmal mehr voller Dankbarkeit für die Frau, die ihn immer wieder aufgepäppelt hatte, rückte den Stuhl näher an die Chaiselongue und tätschelte ihre Hand. »Das Wichtigste ist doch wohl, dass es dir wieder besser geht.«

»Ob du’s nun hören willst oder nicht«, insistierte die resolute alte Dame, deren rollendes R im Verein mit ihrer rauchigen Stimme stark an Zarah Leander erinnerte, »du brauchst eine Frau. Nicht morgen oder übermorgen, sondern am besten heute. Punkt.«

Beim Anblick der als spröde verschrienen Hausherrin, die mit Argusaugen über sein Wohlergehen wachte, huschte ein liebevolles Lächeln über Tom Sydows Gesicht. In abgewandelter Form hatte er den gut gemeinten Rat ja bereits aus dem Mund von Lili gehört. Folglich musste etwas dran sein, besonders, wenn zwei so unterschiedliche Frauen wie eine Animierdame und ein pommerscher Dragoner vom Schlage seiner Tante zu der gleichen Schlussfolgerung gekommen waren.

»Und woher nehmen und nicht stehlen?«

»Eine berechtigte Frage«, konzedierte Luise von Zitzewitz, richtete sich trotz abwehrender Gestik von Sydow auf und rückte die Silberbrosche zurecht, eines der wenigen Erinnerungsstücke, die sie auf ihrer Flucht in den Westen hatte retten können. »Wenn du willst, kann ich mich mal für dich um…«

»Untersteh dich, Tante Lu!«, drohte Sydow mit erhobenem Zeigefinger, die Andeutung eines Stirnrunzelns auf dem übernächtigten Gesicht. »Angelegenheiten wie diese möchte ich lieber selbst regeln.« Sydow glättete die Decke, in die sich seine Tante gehüllt hatte, und schob ihr ein Kissen ins Genick. Das half. Die Patientin, dank Spitzenkragen, Lesebrille und hochgesteckter Locken Adele Sandrock[25] zum Verwechslen ähnlich, dankte es ihm mit einem huldvollen Kopfnicken und ließ das Thema auf sich beruhen. »Und außerdem kann ich mich vor Arbeit kaum retten. Ich und heiraten – ein Ding der Unmöglichkeit.«

»Schon wieder ein Mord?«, fragte seine Tante mit lauerndem Blick, wobei das rollende R apokalyptische Ausmaße annahm.

»Und was für einer.«

»Da haben wir’s mal wieder!«, schimpfte Luise von Zitzewitz und ließ das Parkett ihrer guten Stube mithilfe eines Stocks mit Elfenbeinknauf, ihrer bevorzugten Waffe, weithin hörbar erzittern. »Merk dir eins, mein Junge!«, verkündete die alte Dame, während sie kerzengerade auf ihrer Jugendstil-Chaiselongue thronte und den Blick auf das Porträt des ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg heftete, mit dem sie zuweilen geheime Zwiesprache hielt. »Im Verlauf dieses Jahrhunderts hat es zwei Katastrophen gegeben, die unser Vaterland an den Rand des Untergangs …«

»… gebracht haben«, ergänzte Sydow gequält und reichte seiner Tante eine Tasse Tee, um ihre vaterländische Ader nicht über Gebühr anschwellen zu lassen. »Nämlich die Abdankung Seiner Kaiserlichen Majestät und die Inthronisation Adolfs des Wahnsinnigen 15 Jahre später.«

»Exakt!«, bekräftigte seine Tante, wobei ihre Replik in Ermangelung des Buchstabens R eher moderat ausfiel. »Woher weißt du eigentlich, was ich sagen wollte?«

»Kriminalistischer Spürsinn«, witzelte Sydow mit Blick auf Tante Lus gute Stube, in der die Zeit dank Standuhr, Bücherschrank aus der Gründerzeit und einem Ölgemälde, das den 1945 verloren gegangenen Familiensitz derer von Zitzewitz zeigte, stehen geblieben zu sein schien. »Geht einem in Fleisch und Blut über, weißt du.«

»Mag sein«, räumte die Dame des Hauses widerwillig ein. »Und darum, will sagen, um dich auf andere Gedanken zu bringen, solltest du möglichst bald in den Stand der Ehe …«

»Verzeihung, wenn ich einfach so hereinplatze, Frau von Zitzewitz!«, machte Tante Lus Zugehfrau, der es offenbar nicht schnell genug gehen konnte, auf sich aufmerksam. »Da draußen ist ein Herr, der Ihren Neffen dringend zu sprechen wünscht.«

»Um diese Zeit?«, entrüstete sich die alte Dame, drauf und dran, ihren Parkettboden zu ruinieren. »Unerhört!«

Zwei Mal R, mit deutlich anschwellender Tendenz. Aus Sorge um die Konstitution seiner Tante und Furcht vor einer Attacke nach Gutsherrinnenart warf Sydow der Dame des Hauses einen begütigenden Blick zu, tätschelte erneut ihre Hand und begab sich rasch zur Tür.

»Keinerlei Aufregung, Sie wissen schon«, ermahnte Sydow die korpulente, mit Kittelschürze und altbackener Bluse bekleidete Haushälterin, bei deren Anblick ihn der Eindruck beschlich, er sei soeben in die Kaiserzeit zurückkatapultiert worden. »Sonst geht es beim nächsten Mal nicht so glimpflich ab.«

»Gott behüte!«, warf die aufgrund eines allzu proletarischen Vornamens kurzerhand Minna getaufte Zugehfrau ein, als sich die Tür zur guten Stube hinter ihr schloss. »Sie ohne Ihre Tante – das muss man sich mal …«

»Und um wen handelt es sich?«, fragte Sydow, nicht in der Stimmung, sich noch mehr gut gemeinte Ratschläge anzuhören.

»Um einen Herrn Peters«, antwortete die Haushälterin pikiert. »Er sagt, es sei dringend.«

*

»Weißt du was, Tom?«, verkündete ein sichtlich übernächtigter und durchgeschwitzter Heribert Peters, als er sich in den Sessel von Sydows Junggesellenbude fläzte, »ich glaube, du brauchst ’ne Frau.«

»Noch ein Wort, Heribert, und deine Frau wird Witwe.«

Der Gerichtsmediziner hob abwehrend die Hände. »Schon gut, schon gut«, besänftigte er seinen Freund. »War nur so eine Idee. Vor allem, wenn man das Durcheinander hier sieht.«

»Ein Labor wie eine Rumpelkammer, und anderen Leuten Vorschriften machen«, setzte sich Sydow, der Peters insgeheim recht geben musste, eher halbherzig zur Wehr. Im Zusammenhang mit dem Zustand seiner Bude war das Wort ›Durcheinander‹ sehr dezent gewählt, Sauladen im Grunde viel passender. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich Aktenordner, Magazine und Zeitungen, und weil ihm dort langsam der Platz ausging, musste eben die Fensterbank herhalten. Um das Chaos komplett zu machen, lagen überall Klamotten, aufgeschlagene Bücher und Zigarettenschachteln herum, die meisten davon leer. Kurz und gut, in seinen vier Wänden sah es zum Davonlaufen aus, so viel zum Thema Junggesellenleben. »So haben wir’s gern.«

»Chaos oder nicht – ohne mein Labor wäre der Herr von und zu Kuddelmuddel sicher aufgeschmissen, oder?«, lästerte Peters und zwirbelte genüsslich an seiner Augenbraue herum. »Vor allem, was die Datierung von Wasserleichen angeht.«

»Neuigkeiten aus dem Gruselkabinett?«

»Und was für welche!«, versetzte Peters und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Du wirst aus dem Staunen nicht mehr rauskommen, altes Haus.«

»Nicht gackern, legen!«, drängte Sydow, ging zum Kühlschrank und entnahm ihm zwei Flaschen ›Berliner Kindl‹, von denen eine für Peters bestimmt war.

Der lehnte jedoch dankend ab. »Bei dem, was du gleich zu hören kriegst, wäre Sprudel wahrscheinlich passender.«

»Tatsächlich?« Im Begriff, sich das erste Bier des noch jungen Tages zu genehmigen, ließ Sydow den Schnappverschluss wieder einrasten und sah Peters erwartungsvoll an. »Jetzt komm schon, mach’s nicht so spannend.«