»Nennen Sie es, wie Sie wollen!«, fauchte ihn der Anrufer an, offenbar fest entschlossen, sich von Grant nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen. »Damit Sie Bescheid wissen – Mielke und Zaisser haben anscheinend Lunte gerochen. Die lassen mich beschatten, kapiert?«
»Woher wollen Sie das …«
»Ein Foto von unserem kleinen Tête-à-Tête im Café Kranzler vor einer Woche. Geschossen von einem unserer Westberliner Agenten. Deutlicher kann ein Warnschuss nicht ausfallen, oder?«
»… so genau wissen?«, hielt Grant dagegen, was nichts daran änderte, dass sich seine Stimme beinahe überschlug. »Und der Agent?«
»Liquidiert«, erwiderte die Stimme dumpf und gab sich nicht einmal die Mühe, mit der Häme, die in ihr mitschwang, hinterm Berg zu halten. »Und neugierigen Blicken für alle Zeiten entzogen. Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub. Was nichts anderes bedeutet, dass der Hort, auf den Ihre Begehrlichkeiten gerichtet sind, zum Greifen nahe ist.« In der Absicht, Grant eine Lektion in Sachen Abgebrühtheit zu erteilen, zögerte Rembrandt die Pointe etwas hinaus. Erst geraume Zeit später, als jener vermutete, die Leitung sei unterbrochen, brachte er sie schließlich an den Mann. »Vorausgesetzt, Sie zahlen einen anständigen Preis dafür.«
Grant glaubte, er habe sich verhört. »Gehe ich richtig in der Annahme, dass wir den Kaufpreis für die Trophäe längst ausgehandelt haben?«
»In der Tat«, bekräftigte Rembrandt und ließ seinen Worten einen provozierenden Lachanfall folgen. »Für eine kleine Gefahrenzulage wäre ich Ihnen trotzdem sehr verbunden. Eine großzügige Erstattung meiner Spesen mit eingeschlossen.«
»Gefahrenzulage?«
»Damit Sie im Bilde sind – aus Gründen, die mit meiner operativen Bewegungsfähigkeit zusammenhängen, war ich gezwungen, mir ein Motorrad zu borgen. Auf gut Deutsch, ich musste es klauen und den Fahrer neutralisieren. Kein Kinderspiel, wenn man bedenkt, wie renitent der gute Mann war.«
»100.000 Dollar, und keinen Cent mehr«, knirschte Grant, während seine Hand die Mingvase umschloss, die er vor gut drei Wochen bei Christie’s ersteigert hatte. »Haben wir uns verstanden?«
»Wenn hier jemand den Ernst der Lage nicht verstanden hat, dann Sie!«, korrigierte ihn Rembrandt amüsiert. »Und darum hören Sie mir jetzt mal gut zu.«
»Einen Teufel werde ich tun.«
»Wetten, dass nicht? Wetten, dass Sie sich ins nächstbeste Flugzeug setzen, eine kleine Spritztour über den Atlantik machen und sich im Kempinski am Kurfürstendamm zu meiner Verfügung halten werden? Und das innerhalb der nächsten zehn Stunden? Wer weiß, vielleicht überlege ich es mir ja noch anders. An zahlungskräftigen Konkurrenten herrscht nämlich derzeit kein Mangel. Wetten, dass Sie alles tun werden, um sie zu überbieten? Wetten, dass Sie klüger sind, als Sie tun, Mister Grant?« Seiner Sache absolut sicher, ließ Rembrandt erneut einige Zeit verstreichen, um schließlich zum entscheidenden Schlag auszuholen. »Wetten, Sie Schwuchtel, dass Sie mir ein Präsent in Höhe von exakt einer Million Dollar aushändigen werden? Fein säuberlich abgezählt und garantiert nicht registriert? Oder glauben Sie wirklich, das Bernsteinzimmer sei für einen Schleuderpreis zu haben?«
*
»Wohin so eilig?«, rief ihm sein Liebhaber hinterher, als er die Reisetasche auf den Rücksitz seines Buick Skylark Cabriolet warf, sich über die Fahrertür schwang und nur Sekundenbruchteile später den Motor anließ. Es war kurz nach neun, und der Südostwind fegte mit Orkanstärke über seinen Landsitz hinweg. So heftig, dass die Stimme des Mannes, deren Anziehungskraft er sich nur mit Mühe entziehen konnte, beinahe übertönt wurde. »Und das um diese Zeit?« Grant erstarrte und blickte stur geradeaus. Bis jetzt hatte er versucht, Ethan aus allem, was mit seinem Job zu tun hatte, herauszuhalten. Nicht immer mit Erfolg, aber wenigstens so, dass er sich keine Vorwürfe zu machen brauchte. »Geheime Reichssache«, witzelte er, ein weiterer kläglicher Versuch, nach außen hin gelassen und entspannt zu wirken. »Spätestens Donnerstagabend bin ich wieder da.« Und schloss mit den Worten: »Zur Feier des Tages wird uns Martha ein 1-A-Dinner auf den Tisch zaubern. Austern, Krimsekt und Kaviar. Hört sich gut an, oder?«
»Übermorgen erst? Riecht nach Arbeit, wenn du mich fragst.«
»Nach Arbeit und Unannehmlichkeiten in Hülle und Fülle«, wich Grant im Bewusstsein aus, bereits mehr als nötig ausgeplaudert zu haben.
»Und wohin soll die Reise …«
»Nach Berlin. So, jetzt muss ich wirklich los. Bis Donnerstag dann. Bye!«
Ohne sich umzudrehen, ja, ohne den beträchtlich jüngeren, breitschultrigen und mit einem sündhaft teuren Morgenmantel aus Maulbeerseide bekleideten Modellathleten auch nur mit seinem Blick zu streifen, drückte Gregory Boynton Grant aufs Gas, wirbelte den Kiesbelag auf und raste auf das schmiedeeiserne Tor seines Landsitzes zu. Kurz darauf war er in der Dunkelheit verschwunden.
Bei seinem Liebhaber, der sich behaglich in den mit Drachenmustern verzierten Morgenmantel schmiegte, hielt sich die Trauer über Grants überstürzte Abreise in Grenzen. Keineswegs irritiert, wandte sich der dunkelhaarige, tief gebräunte und mit samtweicher Stimme sprechende Adonis wieder dem Eingang zu, lächelte stillvergnügt vor sich hin und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
Danach begab er sich ins Wohnzimmer und griff zum Telefonhörer.
Auf die Idee, dass sein Liebhaber Russisch sprach, wäre der stellvertretende CIA-Direktor nie gekommen. Auch darauf nicht, dass der Mann, der sich Ethan O’Donnel nannte, ihn schmählich hintergehen, anschließend das Weite suchen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde. Kalt lächelnd und ohne Reue.
16
Berlin-Zehlendorf, Waldfriedhof | 04.40 h
»Sonst noch irgendwelche Hiobsbotschaften?«, stöhnte Tom Sydow, heilfroh, das Schreckensszenario der letzten beiden Stunden hinter sich zu haben. Zwischen den Wipfeln der Kiefern, Ebereschen und Birken, welche die Gräber ringsum flankierten, konnte man bereits die Morgendämmerung erahnen, und ein weiterer brütend heißer Tag kündigte sich an. Sydow unterdrückte ein Gähnen. Wenn er sich so umschaute, beschlich ihn das Gefühl, hier eine halbe Ewigkeit verbracht zu haben. Na ja, früher oder später würde jeder mal in der Versenkung verschwinden. Daran war nun mal nichts zu ändern. Blieb allerdings zu hoffen, dass sich das, was den sterblichen Überresten eines gewissen Hans-Hinrich von Oertzen widerfahren war, in Berlin so schnell nicht wiederholen würde.
»Ein offenkundiger Fall von Raubmord«, konstatierte Eduard Krokowski, seit mehr als fünf Jahren sein Assistent, der den Anblick, auf den sie nach der Öffnung des Grabes gestoßen waren, wesentlich besser verdaut zu haben schien als er. »In Tateinheit mit dem Diebstahl eines Motorrades.«
»Darauf kommt’s jetzt auch nicht mehr an«, murmelte Sydow mit schicksalsergebener Miene, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. »Wer weiß, vielleicht fliegt ja demnächst der Lange Lulatsch[27] in die Luft.«
Der knapp 25 Jahre alte Kriminalassistent, Abstinenzler und zu allem Überfluss auch noch Nichtraucher, nahm Sydows Fatalismus mit unbewegter Miene auf, und da er dessen Hang zum Sarkasmus kannte, ging er einfach über die Bemerkung hinweg. Während der vergangenen fünf Jahre hatte der personifizierte Gegenpol seines Vorgesetzten so manches Bonmot zu hören bekommen, eins makabrer als das andere. Das Gute daran war, dass er in puncto schwarzer Humor durch nichts mehr zu erschüttern war. Auch dadurch nicht, dass sein Faible für karierte Jacketts, Umgangsformen à la Knigge und exzessive Paragrafenreiterei zur Zielscheibe für Sydows Frotzeleien geworden waren. »So schlimm wird es bestimmt nicht kommen, Herr …«