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»Nein«, log Sydow und kam sich ziemlich schäbig dabei vor. »Was mich betrifft, wär’s das so ziemlich gewesen.«

»›So ziemlich‹, aha«, echote Kuragin und fuhr sich durch das dunkle, in dichten Wellen nach hinten gekämmte Haar. »Na schön, ich werde sehen, was sich machen lässt. Mal schauen, welche Abgründe sich vor mir auftun werden. Von denen, welche sich dank der Inkompetenz unserer SED-Genossen im Verlauf des gestrigen Tages bereits aufgetan haben, gar nicht zu reden.«

»Danke, Kuragin«, flüsterte Sydow und reichte seinem Nebenmann die rechte Hand, »vielen Dank, dass Sie meinetwegen so viel …«

»Nichts zu danken, Herr Kriminalhauptkommissar«, kam ihm der MGB-Oberst rasch zuvor und drückte sie. »Wer weiß, vielleicht können Sie sich in nächster Zeit revanchieren.«

»Für den Fall, dass Sie mit dem Kempinski zufrieden sein sollten – gerne!«

Kuragin gab ein ungezwungenes Lachen von sich, zum ersten Mal, seit Sydow ihn kennengelernt hatte. »Mehr kann man bei Ihrer Besoldung auch nicht verlangen«, scherzte er, während Sydow die Tür öffnete und aus dem Moskwitsch stieg.

»Doswidanja[32], Herr Kriminalhauptkommissar – und viel Glück.«

»Viel Glück, Kuragin – und danke!«, rief ihm Sydow hinterher, nachdem der Moskwitsch ein waghalsiges Wendemanöver vollzogen und mit quietschenden Reifen Kurs auf das Brandenburger Tor genommen hatte. Danach überquerte er die Fahrbahn und schlug den Weg ein, der zum Potsdamer Platz führte. Genug Zeit, die morgendliche Idylle im Tiergarten zu genießen, blieb ihm jedoch nicht. »Extrablatt!«, hörte er plötzlich eine Stimme rufen. »Die neuesten Meldungen aus Ostberlin – Extrablatt! 10 Pfennig, der Herr – danke.«

Volle zehn Minuten, nachdem ihm der Zeitungsjunge unweit des Kemperplatzes die Sonderausgabe der Morgenpost in die Hand gedrückt hatte, stand Sydow immer noch an der gleichen Stelle, wütend wie seit Langem nicht mehr. Mit ein Grund waren natürlich die Nachrichten auf Seite eins, ein anderer der ausführliche Artikel zwei Seiten weiter. »Na warte, du Schlawiner«, grollte er, nachdem weitere fünf Minuten vergangen und sein Zornausbruch ins Unermessliche gestiegen waren. »Wenn ich dich kriege, kannst du dein Testament machen!«

Vier

Berlin / Brandenburg an der Havel

(17.06.1953)

Alberich

Burg Kriebstein / Sachsen

(01.04.1945)

›Wie durch Fluch er mir geriet, verflucht sei dieser Ring!

Gab sein Gold mir Macht ohne Maß,

nun zeug sein Zauber Tod dem, der ihn trägt!‹

Fluch des Alberich, Hüter des Nibelungenhortes

in Richard Wagners Oper Das Rheingold

aus dem Jahre 1869

*

›Am 12. Januar 1945 meldete Rohde dem Städtischen Kulturamt schriftlich, er sei nunmehr dabei, die Paneele zu verpacken. Er gedenke, sie nach Sachsen zu bringen.‹

(Der Spiegel Nr. 49 / 4.12.2000)

19

Torhaus | 19.40 h

»Wie Parsifal vor der Gralsburg«, lästerte Ole Jensen, als der Kommandeur seiner Sondereinheit, SS-Standartenführer Hans-Hinrich von Oertzen, an das Tor der wehrhaften Burganlage hämmerte, die sich auf einem steil aufragenden Felsgrat über dem Zschopautal erhob. Die Sonne war soeben untergegangen, und aus dem Talgrund krochen feuchtwarme Dunstschwaden empor. Was wie eine Opernkulisse anmutete, entsprach jedoch der Realität, genau wie die Türme, Dachreiter und Erker, die mit den Schatten der hereinbrechenden Nacht verschmolzen. »Der könnte glatt in Bayreuth auftreten.«

»Das lass ihn mal lieber nicht hören, du Heringsbändiger!«, wies ihn der Fahrer des VW-Kübelwagens in die Schranken und warf einen Blick über die linke Schulter. »Bei so was versteht unser Mustergermane keinen Spaß.«

SS-Sturmbannführer Jensen, Friese aus echtem Schrot und Korn, zuckte mit den Schultern. »Na und? In ein paar Wochen ist der Krieg sowieso …«

»Enthüllet den Gral! Walte des Amtes!«, deklamierte der Dritte im Bunde, der den Rang eines Obersturmbannführers bekleidete. Im Gegensatz zu seinen Kameraden, deren Erscheinungsbild zu wünschen übrig ließ, saß seine Uniform wie angegossen. »Dich mahnet dein Vater: Du musst, du musst!«

»Soll er doch schiffen gehen, hinterher isses ihm leichter«, setzte der knorrige, wettergegerbte und obendrein strohblonde Emder mit Blick auf seinen Nebenmann noch eins drauf. »Und jetzt halt’s Maul, Holländer! Sonst fliegst du in hohem Bogen hier raus.«

Der 30-jährige Kunsthistoriker, bei seinen Kameraden unter dem Spitznamen ›Professor‹ bekannt, schien sich nichts daraus zu machen. »Aber, aber, mein lieber Olaf«, lästerte er, hundertprozentig sicher, seinen Nebenmann, den alle Welt Ole rief, damit auf die Palme zu bringen. »In Zusammenhang mit dem Kommandeur unserer Sondereinheit wäre etwas mehr Respekt angebracht.«

»Ach, leck mich doch am Arsch, du Salonlöwe!«, fauchte der baumlange Friese und machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. »Mit deinem hochgestochenem Gesabber kannst du bei mir keinen Eindruck schinden.«

»Redet man so mit einem Vorgesetzten, Sturmbannführer Jensen?«, schnarrte Holländer in dem Bemühen, von Oertzens Kasernenhofton nachzuahmen.

Wie nicht anders zu erwarten, stieß er mit seinen Hänseleien auf wenig Gegenliebe. »Vorgesetzter – dass ich nicht lache«, amüsierte sich Jensen, seine Storchenbeine weit von sich gestreckt. »Ausgerechnet du.«

»Ruhe da hinten, verdammt noch mal!«, stauchte der Fahrer, vom Dienstgrad her auf gleicher Ebene wie Jensen, die beiden Streithähne zusammen, während die Scheinwerfer des VW Kübelwagens Typ 82 die hoch aufragende Gestalt vor dem verschlossenen Burgtor wie den Solisten in einer Opernaufführung erscheinen ließen. Benjamin Kempa, mit 24 nicht nur der Jüngste, sondern aufgrund seiner eher bescheidenen Körpergröße von knapp 1,80 Meter auch der Kleinste des Trios, ließ den unwirschen Blick zwischen den beiden Kameraden hin und her wandern. Etwas Derartiges kam bei dem introvertierten Experten für das Bergwerkswesen äußerst selten vor, und vielleicht war gerade das der Grund, weshalb sich die Gemüter auf dem Rücksitz beruhigten.

»Hat hier irgendjemand eine Ahnung, was der Alte überhaupt vorhat?«, knurrte Jensen und schnippte das Streichholz ins Gras, auf dem er seit geraumer Zeit herumgekaut hatte. Da Glimmstängel fast so begehrt und leider ebenso selten wie amüsierwillige Nachrichtenhelferinnen waren, hatte er sich die Marotte mit den Streichhölzern angewöhnt und es sich in den Kopf gesetzt, bei der Gelegenheit mit dem Rauchen aufzuhören. »Tötet mir langsam den Nerv mit seiner Geheimniskrämerei.«

»Muss sich um was Größeres handeln, sonst hätte von Oertzen keine Lastwagen angefordert«, mutmaßte Kempa, von seinen Bataillonskameraden seit jeher ›Kleiner‹ genannt. »Fragt sich nur, um was.«

»Operation Alberich – einfach lachhaft!«, grummelte Jensen, ein veritables Lästermaul vor dem Herrn. »Möchte wissen, wozu das kurz vor knapp überhaupt noch gut sein …«

»Vorsicht, Kamerad«, warnte Holländer auf eine Weise, welche den knorrigen Friesen aufhorchen ließ. »Was du da von dir gibst, ist Wehrkraftzersetzung. Sieh zu, dass du dir Bemerkungen dieser Art in Zukunft verkneifst. Sonst landest du vor dem Kadi.« Holländer fuhr mit der Handkante über die Kehle und verdrehte die Augen. »Oder vor dem Erschießungskommando, je nachdem.«

»Ach, leck mich doch …«

»Nein, danke, nicht ganz meine Geschmacksrichtung!«, wehrte Holländer naserümpfend ab. »Aber wenn wir gerade von Geschmack reden – und zwar von gutem –, weiß unser Sprengstoffexperte von der Waterkant überhaupt, wer Alberich war?«

»Wenn du mir so kommst, Professor, kann es sich ja nur um irgendeinen Brüllaffen aus einer Wagneroper handeln.«