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»Nicht schlecht, Olaf, nicht schlecht«, lobte Holländer und rekelte sich genüsslich auf dem Hintersitz. »Für einen gestandenen Nationalsozialisten aber noch lange nicht genug. Bei Alberich, so die teutonische Mär, handelte es sich nämlich um den Hüter des Nibelungenhortes. Ein hässlicher kleiner Zwerg – in etwa vergleichbar mit Kempa.«

»Hahaha«, lautete die Antwort des Ingenieurs, der von Oertzen, dem die Warterei vor dem Burgtor allmählich zu bunt wurde, nicht aus den Augen ließ. »Wart’s ab – irgendwann kommt die Retourkutsche.«

»Wenn schon, dann bitte mit Sekundanten. Wo waren wir stehen geblieben, Sturmbannführer Jensen?«, schulmeisterte Holländer seinen Nebenmann und beantwortete die Frage gleich selbst. »Bei Parsifal, stimmt. Wie allseits bekannt, war es besagter Alberich, welcher den Hort vor den Blicken unserer wackeren Vorfahren verbarg. Na, fängt’s jetzt an zu klingeln, Jungs?«

»Nicht unbedingt.«

»Bei einem Kunstbanausen wie dir, Jensen, nicht weiter verwunderlich«, schwadronierte Holländer, überheblich bis an die Grenze zur Provokation. »Könnte es nicht sein, dass wir, des Führers letztes Aufgebot, dazu auserkoren worden sind, Preziosen von hohem Wert hier abzuholen und bis auf Weiteres – zumindest so lange, bis die Luft wieder rein ist – vor dem Zugriff der Alliierten zu verbergen? Na, was meint ihr dazu, Jungs?«

*

»Führervorbehalt?«, rätselte der Kastellan, von der Echtheit des Schriftstücks in seiner Hand alles andere als überzeugt. »Ich glaube, Sie stellen sich das ziemlich einfach vor, Herr …«

»Zum dritten Mal, Sie verkappter Saboteur. Mein Name ist von Oertzen, SS-Standartenführer Hans-Hinrich von Oertzen. Schreiben Sie sich das gefälligst hinter die Ohren. Ein für alle Mal. Ich darf doch wohl annehmen, dass Sie des Lesens mächtig sind, oder?«

»Durchaus«, erklärte der Greis mit dem schütteren weißen Haar und reckte den schmächtigen, von Altersschwäche und Rheumatismus gebeugten Körper so weit als möglich zu dem ungebetenen Besucher empor. »Was aber nicht heißt, dass ich mit dem, was hier steht, auf Teufel komm raus einverstanden sein muss.«

»Jetzt hören Sie mal gut zu, Sie verkalkter Trottel«, knurrte von Oertzen, streifte die Handschuhe ab und klemmte sie hinter den Gürtel. »Wenn Sie nicht sofort tun, was von Ihnen verlangt wird, sehe ich mich gezwungen, andere Saiten aufzuziehen.«

Beim Kastellan, Veteran aus dem Ersten Weltkrieg und ehemaliges Mitglied des Rotfrontkämpferbundes, zeigte der harsche Tonfall des SS-Offiziers keine Wirkung. »Und wer sagt mir, dass es damit seine Richtigkeit hat?«, bezweifelte er und tippte auf die Akte, in der sich das Schreiben des Reichsführers-SS befand.

Von Oertzen, jeder Zoll ein getreuer Paladin Himmlers, winkelte die Arme an und richtete sich zu voller Größe auf. »Soll das etwa heißen, Sie wagen es, sich einem Befehl des Reichsführers-SS zu widersetzen?«, bellte er, riss die Pistole aus dem Halfter und drückte sie dem Burgverwalter an die Stirn. »Ich zähle jetzt bis zehn, Burggespenst«, knirschte er, den Zeigefinger am Abzug und die Augen sprühend vor ohnmächtigem Zorn. »Falls du bis dahin nicht zur Vernunft gekommen sein …«

»Geben Sie sich keine Mühe, Standartenführer!«, widersetzte sich der Kastellan und ließ die Tür, die vom Burghof aus in die Säulenhalle führte, mit unbewegter Miene ins Schloss fallen. »Von mir werden Sie die Erlaubnis zum Abtransport des Bernsteinzimmers nicht bekommen. Klipp und klar gesagt: nur über meine Leiche.«

»Ja, wenn das so ist, wäre die Sache allerdings geritzt«, knirschte von Oertzen, riss dem Kastellan das Schreiben Himmlers aus der Hand und reichte es an Holländer weiter. Im Scheinwerferkegel des Dreitonners vom Typ Mercedes-Benz L 701, der an der Spitze eines Konvois aus Wehrmachtsfahrzeugen in den Burghof rollte, haftete seiner Gestalt etwas Dämonisches an. Der Grund, weshalb Letzterer instinktiv zurückwich, als der uniformierte SS-Recke mit den Fingern der linken Hand zu zählen begann. »Eins.Vorlesen, Holländer!«, schrie von Oertzen mit sich überschlagender Stimme, so laut, dass das Echo zwischen den Wänden des Burghofes widerhallte und das Motorengeräusch der Lkws einen Moment lang übertönte.

»Aber … aber, Herr Standartenführer …«, stammelte der SS-Obersturmbannführer und blickte sich verstohlen um.

»Drei. Vorlesen, sonst lasse ich Sie vor ein Kriegsgericht stellen!«, geiferte von Oertzen und verstärkte den Druck seiner Browning 641, freilich ohne beim Kastellan den gewünschten Effekt zu erzielen. »Fünf. Jetzt machen Sie schon, Mann!«

Holländer schluckte. »Der Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei, Heinrich Himmler, an …«

»Sieben.Weiter unten, Sie Vollidiot!«

»… den Empfänger … Verzeihung, Herr Standartenführer … ist dem Überbringer dieses Schreibens, SS-Standartenführer von Oertzen, jede nur erdenkliche Hilfe beim Abtransport besagter Kunstgegenstände, worunter sich unter anderem das vom Direktor der Städtischen Kunstsammlungen von Königsberg, Doktor Rohde, dorthin verbrachte Bernsteinzimmer befindet, zu leisten.«

»Zehn«, flüsterte von Oertzen, den Blick in denjenigen des Burgverwalters versenkt.

Nur Sekundenbruchteile später, die entgeisterten Blicke der übrigen SS-Männer im Rücken, feuerte er das Magazin seiner Browning bis auf den letzten Schuss leer.

*

»Scheiß Plackerei!«, fluchte Ole Jensen, als die letzte von mehreren Dutzend Kisten, Behältern und Kartons, die er und seine Kameraden bei strömendem Regen vom Rittersaal aus in den Hof geschleppt hatten, auf den Ladeflächen der beiden Lastwagen verschwunden war. »Da hätte ich ja gleich Möbelpacker werden können.«

»Wenn du schlau bist, Jensen«, knirschte Holländer, während er die klitschnasse Plane festzurrte, »hältst du jetzt einfach deinen Mund. Sonst sehe ich mich gezwungen, den Alten zu informieren. Und dann kannst du sehen, wo du bleibst.«

»Jetzt hör mir mal gut zu, du Diplom-Lackaffe«, grollte Jensen, packte seinen Kontrahenten am Kragen und trieb ihn vor sich her, »wenn du denkst, mir damit Angst einjagen zu können, irrst du dich. Und zwar gewaltig. Von einem feinen Pinkel wie dir lasse ich mir nämlich nichts sagen, kapiert? Aber auch gar nichts. Und jetzt noch mal zum Mitschreiben. Entweder du hältst in Zukunft die Klappe, oder ich polier dir die Fresse, dass …«

»Zum Donnerwetter, Jensen, was ist denn eigentlich hier los?«, fuhr von Oertzen dazwischen, im Begriff, den abfahrbereiten Konvoi zu inspizieren. »Haben Sie denn völlig den Verstand verloren?«

»Er hat mich provoziert, Herr Standartenführer«, rechtfertigte sich der Friese, ließ von Holländer, der ihn schadenfroh angrinste, mit grimmiger Miene ab und glättete seine Uniform. »Mit voller Absicht.«

»Ganz egal, wer hier wen provoziert hat, meine Herren«, kanzelte von Oertzen die beiden Streithähne ab, während er den Lkw einer flüchtigen Prüfung unterzog. »Nach Erledigung unseres Auftrages wird die Angelegenheit noch ein Nachspiel haben. Speziell für Sie, Sturmbannführer Jensen. Und jetzt aufsitzen, aber ein bisschen plötzlich!«

*

»Wohin soll die Reise eigentlich gehen?«, fragte Benjamin Kempa, nachdem von Oertzen auf dem Beifahrersitz Platz genommen und der Konvoi zu mitternächtlicher Stunde das Burgtor passiert hatte.

»Kümmern Sie sich gefälligst um Dinge, die Sie etwas angehen, Kempa!«, stauchte ihn von Oertzen zusammen und blickte stur geradeaus. Wahre Sturzbäche ergossen sich vom Himmel, und um ein Haar wäre der Kübelwagen ins Schleudern geraten.

Hans-Hinrich von Oertzen focht dies jedoch nicht an. Auch dann nicht, als der Wind stark auffrischte und taubeneigroße Hagelkörner vom nachtschwarzen Himmel prasselten. Ganz und gar in seinem Element, flog sogar ein Lächeln über sein Gesicht, erst recht, als der Konvoi die Talsohle erreicht und in westlicher Richtung davongebraust war.