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»Nutznießer?«

»Zuvorderst ein gewisser Hermann Göring, seines Zeichens Reichsmarschall und Oberbefehlshaber der Luftwaffe. Just der Mann, welcher sich unsterbliche Verdienste um die Bausubstanz dieser Stadt erworben hat.«

»Und Hitler?«

Smuda lachte sich beinahe schief. »Der hatte es sich in den Kopf gesetzt, in Linz ein Museum zu eröffnen. Nach demKrieg, wie ich korrekterweise betonen muss. Kurzum: Allein der sogenannte ›Sonderauftrag Linz‹ hat dem geplanten Musentempel an die 5.000 Gemälde beschert.«

»Nicht wenige davon aus jüdischem Besitz.«

»Sie lernen schnell, Herr Kommissar.« Smudas Miene verfinsterte sich. »Gegenüber dem, was wir dem Iwan abgeknöpft haben, jedoch nur ein Klacks.«

»Nur keine Hemmungen, wenn’s um die Bolschewisten geht.«

»Genau.« Trödel-Kurt leerte sein Glas und fuhr mit dem Handrücken über den Mund. »Eins muss man den Jungs lassen: die haben wirklich Nägel mit Köpfen gemacht.«

»Und alles weggekarrt, was nicht niet- und nagelfest war.«

Smuda zog die Nase hoch, und die mausgrauen Glupschaugen stierten ins Leere. »So ziemlich jedenfalls«, pflichtete er Sydow bei und fuhr fort: »An die Schätze der Eremitage[12] sind sie zwar nicht rangekommen, aber …«

»Und wen meinst du mit ›sie‹?«

»Zum einen die Experten aus den Reihen der Wehrmacht, unter anderem Archivare, Bibliothekare und Offiziere der Heeresmuseen, andererseits die Wühlmäuse aus dem Auswärtigen Amt. Ständig auf der Suche nach Akten, Landkarten, Briefen et cetera.«

»Und zum Dritten der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg«, vollendete Sydow in nachdenklichem Ton. »Wobei die Russen von Glück sagen können, dass die Wehrmacht vor Moskau und Leningrad schlappgemacht hat.«

»›Glück‹ würde ich das nicht nennen, Herr Kommissar«, gab Trödel-Kurt zu bedenken, nahm sein Mundstück zur Hand und paffte nachdenklich vor sich hin. »Nicht bei dem Flurschaden. Die Russen haben zwar Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um die kostbarsten Stücke in Sicherheit zu bringen, nur leider eben nicht in Puschkin.«

»Puschkin?«, fragte Sydow, dem die Vorstellung, vor Smuda als Kunstbanause dazustehen, überhaupt nicht behagte. Und nach konzentriertem Nachdenken: »Die Zarenschlösser?«

»Kompliment, Herr Kommissar, Sie sind ja ein ganz Schlauer«, konnte sich Smuda einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen. »Viel schlauer jedenfalls als die Russen, die es anscheinend nicht für nötig gehalten haben, das Bernsteinzimmer in Sicherheit zu bringen. Für einen Ganoven wie Gauleiter Koch natürlich die Gelegenheit.«

»Noch so einer, der den Kanal nicht voll kriegen konnte.«

Smuda nickte. »Den Kanal und die eigene Tasche«, ergänzte er, ein süffisantes Grinsen im Gesicht. »Mit dem, was dieser Westentaschen-Adolf aus Ostpreußen so alles zusammengeramscht hat, hätte er Göring ernsthaft Konkurrenz machen können. Sagt man jedenfalls. Haben Sie überhaupt eine Ahnung, welcher Schaden den Russen durch unsere kleine Stippvisite entstanden ist?«

Sydow antwortete mit einem Schulterzucken. »Nicht die geringste«, gab er unumwunden zu, im Wissen, auf diesem Gebiet nicht sonderlich bewandert zu sein. »Dem Vernehmen nach scheint der Schaden jedenfalls immens …«

»Mehr als eine halbe Million Objekte mit kultureller Bedeutung, Herr Kommissar. Aus über 400 Museen«, ereiferte sich Sydows Nachbar und bettete die Stirn in seine linke Hand. »Weiß der Teufel, wo der Kram hingekommen ist.« Trödel-Kurt verfiel in dumpfes Brüten. Der Gedanke, welchen Gewinn man aus den verloren gegangenen Preziosen hätte schlagen können, hatte ihm sichtlich auf den Magen geschlagen.

»Na ja, Schwamm drüber«, nahm er geraume Zeit später den Gesprächsfaden wieder auf, »es trifft eben immer die Falschen.«

Da er ahnte, was in Smudas Kopf vorging, konnte sich Sydow eines Schmunzelns nicht erwehren. »Kopf hoch, Kurt«, munterte er den sichtlich geknickten Ganoven auf. »Schließlich bist du ein freier Mann.«

»Und Koch sitzt bei den Polacken im Knast, ich weiß«, brummte Smuda, auf das Land seiner Vorväter offensichtlich nicht gut zu sprechen. »Bedenkt man, was der Reichsverteidigungskommissar a. D. alles auf dem Kerbholz hat, braucht er sich darüber auch nicht groß zu wundern. Mal ehrlich: die Polacken hätten ihn doch längst an die Wand gestellt, wenn sie nicht gezwungen wären, den Herrn Gau­leiter bei Laune zu halten.«

»Weswegen denn?«

»Na, wegen dem Bernsteinzimmer, Herr Kommissar. Wenn einer weiß, wo es gebunkert worden ist, dann er.«

»Meinst du wirklich, es hat den Krieg heil überstanden?«

Smuda straffte sich und sein bis dahin trüber Blick hellte sich auf. »Wenn ich mir in einem Punkt sicher bin, dann hier. Fragt sich nur, ob es sich immer noch in Königsberg befindet oder rechtzeitig vor dem Iwan in Sicherheit gebracht worden ist.«

»Woher willst du überhaupt wissen, dass es in …«

»Weil mir ein Kumpel davon erzählt hat, darum. Stammt ursprünglich aus Pillau, der Gute. Beziehungsweise stammte.« Trödel-Kurt atmete geräuschvoll aus. »Scheißkrieg, verdammter … wo war ich denn eigentlich stehen… egal – dieser Kumpel hat mir erzählt, dass das Zimmer im Königsberger Schloss ausgestellt war. Anno 41, soweit ich weiß. Anscheinend sind die Leute in Scharen hingepilgert, unter anderem auch er. Zu dumm, dass an der Ostfront alsbald wieder kehrt marsch angesagt war. Und das Zimmer wieder komplett eingemottet worden ist.«

»Mit anderen Worten –«, fuhr Sydow in nachdenklichem Ton fort, »kein Mensch weiß, wo das Bernsteinzimmer …«

»Für Sie, Herr Kommissar.«

Sydow war so sehr in das Gespräch vertieft, dass er den Barkeeper erst bemerkte, als der ihm mit breitem Grinsen den Hörer hinhielt. »Das Präsidium.«

»Ist bestimmt wegen deiner Beförderung«, schaltete sich Schampus-Lili ein und ließ die sorgfältig manikürte Hand auf seiner rechten Schulter ruhen. »Höchste Zeit, mir einen aus…«

»Später vielleicht, Lili«, vertröstete Sydow die Animierdame und griff nach dem Hörer, welcher in der behaarten Pranke des Exboxers lag. »Sydow hier.«

Die Nachricht, mit der er konfrontiert wurde, war beinahe schon Routine für ihn, und dementsprechend gefasst hörte sich Sydow an. »Wo denn?«, fragte er, neugierig beäugt von seinen Nachbarn, die dank des Geplärres aus der Jukebox nichts mitbekamen. Und seufzte mit schicksalergebener Miene: »Na schön – bin unterwegs.«

7

Mokotów-Gefängnis in Warschau / Polen | 21.12 h Berliner Zeit

»Sie sind doch nicht etwa hergekommen, um mir das zu sagen?« Erich Koch, ehemaliger Gauleiter von Ostpreußen und Ex-Reichskommissar der Ukraine, machte aus seiner Verachtung gegenüber dem knapp 30-jährigen, in Zivil gekleideten Leutnant des polnischen Staatssicherheitsdienstes keinen Hehl. Im Verlauf der letzten dreieinhalb Jahre hatte der bis auf 50 Kilo abgemagerte, nach wie vor mit keinerlei Skrupeln behaftete und mit allen Wassern gewaschene Paladin Hitlers sämtliche Tricks und Finten seiner Bewacher kennengelernt. Ihm, dem einstmals mächtigsten Mann und Schrecken der unterworfenen Völker in den besetzten Ostgebieten, konnten diese vor Dilettantismus nur so strotzenden slawischen Untermenschen nicht das Wasser reichen. An Erich Koch, Parteisoldat der ersten Stunde, würden sie sich hier die Zähne ausbeißen. Davon war er felsenfest überzeugt.

»Das und noch ein paar andere Dinge«, tat Dariusz Guzik, Leutnant des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit, kurz UB[13] genannt, gänzlich unbeeindruckt kund. »Dinge, für die Sie sich brennend interessieren dürften.«