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Ich saß noch eine Stunde herum, dann fing ich an zu klagen, dass ich zu meinen Kindern müsste, um sie zur Schule zu bringen. Und kurz darauf konstatierten die Ärzte einen weiteren Triumph der modernen Medizin und schickten mich mit meiner Tochter nach Hause. Amanda schlief auf dem ganzen Weg tief und fest und wurde auch nicht wach, als ich sie aus dem Kindersitz im Auto hob. Der Morgen dämmerte, als ich sie die Auffahrt hoch- und ins Haus trug.

3. Tag, 6.07 Uhr

Im Haus war es vollkommen still. Die Kinder schliefen noch. Als ich hereinkam, stand Julia im Esszimmer und blickte zum Fenster hinaus in den Garten. Der Rasensprenger war an, zischte und klickte. Julia hatte eine Tasse Kaffee in der Hand und starrte reglos nach draußen.

Ich sagte: »Wir sind wieder da.«

Sie drehte sich um. »Alles wieder in Ordnung mit ihr?«

Ich hielt ihr das Baby hin. »Sieht so aus.«

»Gott sei Dank«, sagte sie, »ich hab mir solche Sorgen gemacht, Jack.« Aber sie ging nicht auf Amanda zu und berührte sie nicht. »Solche Sorgen.«

Ihre Stimme klang fremd, distanziert. Julia hörte sich eigentlich nicht besorgt an, sondern förmlich, wie jemand, der die Rituale einer anderen Kultur befolgte, sie aber im Grunde nicht verstand. Sie nahm einen Schluck Kaffee.

»Ich hab die ganze Nacht kein Auge zugetan«, sagte sie. »Ich hab mir solche Sorgen gemacht. Ich hab mich schrecklich gefühlt. Gott.« Ihre Augen huschten zu meinem Gesicht, dann wieder weg. Sie hatte offensichtlich ein schlechtes Gewissen.

»Willst du sie mal nehmen?«

»Ich, äh ...« Julia schüttelte den Kopf und nickte der Kaffeetasse in ihrer Hand zu. »Nicht jetzt«, sagte sie. »Ich muss nach den Sprinklern sehen. Die ertränken mir noch die Rosen.« Und sie ging in den Garten.

Ich sah, wie sie in den Garten trat und auf die Sprinkler schaute. Sie blickte kurz zu mir herüber und kontrollierte dann übertrieben deutlich die Zeitschaltuhr in dem Kasten an der Wand. Sie klappte den Deckel hoch und blickte hinein. Ich verstand das nicht. Erst vergangene Woche hatten die Gärtner die Bewässerungszeit neu eingestellt. Vielleicht hatten sie es nicht richtig gemacht.

Amanda schniefte in meinen Armen. Ich ging mit ihr ins Kinderzimmer, wechselte ihr die Windel und legte sie ins Bett.

Als ich zurückkam, sah ich Julia in der Küche, wo sie mit ihrem Handy telefonierte. Auch das war eine ihrer neuen Marotten. Sie benutzte unseren Festnetzanschluss kaum noch; sie telefonierte mit ihrem Handy. Ich hatte sie einmal nach dem Grund dafür gefragt, und sie hatte geantwortet, es sei einfacher so, weil sie viele Ferngespräche führen müsse, und die Firma übernehme die Handykosten.

Ich verlangsamte meine Schritte und ging auf dem Teppich. Ich hörte sie sagen: »Ja, verdammt, klar mach ich das, aber wir müssen jetzt vorsichtig sein .«

Sie blickte hoch und sah mich kommen. Sofort veränderte sich ihr Tonfall. »Okay, äh ... hör zu, Carol, ich denke, das können wir mit einem Anruf in Frankfurt klären. Schick ein Fax hinterher und sag mir Bescheid, wie er reagiert hat, ja?« Und sie klappte das Handy zu. Ich kam in die Küche.

»Jack, ich geh äußerst ungern aus dem Haus, bevor die Kinder auf sind, aber .«

»Du musst weg?«

»Leider ja. Ein dringendes Problem in der Firma.«

Ich sah auf meine Uhr. Es war Viertel vor sechs. »Okay.«

Sie sagte: »Tja, kannst du, ähm ... die Kinder ...«

»Klar. Ich kümmere mich um alles.«

»Danke. Ich ruf dich an.«

Und weg war sie.

Ich war zu müde, um klar denken zu können. Die Kleine schlief noch, und wenn ich Glück hatte, würde sie das auch noch ein paar Stunden länger tun. Meine Haushälterin Maria kam um halb sieben ins Haus und stellte die Müslischüsseln auf den Tisch. Die Kinder aßen, und ich fuhr sie zur Schule. Ich bemühte mich nach Kräften, wach zu bleiben. Ich gähnte.

Eric saß neben mir auf dem Beifahrersitz. Auch er gähnte.

»Noch nicht ganz ausgeschlafen?«

Er nickte. »Diese Männer haben mich wach gehalten«, sagte er.

»Was für Männer?«

»Die Männer, die letzte Nacht im Haus waren.«

»Was für Männer?«, sagte ich.

»Die mit den Staubsaugern«, erwiderte er. »Die haben alles abgesaugt. Und sie haben den Geist aufgesaugt.«

Nicole auf dem Rücksitz kicherte. »Den Geist ...«

Ich sagte: »Ich glaube, das hast du geträumt, mein Sohn.« Eric hatte in letzter Zeit oft lebhafte Albträume, von denen er nachts wach wurde. Ich war mir ziemlich sicher, dass Nicole dafür verantwortlich war, weil sie ihn Horrorfilme mitgucken ließ, obwohl sie genau wusste, dass es ihn verstörte. Nicole war in dem Alter, wo sie am liebsten Filme sah, in denen maskierte Killer Teenager umbrachten, nachdem sie Sex gehabt hatten. Das bekannte Schema: Wer Sex hat, stirbt. Aber Eric war noch nicht alt genug für so etwas. Ich hatte ihr schon oft verboten, ihn mitgucken zu lassen.

»Nein, Dad, das war kein Traum«, sagte Eric und gähnte wieder. »Die Männer waren wirklich da. Ein ganzer Haufen.«

»Ja, klar. Und was war mit dem Geist?«

»Der war eben ein Geist. Ganz silbern und schimmernd, bloß dass er kein Gesicht hatte.«

»Sicher.« Inzwischen hatten wir vor der Schule gehalten. Und Nicole sagte, ich müsste sie um Viertel nach vier statt um Viertel vor vier abholen, weil sie nach dem Unterricht noch eine Theaterprobe hätten, und Eric erklärte, er würde nicht zum Kinderarzt gehen, wenn er eine Spritze kriegen müsste. Ich wiederholte das zeitlose Mantra aller Eltern: »Mal sehen.«

Die beiden kletterten aus dem Wagen und schleppten ihre Schultaschen hinter sich her. Sie hatten beide Rucksäcke, die über zwanzig Pfund wogen. Das ging einfach über meinen Verstand. Als ich in ihrem Alter war, hatten die Kinder keine schweren Rucksäcke. Wir hatten überhaupt keine Rucksäcke. Jetzt hatte anscheinend jedes Kind einen. Man sah kleine Zweitklässler, vornübergebeugt wie Sherpas, die sich unter dem Gewicht ihrer Taschen durch die Schultüren schleppten. Manche Kinder hatten Rucksäcke mit Rollen und zogen sie wie Koffer am Flughafen. Das war mir unerklärlich. Die Welt wurde zunehmend digital, alles wurde kleiner und leichter. Aber die Kinder schleppten mehr Gewicht als je zuvor.

Auf einem Elternabend vor zwei Monaten hatte ich das einmal angesprochen. Und die Schulleiterin sagte: »Ja, das ist ein großes Problem. Wir sind da alle sehr besorgt.« Und wechselte dann das Thema.

Auch das war mir unerklärlich. Wenn alle sehr besorgt waren, warum wurde dann nichts unternommen? Aber so ist der Mensch nun mal veranlagt. Keiner tut was, ehe es zu spät ist. Wir stellen an der Kreuzung eine Ampel erst auf, nachdem das Kind tödlich verunglückt ist.

Ich fuhr wieder nach Hause, durch zäh fließenden Morgenverkehr. Ich dachte, dass ich vielleicht noch zwei Stunden Schlaf kriegen könnte. Das war das Einzige, was mir durch den Kopf ging.

Maria weckte mich gegen elf, indem sie mich heftig an der Schulter rüttelte. »Mr. Forman. Mr. Forman.« Ich war schlaftrunken. »Was ist denn?« »Das Baby.«

Ich war auf der Stelle wach. »Was ist mit ihr?« »Sie Baby sehen, Mr. Forman. Sie ganz ...« Sie machte eine Geste, rieb sich Schulter und Arm. »Sie ist ganz was?« »Sie Baby sehen, Mr. Forman.«

Ich torkelte aus dem Bett und ging ins Kinderzimmer. Amanda stand aufrecht in ihrem Bettchen, hielt sich am Gitter fest. Sie hüpfte auf und ab und lächelte glücklich. Alles schien normal, außer dass sie am ganzen Körper gleichmäßig violett war. Wie ein einziger Bluterguss.