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»Ach du Schande«, sagte ich.

Mir graute vor einer weiteren Episode im Krankenhaus, mir graute vor noch mehr Weißkitteln, die einem nichts sagen konnten, mir graute davor, schon wieder Angst haben zu müssen. Ich war von der vergangenen Nacht noch völlig geschafft. Bei dem Gedanken, dass meine Tochter ernsthaft krank sein könnte, krampfte sich mir der Magen zusammen. Ich ging zu ihr, und sie gluckste vor Freude und lächelte mich an. Sie streckte eine Hand nach mir aus, griff in die Luft, ihr Zeichen, dass ich sie hochnehmen sollte.

Also nahm ich sie hoch. Sie wirkte ganz fidel, fasste sogleich in meine Haare und versuchte, mir die Brille wegzuziehen, so wie sie es immer tat. Ich war erleichtert, obwohl ich ihre Haut jetzt besser sehen konnte. Es sah aus wie ein Bluterguss - es hatte die Farbe eines Blutergusses -, nur dass es den ganzen Körper bedeckte. Amanda sah aus, als wäre sie in ein Farbbad getaucht worden. Die Gleichmäßigkeit der Farbe war beängstigend.

Ich beschloss, doch den Arzt in der Notaufnahme anzurufen. Ich nestelte in meiner Tasche nach seiner Karte, während Amanda an meiner Brille zog. Ich wählte einhändig. Ich konnte so ziemlich alles einhändig. Ich hatte ihn gleich am Apparat; er klang überrascht.

»Oh«, sagte er. »Gerade wollte ich Sie anrufen. Wie geht es Ihrer Tochter?«

»Na ja, sie wirkt ganz munter«, erwiderte ich und zog den Kopf zurück, damit Amanda nicht an meine Brille kam. Sie kicherte; es war jetzt ein Spiel. »Ihr geht's gut«, sagte ich, »die Sache ist bloß ...«

»Hat sie vielleicht irgendwelche Blutergüsse?«

»Ja«, sagte ich. »Allerdings. Deshalb rufe ich ja an.«

»Der Bluterguss ist am ganzen Körper? Gleichmäßig?«

»Ja«, sagte ich. »So gut wie. Wieso fragen Sie?«

»Tja«, sagte der Arzt, »ich habe jetzt die Laborergebnisse vorliegen, und es ist alles normal. Völlig normal. Ein gesundes Kind. Wir warten jetzt nur noch auf die Ergebnisse von der Kernspintomografie, aber das Gerät ist kaputt. Die sagen, es wird ein paar Tage dauern.«

Das ständige Kopfwegziehen wurde mir zu viel; ich stellte Amanda wieder in ihr Bettchen und telefonierte weiter. Das gefiel ihr natürlich nicht, und sie verzog das Gesicht, gleich würde sie losbrüllen. Ich gab ihr schnell das Krümelmonster, und sie setzte sich und spielte damit. Ich wusste, das Krümelmonster würde etwa fünf Minuten reichen.

»Jedenfalls«, sagte der Arzt jetzt, »ich bin froh, dass es ihr gut geht.«

Ich sagte, ich sei auch froh.

Es entstand eine Pause. Der Arzt hüstelte.

»Mr. Forman, auf dem Aufnahmeformular, das Sie im Krankenhaus ausgefüllt haben, steht, dass Sie von Beruf SoftwareEntwickler sind.«

»Das stimmt.«

»Heißt das, Sie haben mit der Herstellung zu tun?«

»Nein. Ich bin in der Programmentwicklung.«

»Und wo arbeiten Sie?«

»Im Valley.«

»Sie arbeiten nicht in einer Fabrik, zum Beispiel?«

»Nein. Ich arbeite in einem Büro.«

»Ich verstehe.« Pause. »Darf ich fragen, wo?«

»Ehrlich gesagt, zurzeit bin ich arbeitslos.«

»Verstehe. Aha. Wie lange schon?«

»Sechs Monate.«

»Verstehe.« Ein kurzes Zögern. »Tja, gut, das wollte ich nur abklären.«

Ich sagte: »Wieso?« »Bitte?«

»Wieso haben Sie mir diese ganzen Fragen gestellt?«

»Oh. Die stehen auf dem Formular.«

»Was für ein Formular?«, fragte ich. »Ich habe im Krankenhaus alle Formulare ausgefüllt.«

»Das ist ein zusätzliches Formular«, sagte er. »Eine Anfrage vom Gesundheitsministerium.«

Ich sagte: »Wieso denn das?«

»Es ist noch ein Fall gemeldet worden«, sagte er, »ganz ähnlich wie bei Ihrer Tochter.«

»Wo?«

»Sacramento General Hospital.«

»Wann?«

»Vor fünf Tagen. Aber die Situation ist völlig anders. Ein zweiundvierzigjähriger Botaniker hat draußen in der Sierra Nevada geschlafen, ein Experte für Wildblumen. Da muss es irgendeine seltene Blume geben. Jedenfalls wurde er in Sacra-mento ins Krankenhaus eingeliefert. Und er hatte den gleichen klinischen Verlauf wie Ihre Tochter - plötzlicher, unerwarteter Ausbruch, kein Fieber, schmerzhafte Hautrötung.«

»Und eine Kernspintomografie hat den Spuk beendet?«

»Ich weiß nicht, ob bei ihm eine gemacht wurde«, sagte er. »Aber wie es aussieht, hört dieses Syndrom - was immer es auch ist - von selbst auf. Ein sehr plötzlicher Ausbruch und ein sehr abruptes Ende.«

»Geht's ihm wieder gut? Dem Botaniker?«

»Er ist quietschfidel. Ein paar Tage Bluterguss, und das war's.«

»Schön«, sagte ich. »Das freut mich zu hören.«

»Das dachte ich mir«, entgegnete er. Dann sagte er, es könne sein, dass er später noch ein paar Fragen habe, und ob er noch mal anrufen dürfe? Ich erwiderte, er könne das tun, wann immer er wolle. Er bat mich, ihn zu kontaktieren, falls bei Amanda irgendeine Veränderung auftrat, und ich versprach es und legte auf.

Amanda hatte das Interesse am Krümelmonster verloren und stand jetzt wieder im Kinderbett, hielt sich mit einer Hand am Gitter fest und streckte die andere nach mir aus, packte mit ihren kleinen Fingern in die Luft.

Ich nahm sie auf den Arm - und sofort riss sie mir die Brille weg. Ich griff danach, und meine Tochter quietschte vor Vergnügen. »Amanda ...« Aber zu spät, sie warf die Brille auf den Boden.

Ich blinzelte.

Ohne Brille sehe ich schlecht. Die Brille hatte ein Drahtgestell und war deshalb nicht gut zu erkennen. Ich ging auf die Knie, das Baby auf dem Arm, und ließ meine freie Hand kreisförmig über den Boden gleiten, in der Hoffnung, Glas zu berühren. Ohne Erfolg. Ich blinzelte angestrengt, bewegte mich langsam vorwärts, suchte wieder mit der Hand. Noch immer nichts. Dann sah ich unter dem Bett etwas glänzen. Ich setzte das Baby hin, kroch ein Stück darunter, nahm die Brille und setzte sie auf. Dabei stieß ich mir den Kopf am Bettgestell an und senkte ihn dann wieder, so tief es ging.

Und plötzlich fiel mein Blick auf die Steckdose an der Wand unter dem Kinderbett. Es war ein kleines Plastikkästchen eingestöpselt. Ich zog es heraus und sah es mir an. Es war ein fünf Zentimeter großer Würfel, anscheinend ein handelsüblicher Überspannungsschutz, hergestellt in Thailand. Die Eingangs- und Ausgangsspannung war in das Plastik eingeprägt. An der Unterseite befand sich ein weißes Etikett mit der Aufschrift »PROP. SSVT« und einem Strichcode. Ein ganz normaler Aufkleber, mit denen Hersteller ihre Produkte versehen.

Ich drehte den Würfel in der Hand. Wo kam der her? Ich kümmerte mich seit sechs Monaten allein um das Haus. Ich wusste, wo alles war. Und Amanda brauchte weiß Gott keinen

Überspannungsschutz in ihrem Zimmer. Den benötigte man nur für empfindliche elektronische Geräte, beispielsweise für Computer.

Ich stand auf und blickte mich im Zimmer um, sah nach, ob sonst noch etwas anders war. Zu meiner Verblüffung merkte ich, dass alles anders war - aber nur ein kleines bisschen. Der Schirm von Amandas Nachtlicht war mit Pu-der-Bär-Figuren bedruckt.

Ich hatte ihn immer so gedreht, dass Tieger zum Bettchen meiner Tochter schaute, weil sie Tieger am liebsten mochte. Jetzt war I-Ah zum Bett hin gedreht. Die Unterlage auf der Wickelkommode hatte in einer Ecke einen Fleck; normalerweise war der Fleck unten links, jetzt war er oben rechts. Amandas Salben gegen einen wunden Po bewahrte ich stets auf der Ablage links auf, außerhalb ihrer Reichweite. Jetzt waren sie so nahe, dass sie drankommen konnte. Und es war noch mehr verändert .

Die Haushälterin kam herein. »Maria«, sagte ich, »haben Sie hier im Zimmer sauber gemacht?«

»Nein, Mr. Forman.«

»Aber das Zimmer ist anders«, sagte ich.

Sie schaute sich um und zuckte die Achseln. »Nein, Mr. Forman. Gleich.«

»Nein, nein«, beteuerte ich. »Es ist anders. Schauen Sie.« Ich zeigte auf den Lampenschirm, die Wickelunterlage. »Anders.«