»Das ist wirklich ein Problem, Jack.«
»Ich hab gesagt, dass es mir Leid tut.«
»Ich weiß, was du gesagt hast, aber ich glaube nicht, dass es dir Leid tut, weil sich an deinem Kontrollverhalten nichts ändert.«
»Julia«, sagte ich. Jetzt versuchte ich, meine Wut zu kontrollieren. Ich holte Luft. »Du hast Recht. Es tut mir Leid, dass das passiert ist.«
»Du schließt mich aus«, sagte sie, »und du hältst mich von meinen Kindern fern .«
»Julia, verdammt noch mal. Du bist doch nie da!«
Frostiges Schweigen. Dann:
»Ich bin sehr wohl da«, sagte sie. »Behaupte ja nicht das Gegenteil.«
»Moment mal, Moment mal. Wann bist du denn da? Wann hast du es das letzte Mal geschafft, beim Abendessen dabei zu sein, Julia? Nicht gestern Abend, nicht vorgestern, nicht vorvorgestern. Die ganze Woche nicht, Julia. Du bist nicht da.«
Sie funkelte mich zornig an. »Ich weiß nicht, was du damit bezweckst, Jack. Ich weiß nicht, was für ein Spiel du spielst.«
»Ich spiele gar kein Spiel. Ich hab dich was gefragt.«
»Ich bin eine gute Mutter, und ich versuche, einen stressigen Job, einen sehr stressigen Job und die Bedürfnisse meiner Familie unter einen Hut zu bringen. Und ich kriege von dir absolut keine Unterstützung.«
»Was redest du denn da?«, sagte ich, mit noch lauterer Stimme. Das Ganze kam mir allmählich völlig absurd vor.
»Du untergräbst meine Position, du sabotierst mich, du bringst die Kinder gegen mich auf«, sagte sie. »Ich durchschaue dich. Bilde dir nicht ein, dass ich nicht sehe, was du da machst. Du unterstützt mich in keiner Weise. Nach all den Jahren, die wir verheiratet sind, ist es ganz schön mies, was du deiner Frau da antust, das muss ich schon sagen.«
Und sie rauschte aus der Küche, die Fäuste geballt. Sie war so wütend, dass sie nicht mal Nicole bemerkte, die an der Tür stand und alles mit angehört hatte. Und mich anstarrte, als ihre Mutter vorbeistürmte.
Wir waren auf dem Weg zur Schule. »Sie ist verrückt, Dad.« »Nein, ist sie nicht.«
»Du weißt, dass sie verrückt ist. Du willst es nur nicht zugeben.«
»Nicole, sie ist deine Mutter«, sagte ich. »Deine Mutter ist nicht verrückt. Sie arbeitet in letzter Zeit nur sehr viel.« »Das hast du vorige Woche auch gesagt, nach dem Streit.« »Jawohl, weil es nun mal wahr ist.« »Früher habt ihr euch nie gestritten.« »In letzter Zeit sind wir beide ganz schön angespannt.« Nicole schnaubte, verschränkte die Arme, starrte geradeaus. »Ich weiß nicht, warum du dir das von ihr gefallen lässt.«
»Und ich weiß nicht, warum du zugehört hast, die Sache geht dich gar nichts an.« »Dad, komm mir doch nicht mit so 'nem Scheiß.« »Nicole .«
»T schul-di-gung. Aber du kannst ruhig vernünftig mit mir reden, statt sie die ganze Zeit in Schutz zu nehmen. Sie verhält sich nicht normal. Ich weiß genau, dass du denkst, sie ist verrückt.« »Das denke ich nicht«, sagte ich.
Eric schlug ihr vom Rücksitz aus auf den Hinterkopf. »Du bist die Verrückte«, sagte er. »Schnauze, Arschgesicht.« »Selber Schnauze, Kotztüte.«
»Ich will kein Wort mehr von euch hören«, sagte ich laut. »Dafür bin ich wirklich nicht in der Stimmung.«
Mittlerweile rollten wir auf den Wendeplatz vor der Schule. Die Kinder kletterten hinaus. Nicole sprang vom Beifahrersitz, drehte sich um und warf mir, als sie ihren Rucksack nahm, einen wütenden Blick zu. Dann war sie verschwunden.
Ich glaubte nicht, dass Julia verrückt war, aber irgendetwas hatte sich eindeutig verändert, und als ich unser morgendliches Gespräch noch einmal Revue passieren ließ, war mir aus anderen Gründen nicht wohl zu Mute. Viele Bemerkungen von ihr klangen so, als versuchte sie, eine Anklage gegen mich aufzubauen. Methodisch, Schritt für Schritt.
Du schließt mich aus und hältst die Kinder von mir fern.
Ich bin da, du nimmst mich bloß nicht wahr.
Ich bin eine gute Mutter, ich versuche, einen sehr stressigen Job und die Bedürfnisse meiner Familie unter einen Hut zu bringen.
Du unterstützt mich in keiner Weise. Du untergräbst meine Position, du sabotierst mich.
Du bringst die Kinder gegen mich auf.
Ich konnte mir ohne weiteres vorstellen, wie ihr Anwalt das alles vor Gericht wiederholte. Und ich wusste auch, warum. Laut einem Artikel, den ich vor kurzem in der Zeitschrift Redbook gelesen hatte, lag »Entfremdung der Kinder« derzeit als Scheidungsgrund im Trend. Der Vater bringt die Kinder gegen die Mutter auf. Vergiftet ihre kleinen Köpfe mit Worten und Taten. Während Mommy wie immer völlig schuldlos ist.
Jeder Vater wusste, dass die Rechtsprechung Mütter hoffnungslos bevorzugte. Die Gerichte legten Lippenbekenntnisse zur Gleichbehandlung ab und sprachen dann ein Kind der Mutter zu. Selbst wenn die nie da war. Selbst wenn sie ihre Kinder schlug oder sie hungern ließ. Solange sie kein Junkie war oder ihren Kindern nicht die Knochen brach, war sie in den Augen des Gerichts eine taugliche Mutter. Und auch wenn sie ein Junkie war, hieß das noch lange nicht, dass der Vater das Kind zugesprochen bekam. Die Exfrau eines Freundes bei MediaTronics war heroinsüchtig gewesen und hatte über Jahre hinweg einen Entzug nach dem anderen gemacht. Schließlich ließen sie sich scheiden und hatten das gemeinsame Sorgerecht. Die Frau war angeblich clean, aber die Kinder sagten, sie sei es nicht. Mein Freund war besorgt. Er wollte nicht, dass seine Ex die Kinder im Auto herumfuhr, wenn sie unter Drogen stand. Und er wollte nicht, dass seine Kinder mit Dealern in Berührung kamen. Also beantragte er das alleinige Sorgerecht, und er verlor. Der Richter entschied, dass die Exfrau sich redlich Mühe gab, ihre Drogensucht zu überwinden, und dass Kinder die Mutter brauchten.
So also sah die Realität aus. Und jetzt hatte ich den Eindruck, dass Julia anfing, genau diese Vorwürfe gegen mich zu sammeln. Mich fröstelte.
Gerade hatte ich mich in eine ziemliche Wut hineingesteigert, da klingelte mein Handy. Es war Julia. Sie wollte sich entschuldigen.
»Es tut mir wirklich Leid. Ich hab heute Morgen blöde Sachen gesagt. Das hab ich nicht so gemeint.«
»Was?«
»Jack, ich weiß doch, dass du mich unterstützt. Natürlich tust du das. Ohne dich würde ich das alles nicht schaffen. Du machst deine Sache mit den Kindern ganz wunderbar. Ich bin einfach in letzter Zeit nicht ich selbst. Es war blöd von mir, Jack. Es tut mir Leid, was ich da alles gesagt habe.«
Als das Telefonat beendet war, wünschte ich, ich hätte das aufgenommen.
Um zehn hatte ich eine Verabredung mit meiner Headhunterin Annie Gerard im sonnigen Innenhof eines Cafes an der Baker Street. Wir trafen uns immer im Freien, damit Annie rauchen konnte. Sie hatte ihren Laptop aufgeklappt und ihr drahtloses Modem eingestöpselt. Eine Zigarette baumelte ihr von der Lippe, und sie blinzelte durch den Rauch.
»Haben Sie was für mich?«, fragte ich, sobald ich ihr gegenübersaß.
»Und ob ich was für Sie habe. Zwei sehr gute Angebote.«
»Toll«, sagte ich und rührte in meinem Cappuccino. »Lassen Sie hören.«
»Wie wär's hiermit? Leitender Forschungsanalyst bei IBM, der für den Bereich verteilte Systemarchitektur höherer Ordnung zuständig ist.«
»Genau mein Gebiet.«
»Das hab ich auch gedacht. Sie sind für die Stelle wie geschaffen, Jack. Sie würden ein Forschungslabor mit sechzig Leuten leiten. Grundgehalt zweiundfünfzig plus Optionsrechte über fünf Jahre plus Tantiemen auf alles, was in Ihrem Labor entwickelt wird.«
»Klingt toll. Wo?«
»Armonk.«
»New York?« Ich schüttelte den Kopf. »Kommt nicht in Frage, Annie. Was noch?«
»Leiter eines Teams, das für ein Versicherungsunternehmen Multi-Agenten-Systeme fürs Data Mining entwirft. Eine hervorragende Gelegenheit, und ...«