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»Vielleicht warte ich noch ein bisschen.«

»Jack. Was ist los mit dir? Du sagst im Grunde Folgendes: Deine Frau verhält sich dir gegenüber kalt und abweisend. Sie belügt dich. Sie ist merkwürdig zu den Kindern. Die Familie scheint ihr gleichgültig zu sein. Sie ist aufbrausend und häufig nicht da. Es wird immer schlimmer. Du vermutest, sie hat eine Affäre. Letzte Nacht ist sie nicht nach Hause gekommen, ohne Bescheid zu sagen. Und du willst das alles einfach mit ansehen, ohne was zu unternehmen?«

»Ich weiß nicht, was ich tun soll.«

»Ich hab es dir gesagt. Geh zu einem Anwalt.«

»Meinst du wirklich?«

»Und ob ich das meine.« «

»Ich weiß nicht .«

Sie seufzte, ein langes, entnervtes Zischen. »Jack. Hör zu. Ich weiß, dass du manchmal etwas passiv bist, aber .«

»Ich bin nicht passiv«, sagte ich. Und ich fügte hinzu: »Ich kann es nicht leiden, wenn du mich analysierst.«

»Deine Frau geht mit anderen ins Bett, du glaubst, sie sammelt Anklagepunkte gegen dich, um dir die Kinder wegzunehmen, und du lässt das einfach mit dir machen. Ich nenne das passiv.«

»Was soll ich denn tun?«

»Was ich dir gesagt habe.« Wieder ein entnervtes Seufzen. »Also schön. Ich komme für ein paar Tage zu euch.«

»Ellen .«

»Keine Widerrede. Ich komme. Du kannst Julia ja erzählen, ich will dir bei den Kindern zur Hand gehen. Ich bin heute Nachmittag da.«

»Aber .«

»Keine Widerrede.«

Und sie legte auf.

Ich bin nicht passiv. Ich bin bedachtsam. Ellen ist ein Energiebündel, vom Naturell her die geborene Psychologin, weil sie anderen Leuten gern sagt, was sie tun sollen. Offen gestanden, ich finde sie dominant. Und sie findet mich passiv.

Ellen hat folgendes Bild von mir: Ich bin Ende der Siebzigerjahre nach Stanford gegangen und habe Populationsbiologie studiert - ein rein akademisches Gebiet, ohne praktische Anwendung, und Jobs gab es nur an Universitäten. Damals wurde die Populationsbiologie gerade revolutioniert, durch Feldstudien über Tiere und durch Fortschritte in der Genanalyse. Für beides war die Computeranalyse erforderlich, unter Anwendung komplexer mathematischer Algorithmen. Die Art von Programmen, die ich für meine Forschungsarbeit brauchte, konnte ich nirgends finden, also schrieb ich sie mir selbst. Und so rutschte ich als Quereinsteiger in die Informatik - noch so ein langweiliges, rein akademisches Gebiet.

Doch wie es der Zufall wollte, machte ich meinen Abschluss genau zu der Zeit, als das Silicon Valley boomte und der PC seinen Siegeszug antrat. Die Mitarbeiter von kleinen Jungunternehmen verdienten sich in den Achtzigerjahren eine goldene Nase, und auch mir erging es diesbezüglich in der ersten Firma, in der ich arbeitete, alles andere als schlecht. Ich lernte Julia kennen, und wir heirateten, und dann kamen die Kinder. Alles lief bestens. Wir beide waren schon erfolgreich, wenn wir nur zur Arbeit gingen. Ich wurde von einer anderen Firma abgeworben; noch mehr Vergünstigungen, noch bessere Optionen. Ich ritt einfach auf der Fortschrittswelle mit, in die Neunziger hinein. Inzwischen programmierte ich nicht mehr selbst, ich leitete ein Team von Software-Entwicklern. Und alles fiel mir einfach so zu, ohne dass ich mich wirklich dafür anstrengen musste. Mein ganzes Leben fiel mir einfach zu. Ich musste mich nie beweisen.

So sieht Ellens Bild von mir aus. Ich hatte ein anderes. Die Firmen im Silicon Valley führen untereinander einen Konkurrenzkampf, wie es ihn so hart auf der Welt noch nicht gegeben hat. Die Hundert-Stunden-Woche ist die Regel. Es ist ein Rennen gegen die Zeit. Die Produktentwicklung geht in immer kürzeren Zyklen vonstatten. Die Zyklen für ein neues Produkt, eine neue Version betrugen anfänglich drei Jahre. Dann waren es zwei Jahre. Dann achtzehn Monate. Jetzt sind es zwölf -Jahr für Jahr eine neue Version. Wenn man für die Fehlerbereinigung in der Betaversion bis zum Golden Master vier Monate veranschlagt, dann hat man für die eigentliche Arbeit nur acht Monate Zeit. Acht Monate, um zehn Millionen Codezeilen zu überprüfen und dafür zu sorgen, dass alles richtig funktioniert.

Kurz gesagt, im Silicon Valley ist kein Platz für passive Leute, und ich bin nicht passiv. Ich habe jede Minute an jedem Tag geschuftet. Ich musste mich jeden Tag beweisen - sonst wäre ich weg vom Fenster gewesen.

So sah das Bild aus, das ich von mir hatte. Und ich lag damit ganz bestimmt nicht falsch.

Aber in einer Hinsicht hatte Ellen Recht. Ohne viel Glück wäre ich nicht so weit gekommen. Da ich von Haus aus Biologe war, war ich im Vorteil, als die Computerprogramme anfingen, biologische Systeme zu imitieren. Es gab sogar Programmierer, die Tiergruppen in der freien Natur studierten, um ihre dort gewonnenen Erkenntnisse auf die Computersimulation zu übertragen. Außerdem hatte ich Erfahrungen in der Populationsbiologie - das Studium von Gruppen lebender Organismen.

Und die Informatik hatte sich in Richtung extrem großer, paralleler Netzwerke entwickelt - das Programmieren von Populationen intelligenter Agenten. Für den Umgang mit Agentenpopulationen war eine besondere Art Denken erforderlich, und ich war jahrelang in diesem Denken ausgebildet worden.

Ich war also wunderbar geeignet für die Trends auf meinem Fachgebiet, und ich machte hervorragende Fortschritte, als sich die Bereiche zunehmend überlappten. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen.

Zugegeben.

Agentenbasierte Programme, die biologische Populationen zum Vorbild hatten, gewannen in der realen Welt zunehmend an Bedeutung. Wie meine eigenen Programme, die die Futtersuche von Ameisen imitierten, um große Kommunikationsnetzwerke zu steuern. Oder solche, die die Arbeitsteilung in Termitenkolonien nachahmten, um Thermostate in einem Wolkenkratzer zu regeln. Und ganz ähnlich funktionierten die Programme, die die Genselektion simulierten und für die es eine ganze Palette von Anwendungen gab. In einem Programm wurden Zeugen eines Verbrechens neun Gesichter gezeigt und gebeten, dasjenige auszuwählen, das dem des Täters am stärksten ähnelte, auch wenn es bei keinem davon wirklich der Fall war; dann zeigte das Programm ihnen neun weitere Gesichter und bat sie erneut um eine Auswahl; und so evolvierte das Programm nach und nach aus zahlreichen Vorschlägen ein überaus präzises Bild von dem Gesuchten, um vieles genauer, als ein Polizeizeichner es vermocht hätte. Die Zeugen mussten nicht sagen, worauf genau sie bei jedem Gesicht reagierten; sie sollten einfach nur ihre Auswahl treffen, und das Programm rechnete. Und dann gab es noch die Biotechnik-Unternehmen, die festgestellt hatten, dass es ihnen nicht gelingen wollte, neue Proteine herzustellen, weil sie sich immer wieder zu seltsamen Konfigurationen zusammenfalteten. Stattdessen »evolvierten« sie nun die neuen Proteine mithilfe der Genanalyse. Alle diese Verfahren waren in der Praxis in nur wenigen Jahren Standard geworden. Und sie wurden immer leistungsstärker, immer wichtiger.

Also, ja, ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Aber ich war nicht passiv, ich hatte Glück gehabt.

Ich hatte mich noch nicht geduscht oder rasiert. Ich ging ins Bad, streifte mir das T-Shirt über den Kopf und betrachtete mich im Spiegel. Erschreckt bemerkte ich, wie schlaff ich um den Bauch herum aussah. Das war mir noch nie aufgefallen. Sicher, ich war vierzig, und Tatsache war auch, dass ich in letzter Zeit kaum Sport gemacht hatte. Aber ich war nicht deprimiert. Ich hatte einfach mit den Kindern alle Hände voll zu tun, und ich war oft müde. Ich hatte keine Lust zum Sport, mehr nicht.

Ich starrte mein Spiegelbild an und fragte mich, ob Ellen Recht hatte.

Das ganze psychologische Wissen hat einen Haken - niemand kann es auf sich selbst anwenden. Man kann einen unglaublichen Scharfblick für die Unzulänglichkeiten seiner Freunde, Partner, Kinder entfalten. Aber sich selbst gegenüber ist man blind. Die gleichen Leute, die mit nüchterner Klarheit ihre Umwelt durchschauen, wiegen sich in Illusionen, wenn es um sie selbst geht. Die Psychologie funktioniert nicht, wenn man in einen Spiegel schaut. Soweit mir bekannt war, gab es für diese Sonderbarkeit keine Erklärung.