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Ich persönlich dachte immer, dass das Programmieren von Computern eine mögliche Erklärung hierfür lieferte, und zwar mit der so genannten Rekursion. Rekursion bedeutet, dass ein Programm sich selbst aufrufen kann, dass es mit seinen eigenen Informationen Dinge immer und immer wieder tun kann, bis es ein Ergebnis erzielt. Rekursion ist nützlich bei bestimmten Algorithmen zur Datensortierung und dergleichen. Aber es ist Vorsicht geboten, man riskiert, dass der Computer in einen so genannten infiniten Regress fällt - das Programmieräquivalent zum Spiegelkabinett, das Spiegel über Spiegel reflektiert, die immer kleiner werden und sich bis in die Unendlichkeit erstrecken. Das Programm läuft weiter, wiederholt sich unablässig, aber nichts geschieht. Der Computer hängt.

Etwas Ähnliches stellte ich mir immer vor, wenn jemand seinen psychologischen Erkenntnisapparat auf sich selbst anwendet. Der Verstand hängt. Der Denkprozess läuft und läuft, aber er kommt nicht voran. So ähnlich muss es wohl sein, denn wir wissen ja, dass Menschen endlos über sich selbst nachdenken können. Manche denken über kaum etwas anderes nach. Dennoch ändern sich die Menschen nicht infolge ihrer intensiven Selbstbeobachtung. Sie durchschauen sich selbst deshalb nicht besser. Echte Selbsterkenntnis ist äußerst selten.

Es scheint fast, dass man jemanden braucht, der einem sagt, wer man ist, der einem sozusagen den Spiegel vorhält. Was, wenn man es recht bedenkt, ganz schön verrückt ist.

Vielleicht aber auch nicht.

Das Thema Künstliche Intelligenz hat immer wieder die Frage aufgeworfen, ob ein Programm sich jemals seiner selbst bewusst sein kann. Die meisten Programmierer sagen, dass das unmöglich sei. Man hat es versucht und ist gescheitert.

Es gibt jedoch auch noch eine grundlegendere Version dieser Frage, die philosophische Frage nämlich, ob eine Maschine überhaupt je ihre eigene Funktionsweise verstehen kann. Manche sagen, auch das sei unmöglich. Die Maschine kann sich selbst aus dem gleichen Grund nicht erkennen, aus dem man sich nicht selbst in die Zähne beißen kann. Und es scheint auch wirklich unmöglich: Das menschliche Gehirn ist das komplizierteste Gebilde im bekannten Universum, und dennoch wissen selbst Gehirne sehr wenig über sich selbst.

In den vergangenen dreißig Jahren hat man sich nur so zum Spaß beim Bier nach Feierabend mit solchen Fragen beschäftigt. Richtig ernst genommen hat das niemand. Doch in letzter Zeit haben diese philosophischen Fragen an Bedeutung gewonnen, da bei der Nachbildung bestimmter Gehirnfunktionen rapide Fortschritte erzielt wurden. Vor meinem Rausschmiss benutzte mein Team zum Beispiel Multi-Agenten-Systeme, um Computer dazu zu befähigen, Datenmuster zu erkennen, natürliche Sprachen zu verstehen, Prioritäten zu setzen und Aufgaben zu wechseln. Entscheidend an den Programmen war, dass die Maschinen regelrecht lernten. Sie wurden besser, je mehr Erfahrung sie sammelten. Was mehr ist, als manche Menschen von sich behaupten können.

Das Telefon klingelte. Es war Ellen. »Hast du deinen Anwalt angerufen?«

»Noch nicht. Herrgott noch mal.«

»Ich nehme die um 14.10 Uhr nach San Jose. Gegen fünf müsste ich bei euch sein.«

»Hör zu, Ellen, das ist wirklich nicht notwendig ...«

»Das weiß ich. Ich muss ohnehin mal raus. Ich brauch eine Pause. Bis später, Jack.« Und sie legte auf.

Jetzt kümmerte sie sich also um mich.

Auf jeden Fall sah ich keinen Sinn darin, schon heute einen Anwalt anzurufen. Ich hatte zu viel zu erledigen. Ich musste Sachen von der Reinigung abholen, also machte ich das erst mal. Auf der anderen Straßenseite war ein Starbuck's, und ich ging rüber, um mir einen Cappuccino zum Mitnehmen zu holen.

Und da sah ich Gary Marder, meinen Anwalt, mit einer sehr jungen Blondine in einer knappen Hüftjeans und einem kurzen Top, das ihren Bauch zeigte. Sie knutschten in der Schlange vor der Kasse. Sie sah nicht älter aus als eine CollegeStudentin. Es war peinlich, und ich wollte gerade wieder gehen, als Gary mich sah und winkte.

»Hallo, Jack.«

»Hi, Gary.«

Er streckte mir die Hand entgegen, und ich schüttelte sie. Er sagte: »Das ist Melissa.«

Ich sagte: »Hi, Melissa.«

»Oh, hi.« Sie schien leicht verärgert über die Unterbrechung, obwohl ich mir nicht ganz sicher war. Sie hatte diesen leeren Blick, den manche Frauen im Beisein von Männern bekamen, Mir schoss durch den Kopf, dass sie höchstens sechs Jahre älter als Nicole sein konnte. Was hatte sie mit einem Typen wie Gary zu schaffen?

»Na, wie läuft's denn so, Jack?«, sagte Gary und legte einen Arm um Melissas nackte Taille.

»Gut«, sagte ich. »Ziemlich gut.«

»Ja? Schön zu hören.« Aber er legte die Stirn in Falten.

»Tja, ähm, also dann ...« Ich stand da, zögernd, kam mir albern vor im Beisein des Mädchens. Sie wünschte mich unübersehbar zum Teufel. Aber ich stellte mir vor, was Ellen sagen würde: Du läufst deinem Anwalt über den Weg, und du fragst ihn nicht mal?

Also sagte ich: »Gary, kann ich dich mal kurz sprechen?«

»Ja, klar.« Er gab Melissa Geld für den Kaffee, und wir stellten uns etwas abseits.

Ich senkte die Stimme. »Hör zu, Gary«, sagte ich, »ich glaube, ich brauche einen Scheidungsanwalt.«

»Weswegen?«

»Weil ich glaube, dass Julia eine Affäre hat.«

»Glaubst du es? Oder weißt du es genau?«

»Nein. Ich weiß es nicht genau.«

»Dann hast du also nur den Verdacht?«

»Ja.«

Gary seufzte. Er warf mir einen viel sagenden Blick zu.

Ich sagte: »Und da laufen auch noch andere Sachen. Sie hat behauptet, ich würde die Kinder gegen sie aufbringen.«

»Entfremdung der Kinder«, sagte er nickend. »Die große Mode im Augenblick. Wann hat sie das gesagt?«

»Im Streit.«

Wieder ein Seufzen. »Jack, Paare werfen sich im Streit allen möglichen Mist an den Kopf. Das muss nicht unbedingt was bedeuten.«

»Ich glaube aber, dass es was zu bedeuten hat. Ich befürchte es.«

»Beschäftigt dich das wirklich?«

»Ja.«

»Warst du bei der Eheberatung?«

»Nein.«

»Geh hin.«

»Wieso?«

»Aus zwei Gründen. Erstens, weil du es tun solltest. Du bist schon lange mit Julia verheiratet, und soweit ich weiß, habt ihr euch überwiegend gut verstanden. Und zweitens, weil du damit demonstrierst, dass du versuchst, die Ehe zu retten. Was wiederum die Behauptung widerlegt, du würdest die Kinder von ihr entfremden.«

»Ja, aber .«

»Wenn du damit Recht hast, dass sie schon dabei ist, Anklagepunkte gegen dich zu sammeln, musst du höllisch aufpassen, mein Freund. Gezielte Entfremdung der Kinder ist ein schwerer Vorwurf, den man nicht so leicht ausräumen kann. Die Kinder sind sauer auf Mom, und sie behauptet, du steckst dahinter. Wie willst du beweisen, dass das nicht stimmt? Das kannst du gar nicht. Außerdem bist du viel zu Hause, es ist also noch leichter vorstellbar, dass da was dran sein könnte. Das Gericht wird in dir einen gefrusteten Ehemann sehen, der möglicherweise neidisch ist auf seine berufstätige Frau.« Er hielt eine Hand hoch. »Ich weiß, ich weiß, dass da nichts dran ist, Jack, aber man kann es leicht behaupten, mehr will ich nicht sagen. Und das wird ihr Anwalt. Vor lauter Neid hast du die Kinder gegen sie aufgebracht.«

»Das ist ausgemachter Schwachsinn.«

»Natürlich. Das weiß ich doch.« Er klopfte mir auf die Schulter. »Geh zu einem guten Eheberater. Wenn du keinen kennst, ruf bei mir in der Kanzlei an. Barbara kann dir ein paar gute Adressen nennen.«

Ich rief Julia an, um ihr zu sagen, dass Ellen für ein paar Tage kommen würde. Natürlich erreichte ich sie nicht, bloß ihre Mailbox. Ich hinterließ ihr eine längere Nachricht, in der ich alles erklärte. Dann ging ich einkaufen, weil Ellen zu Besuch kam und wir ein paar Vorräte mehr brauchten.