»Hat sie schon mal was über eine schwarze Wolke gesagt?«
»Äh ... nein.«
»Die neue Welt? Bei der Geburt der neuen Weltordnung dabei zu sein?«
Das hörte sich für mich nach Verschwörungsgerede an. Wie die Leute, die sich Sorgen wegen der Trilateralen Kommission machten und meinten, dass die Rockefellers die Welt regierten. »Nein, nichts dergleichen.«
»Hat sie einen schwarzen Umhang erwähnt?«
Plötzlich hatte ich das Gefühl, als würde ich gebremst. Als bewegte ich mich ganz langsam. »Was?«
»Neulich Abend hat Ricky was von einem schwarzen Umhang gesagt, dass er von einem schwarzen Umhang eingehüllt sei. Es war spät, er war müde, er hat etwas wirr geredet.«
»Hat er irgendwas über den schwarzen Umhang gesagt?«
»Nichts. Nur das.« Sie stockte. »Glaubst du, die nehmen da Drogen, draußen in Nevada?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich.
»Na ja, sie haben Druck, arbeiten rund um die Uhr und kriegen kaum Schlaf. Würde mich nicht wundern, wenn sie Drogen nähmen.«
»Weißt du was, ich rufe Ricky an«, sagte ich.
Mary gab mir seine Handynummer, und ich notierte sie. Als ich sie gerade wählen wollte, knallte die Haustür, und ich hörte Eric sagen: »He, Mom! Wer ist denn der Typ in deinem Wagen?« Ich stand auf und sah zum Fenster hinaus auf die Zufahrt. Julias BMW-Kabrio stand dort, das Verdeck offen. Ich sah auf die Uhr. Es war erst halb fünf.
Ich ging in die Diele und sah, wie Julia Eric umarmte. Sie sagte: »Das war bestimmt das Sonnenlicht auf der Windschutzscheibe. In meinem Wagen ist keiner.«
»Aber da war einer. Ich hab ihn doch gesehen.«
»Ach ja?« Sie öffnete die Haustür. »Dann sieh doch selbst nach.« Eric ging nach draußen auf den Rasen. Julia lächelte mich an. »Er denkt, in meinem Wagen hätte wer gesessen.«
Er kam wieder herein, zuckte die Achseln. »Komisch. Muss mich vertan haben.«
»Allerdings, Schätzchen.« Julia ging auf mich zu. »Ist Ellen da?«
»Gerade angekommen.«
»Toll. Ich geh schnell unter die Dusche, und dann unterhalten wir uns. Wir machen eine Flasche Wein auf. Was gibt's zum Abendessen?«
»Ich hab Steaks vorbereitet.«
»Toll. Klingt toll.«
Und mit einem fröhlichen Winken verschwand sie Richtung Bad.
Es war ein warmer Abend, und wir wollten im Garten essen. Ich hatte die rotweiß karierte Tischdecke aufgelegt und stand am Grill, trug meine Schürze mit der Aufschrift »Der Koch hat das Sagen«, und dann veranstalteten wir sozusagen ein typisch amerikanisches Familienessen.
Julia war bezaubernd und in Plauderlaune, widmete sich ganz meiner Schwester, sprach über die Kinder, die Schule, über die Veränderungen am Haus, die sie geplant hatte. »Das Fenster da kommt weg«, sagte sie und deutete auf die Küche, »und wir bauen Terrassentüren ein, sodass wir direkt in den Garten können. Das wird toll.« Ich war verblüfft über Julias Vorstellung. Sogar die Kinder starrten sie an. Julia erzählte, wie stolz sie auf Nicoles große Rolle in dem bevorstehenden Schultheaterstück sei. Nicole sagte: »Mom, ich hab eine klitzekleine Rolle.«
»Ach, gar nicht, Schatz«, sagte Julia.
»Doch. Ich hab bloß zwei Sätzchen.«
»Jetzt hör aber auf, Schatz, ich bin sicher, du .«
Eric legte los: »>Seht, da kommt John.< >Das hört sich ziemlich ernst an.<«
»Klappe, Kotzbrocken.«
»Das sagt sie ständig im Badezimmer auf«, verkündete Eric. »Hundert Millionen Mal.«
Julia fragte: »Wer ist John?«
»Das ist doch der Text in dem Stück.«
»Ach so. Na, egal, du bist bestimmt wunderbar. Und unser kleiner Eric macht solche Fortschritte im Fußball, nicht wahr, Schatz?«
»Nächste Woche ist das letzte Spiel«, sagte Eric und schmollte. Julia hatte es in diesem Herbst zu keinem seiner Spiele geschafft.
»Das hat ihm richtig gut getan«, sagte Julia zu Ellen. »Mannschaftssport fördert die Kooperationsfähigkeit, vor allem bei Jungen, ist ein gutes Gegengewicht zu ihrem Konkurrenzverhalten.«
Ellen sagte gar nichts, nickte bloß und hörte zu.
An diesem Abend hatte Julia darauf bestanden, das Baby zu füttern, und den Hochstuhl neben sich gestellt. Aber Amanda war es gewohnt, bei jeder Mahlzeit Flugzeug zu spielen. Sie wartete darauf, dass jemand den Löffel auf sie zu bewegte und dabei »Brrrrrrr-uuuuummm . das Flugzeug kommt . Türen auf!« sagte. Da Julia das nicht tat, hielt Amanda den Mund fest geschlossen. Auch das gehörte zum Spiel.
»Tja. Sie hat wohl keinen Hunger«, sagte Julia achselzuk-kend. »Hat sie eben ihr Fläschchen gehabt, Jack?«
»Nein«, sagte ich. »Das kriegt sie erst nach dem Abendessen.«
»Ja, das weiß ich. Ich meine, vor kurzem.«
»Nein«, sagte ich. »Auch nicht vor kurzem.« Ich deutete auf Amanda. »Soll ich mal versuchen?«
»Klar.« Julia gab mir den Löffel, und ich setzte mich neben Amanda und fing an, Flugzeug zu spielen. »Brrrr-uuummmm .« Amanda grinste sofort und öffnete den Mund.
»Jack geht richtig toll mit den Kindern um«, sagte Julia zu Ellen.
»Ich denke, es tut jedem Mann gut, sich mal um Haushalt und Familie zu kümmern«, sagte Ellen.
»Oh, ja. Das stimmt. Er hat mir sehr geholfen.« Sie tätschelte mein Knie. »Das hast du wirklich, Jack.«
Mir war klar, dass Julia zu fröhlich, zu gut gelaunt war. Sie war überdreht, redete schnell und wollte bei Ellen anscheinend den Eindruck erwecken, dass sie im Haus die Fäden in der Hand hielt. Ich konnte sehen, dass Ellen ihr kein Wort glaubte. Aber Julia war so aufgekratzt, dass sie es nicht merkte. Ich fragte mich allmählich, ob sie Drogen nahm. Verhielt sie sich deshalb so sonderbar? Nahm sie Amphetamine?
»Und in der Firma«, fuhr Julia fort, »ist es im Augenblick so unglaublich spannend. Xymos ist ein richtiger Durchbruch gelungen - ein Durchbruch, auf den alle schon seit über zehn Jahren warten. Aber jetzt endlich ist es so weit.«
»Wie der schwarze Umhang?«, sagte ich, um zu sehen, wie sie reagieren würde.
Julia blinzelte. »Der was?« Sie schüttelte den Kopf. »Wovon redest du, Schatz?«
»Ein schwarzer Umhang. Hast du nicht neulich was von einem schwarzen Umhang gesagt?«
»Nein ...« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was du meinst.« Sie wandte sich an Ellen. »Jedenfalls, diese ganze Molekulartechnologie marktfähig zu machen hat wesentlich länger gedauert, als wir gedacht haben. Aber jetzt haben wir es geschafft.«
»Du klingst richtig begeistert«, sagte Ellen.
»Ich kann dir sagen, es ist faszinierend, Ellen.« Sie senkte die Stimme. »Und obendrein bringt es wahrscheinlich auch noch ordentlich was ein.«
»Das wäre schön«, sagte Ellen. »Aber du musst bestimmt jede Menge Überstunden machen ...«
»So viele nun auch wieder nicht«, sagte Julia. »Alles in allem war es nicht so schlimm. Erst seit einer Woche oder so.«
Ich sah, wie Nicoles Augen größer wurden. Eric starrte seine Mutter an, während er kaute. Aber die Kinder sagten nichts. Ich auch nicht.
»Es ist nur vorübergehend«, fuhr Julia fort. »Alle Firmen haben diese Übergangsphasen.«
»Ja klar«, sagte Ellen.
Die Sonne ging langsam unter. Die Luft wurde kühler. Die Kinder standen vom Tisch auf. Ich fing an, das Geschirr abzuräumen. Ellen half mir. Julia sprach weiter und sagte dann: »Ich würde gern bleiben, aber ich bin an einer wichtigen Sache und muss noch mal dringend ins Büro.«
Falls Ellen überrascht war, so zeigte sie es nicht. Sie sagte lediglich: »Überstunden.«
»Nur vorübergehend.« Sie wandte sich an mich. »Danke, dass du die Stellung hältst, Schatz.« An der Tür drehte sie sich um und warf mir eine Kusshand zu. »Danke, Jack.«