»Ich weiß es noch nicht genau. Aber einer von den Tanks wirft weniger ab.« Sie schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nichts Ernstes. So was passiert ständig. Dieses ganze Produktionsverfahren ist unglaublich anfällig, Jack. Das am Laufen zu halten ist wie mit hundert Bällen auf einmal zu jonglieren. Ich habe alle Hände voll zu tun.«
Ich nickte. Aber mich beschlich das Gefühl, dass sie das Taschentuch nur deshalb nicht untersuchen wollte, weil sie bereits wusste, dass der Schwarm Bakterien enthielt. Sie fand bloß, dass es nicht ihre Aufgabe war, mir das zu sagen. Und wenn das der Fall war, dann würde sie es mir nie erzählen.
»Mae«, sagte ich. »Irgendjemand muss mir sagen, was hier los ist. Nicht Ricky. Ich möchte, dass mir irgendjemand reinen Wein einschenkt.«
»Gut«, sagte sie. »Ich finde, das ist eine sehr gute Idee.«
So kam es, dass ich kurz darauf in einem der kleinen Räume vor einem Computer saß. Neben mir der Projektingenieur David Brooks. Während David sprach, nestelte er ständig an seiner Kleidung herum - er richtete seine Krawatte, streckte die Arme, damit die Manschetten herauskamen, zog die Hosenbeine hoch, um die Falten an den Oberschenkeln zu glätten. Dann legte er einen Fußknöchel aufs Knie, zog die Socke hoch, wechselte das Bein. Fuhr sich mit den Händen über die Schultern, wischte imaginären Staub weg. Und dann fing er wieder von vorn an. Er machte das Ganze natürlich unbewusst, und bei meinen Kopfschmerzen hätte es mich normalerweise genervt. Aber ich konzentrierte mich auf anderes. Denn mit jeder neuen Information, die David mir gab, wurden meine Schmerzen schlimmer.
Anders als Ricky hatte David eine ausgesprochen klar strukturierte Art zu denken, und er erzählte mir alles, von Anfang an. Xymos hatte einen Vertrag zur Herstellung eines Mikroro-boterschwarms abgeschlossen, der als Luftkamera dienen sollte. Die Partikel wurden erfolgreich produziert und funktionierten innerhalb geschlossener Räume anstandslos. Doch bei den Tests im Freien erwiesen sie sich bei Wind als weniger beweglich. Bei starkem Wind wurde der Testschwarm weggeweht. Das war sechs Wochen her.
»Habt ihr danach weitere Schwärme getestet?«, fragte ich.
»Ja, viele. Im Verlauf der nächsten vier Wochen oder so.«
»Und keiner hat funktioniert?«
»Genau. Kein einziger.«
»Die ursprünglichen Schwärme sind also alle weg - vom Winde verweht?«
»Ja.«
»Das heißt, die unkontrollierten Schwärme, mit denen ich heute das Vergnügen hatte, haben nichts mit euren ursprünglichen Testschwärmen zu tun?«
»Genau ...«
»Sie sind die Folge von Kontamination ...«
David blinzelte rasch. »Was meinst du mit Kontamination?«
»Die fünfundzwanzig Kilo Material, die der Abluftventilator in die Umwelt geblasen hat, weil ein Filter fehlte .«
»Wer hat denn was von fünfundzwanzig Kilo gesagt?«
»Ricky.«
»Oh, nein, Jack, wir haben tagelang Material abgelassen. Bestimmt fünf-, sechshundert Kilo - Bakterien, Moleküle, Assembler.«
Ricky hatte die Situation also schon wieder verharmlost. Aber mir war schleierhaft, warum er deswegen log. Es war schließlich nur ein Versehen. Und wie Ricky gesagt hatte, war es die Schuld der Wartungsfirma. »Okay«, sagte ich. »Und wann habt ihr den ersten von diesen Wüstenschwärmen gesehen?«
»Vor zwei Wochen«, erwiderte David, nickte und strich seine Krawatte glatt.
Er erzählte, der erste Schwarm sei so unorganisiert gewesen, dass sie ihn für eine Wolke Wüsteninsekten, Stechmücken oder dergleichen, gehalten hatten. »Er hat sich eine Weile am Laborgebäude rumgetrieben und ist dann wieder verschwunden. Wir haben dem keine große Bedeutung beigemessen.«
Zwei Tage später war wieder ein Schwarm da, so erzählte er, und der war schon um einiges besser organisiert. »Er zeigte eindeutiges Schwarmverhalten, dieses Gewirbel in einer Wolke, das du gesehen hast. Es war also ganz klar, dass das unser Zeug war.«
»Und was ist dann passiert?«
»Der Schwarm ist in der Wüste herumgesurrt, nicht weit von der Fertigungshalle, so wie heute. Er kam und ging. In den Tagen darauf haben wir immer wieder versucht, ihn per Funk unter Kontrolle zu bringen, aber es hat nicht geklappt. Und schließlich - etwa eine Woche danach - haben wir gemerkt, dass keins von den Autos mehr ansprang.« Er hielt inne. »Ich bin raus, um nachzusehen, und ich hab festgestellt, dass die Bordcomputer tot waren. Heutzutage haben ja alle Autos eingebaute Mikroprozessoren. Die steuern praktisch alles, von der Benzineinspritzung bis hin zum Radio und zur Zentralverriegelung.«
»Und die Computer funktionierten auf einmal nicht mehr?«
»Genau. Die Prozessorchips selbst waren in Ordnung. Aber die Speicherchips waren korrodiert. Sie waren regelrecht zu Staub geworden.«
Ich dachte, Ach du Scheiße. Ich sagte: »Hast du herausgefunden, warum?«
»Klar. War kein großes Rätsel, Jack. Die Korrosion hatte die typischen Kennzeichen von Gamma-Assemblern. Kennst du dich damit aus? Nein? Nun, wir haben in der Produktion neun verschiedene Assembler im Einsatz. Jeder Assembler hat eine andere Funktion. Die Gamma-Assembler spalten Kohlenstoffmaterial in Silikatschichten auf. Sie arbeiten tatsächlich auf der Nanoebene - schneiden einzelne Stücke Kohlenstoffsubstrat heraus.«
»Die Assembler haben also die Speicherchips in den Autos zerstört.«
»Ja, ja, aber .« David zögerte. Er tat so, als würde ich den springenden Punkt übersehen. Er zupfte an seinen Manschetten, fummelte an seinem Kragen herum. »Du darfst eines nicht vergessen, Jack, diese Assembler können bei Raumtemperatur arbeiten. Und die Wüstenhitze ist auf jeden Fall noch besser für sie. Je heißer, desto effizienter.«
Einen Augenblick lang verstand ich nicht, was er sagen wollte. Was spielte der Unterschied zwischen Raumtemperatur und Wüstenhitze für eine Rolle? Und dann auf einmal fiel der Groschen.
»Ach du Scheiße«, sagte ich.
Er nickte. »Genau.«
David versuchte mir zu erklären, dass eine Komponentenmischung in die Wüste gepustet worden war. Und diese Komponenten - die so programmiert waren, dass sie sich innerhalb des Produktionsgebäudes selbsttätig zusammenfügten - verbanden sich auch draußen im Freien selbsttätig. Die Montage konnte selbstständig in der Wüste erfolgen. Und genau das geschah offensichtlich.
Ich fasste noch einmal die wichtigsten Punkte zusammen, um sicherzugehen, dass ich alles verstanden hatte. »Die Montage fängt sozusagen mit den Bakterien an. Die sind so konstruiert, dass sie alles fressen, sogar Abfall, damit sie in der Wüste überleben können.«
»Richtig.«
»Das heißt, die Bakterien vermehren sich und fangen an, Moleküle zu produzieren, die sich von allein zusammenfügen und größere Moleküle bilden. Schon bald habt ihr Assembler, und die Assembler machen sich an die endgültige Arbeit und stellen neue Mikroagenten her.«
»Ganz genau.«
»Was bedeutet, dass die Schwärme sich tatsächlich reproduzieren.«
»Ja. Richtig.«
»Und die einzelnen Agenten haben Speicherkapazität.«
»Ja. Ein klein wenig.«
»Und sie brauchen auch nicht viel, das ist ja gerade die Stärke verteilter Intelligenz. Sie ist kollektiv. Sie verfügen also über Intelligenz, und da sie Speicherkapazität haben, können sie aus Erfahrung lernen.«
»Ja.«
»Und das predprey-Programm bedeutet, sie können Probleme lösen. Und das Programm generiert genug Zufallselemente, dass sie neue Verhaltensweisen lernen können.«
»Richtig. Ja.«
Mir dröhnte der Schädel. Ich erkannte jetzt das ganze Ausmaß des Problems, und es gefiel mir ganz und gar nicht.
»Also«, sagte ich, »fassen wir zusammen: Der Schwarm reproduziert sich, kann sich selbst versorgen, lernt aus Erfahrung, besitzt kollektive Intelligenz und kann sich neue Verhaltensweisen aneignen, um Probleme zu lösen.«