»Hilfe? Was soll das heißen?«
»Ich meine, das Pentagon verständigen, die Armee. Wir müssen irgendwen verständigen, um die Schwärme unter Kontrolle zu kriegen.«
»Um Gottes willen, Jack. Das können wir nicht machen.«
»Wir haben keine andere Wahl.«
»Aber das würde die Firma kaputtmachen. Wir würden nie wieder Gelder kriegen.«
»Dagegen hätte ich nichts«, sagte ich. Ich war wütend wegen dem, was in der Wüste passiert war. Eine Wochen und Monate währende Aneinanderreihung von falschen Entscheidungen, Fehlern und Patzern. Anscheinend zählten bei Xymos nur kurzfristige Lösungen, Flickschusterei, schnell und unsauber. Keiner interessierte sich für die langfristigen Folgen.
»Versteh doch«, sagte ich, »du hast es mit einem außer Kontrolle geratenen Schwarm zu tun, der offensichtlich tödlich ist. Jetzt muss Schluss sein mit der Pfuscherei.«
»Aber Julia .«
»Julia ist nicht hier.«
»Aber sie hat gesagt .«
»Es interessiert mich nicht, was sie gesagt hat, Ricky.«
»Aber die Firma .«
»Scheiß auf die Firma, Ricky.« Ich packte ihn bei den Schultern, schüttelte ihn einmal heftig. »Kapierst du denn nicht? Du traust dich nicht nach draußen. Du hast Angst vor diesem Schwarm, Ricky. Wir müssen ihn töten. Und wenn wir ihn nicht bald töten können, müssen wir Hilfe holen.«
»Nein.«
»Doch, Ricky.«
»Das werden wir ja sehen«, knurrte er. Sein Körper spannte sich, seine Augen loderten. Er packte mich am Hemdkragen. Ich stand einfach da und starrte ihn an. Ich rührte mich nicht. Ricky funkelte mich einen Augenblick lang an, und dann lockerte er den Griff. Er klopfte mir auf die Schulter und strich meinen Kragen glatt. »Ach, verdammt, Jack«, sagte er, »was mach ich denn hier?« Und er setzte sein selbstironisches Surfer-Grinsen auf. »Tut mir Leid. Der Stress macht mir wohl langsam zu schaffen. Du hast Recht. Du hast absolut Recht. Scheiß auf die Firma. Wir müssen es machen. Wir müssen diese Dinger sofort vernichten.«
»Ja«, sagte ich, den Blick noch immer auf ihn gerichtet. »Das müssen wir.«
Er hielt inne. Er nahm seine Hand von meinem Kragen. »Du findest, ich benehme mich seltsam, nicht? Mary findet auch, dass ich seltsam bin. Das hat sie neulich gesagt. Benehme ich mich seltsam?«
»Nun ja ...«
»Du kannst es mir ruhig sagen.«
»Vielleicht gereizt . Schläfst du überhaupt noch?«
»Nicht viel. Zwei, drei Stunden.«
»Vielleicht solltest du mal eine Schlaftablette nehmen.«
»Hab ich. Hilft auch nicht. Das ist der verdammte Druck. Ich bin seit einer Woche hier. Schlaucht ganz schön.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Na ja, was will man machen.« Er wandte sich ab, als wäre er plötzlich verlegen. »Hör zu, ich setz mich ans Funkgerät«, sagte er. »Ich werde die ganze Zeit bei euch sein. Ich bin dir sehr dankbar, Jack. Du hast hier wieder für Vernunft und Ordnung gesorgt. Sei bloß ... Sei bloß vorsichtig da draußen, okay?«
»Okay.«
Ricky trat beiseite.
Ich ging an ihm vorbei zur Tür hinaus.
In dem Gang, wo die Klimaanlage auf höchster Stufe dröhnte, war Mae auf halbem Weg zur Energiestation plötzlich neben mir. Ich sagte zu ihr: »Du musst wirklich nicht mit da raus, Mae. Du kannst mir doch über Funk sagen, wie ich mit den Isotopen umzugehen habe.«
»Die Isotope machen mir keine Sorgen«, sagte sie mit leiser Stimme, damit sie in dem Dröhnen unterging. »Sondern das Kaninchen.«
Ich war nicht sicher, ob ich sie richtig verstanden hatte. »Das was?«
»Das Kaninchen. Ich muss das Kaninchen noch einmal untersuchen.«
»Wieso?«
»Du weißt doch, dass ich eine Gewebeprobe aus dem Magen entnommen habe, nicht? Tja, die hab ich mir vorhin unter dem Mikroskop angesehen.«
»Und?«
»Ich fürchte, wir haben Riesenprobleme, Jack.«
6. Tag, 14.52 Uhr
Ich war als Erster zur Tür hinaus, blinzelte in die Wüstensonne. Obwohl es fast drei Uhr war, kam mir die Sonne unverändert hell und heiß vor. Ein sengender Wind ließ Hose und Hemd flattern. Ich zog das Mikro meines Headsets näher an die Lippen und sagte: »Bobby, hörst du mich?«
»Ich höre dich, Jack.«
»Hast du ein Bild?«
»Ja, Jack.«
Charley Davenport kam heraus und lachte. Er sagte: »Weißt du, Ricky, du bist wirklich ein dämlicher Sack. Weißt du das?«
Über mein Headset hörte ich Ricky erwidern: »Spar dir das. Du weißt doch, dass ich keine Komplimente mag. Mach einfach deine Arbeit.«
Mae kam als Nächste durch die Tür. Sie hatte einen Rucksack über eine Schulter gehängt. »Für die Isotope.«
»Sind die schwer?«
»Die Behälter.«
Dann kam David Brooks heraus, Rosie dicht hinter ihm. Sie verzog das Gesicht, als sie auf den Sand trat. »Gott, ist das heiß«, sagte sie.
»Ja, das haben die meisten Wüsten so an sich«, sagte Char-ley.
»Erzähl keinen Scheiß, Charley.«
»Dir würde ich doch niemals Scheiß erzählen, Rosie.« Er rülpste.
Ich suchte derweil den Horizont ab, konnte aber nichts sehen. Die Autos parkten unter einem Unterstand, etwa fünfzig Meter entfernt. Der Unterstand reichte bis zu einem rechteckigen, weißen Betongebäude mit schmalen Fenstern. Das war das Depot.
Wir gingen darauf zu. Rosie fragte: »Gibt's da drin eine Klimaanlage?«
»Ja«, sagte Mae. »Aber es ist trotzdem heiß. Schlecht isoliert.«
»Ist es luftdicht?«, fragte ich.
»Nicht richtig.«
»Das heißt, nein«, sagte Davenport lachend. Er sprach in sein Headset. »Bobby, was für einen Wind haben wir?«
»Siebzehn Knoten«, antwortete Bobby Lembeck. »Schöner, kräftiger Wind.«
»Und wie lange noch, bis der Wind sich legt? Sonnenuntergang?«
»Wahrscheinlich, ja. Noch drei Stunden.«
Ich sagte: »Dann haben wir reichlich Zeit.«
Mir fiel auf, dass David Brooks kein Wort sprach. Er stapfte einfach auf das Gebäude zu. Rosie hielt sich dicht hinter ihm.
»Aber man kann nie wissen«, sagte Davenport. »Kann sein, dass wir alle draufgehen. Jeden Augenblick.« Er lachte wieder, auf seine nervige Art.
Ricky sagte: »Charley, halt doch einfach mal die Klappe.«
»Da musst du schon rauskommen und mir die Klappe zuhalten, du bist echt ein großes Kind«, erwiderte Charley. »Was ist los, du machst dir ja vor Angst in die Hose.«
Ich sagte: »Lass gut sein, Charley, konzentrier dich.«
»He, ich konzentrier mich ja. Und wie.«
Der Wind blies Sand vor sich her, sodass dicht über dem Boden ein bräunlicher Streifen schwebte. Mae ging neben mir. Sie blickte über die Wüste und sagte unvermittelt: »Ich möchte mir das Kaninchen noch mal ansehen. Geht ihr ruhig schon weiter.«
Sie steuerte nach rechts, auf den Kadaver zu. Ich ging mit ihr. Und die anderen schwenkten zusammen um und folgten uns. Offenbar wollten alle beisammenbleiben. Der Wind war noch immer stark.
Charley sagte: »Wieso willst du das Kaninchen sehen, Mae?«
»Ich will was überprüfen.« Sie streifte sich im Gehen Handschuhe über.
Das Headset knisterte. Ricky sagte: »Würde mir bitte mal einer verraten, was ihr vorhabt?«
»Wir wollen uns das Kaninchen angucken«, sagte Charley.
»Wozu?«
»Mae will es sich noch mal ansehen.«
»Sie hat es sich doch schon angesehen. Leute, ihr seid da draußen völlig ungeschützt. Ich würde nicht so rumtrödeln.«
»Hier trödelt keiner rum, Ricky.«
Inzwischen konnte ich das Kaninchen in einiger Entfernung sehen, teilweise verdeckt vom verwehten Sand. Gleich darauf standen wir alle um den Tierkörper herum. Der Wind hatte ihn auf die Seite gedreht. Mae ging in die Hocke, legte das Tier auf den Rücken, sodass der offene Kadaver zu sehen war.