Ich sagte zu Mae: »Wo sind die Isotope?«
»Hier drüben.« Sie führte mich um ein Regal herum, zu einem Stahldeckel, der in den Betonboden eingelassen war. Der Deckel hatte einen Durchmesser von fast einem Meter. Er sah aus wie eine eingegrabene Mülltonne, wenn die Leuchtdioden und das Tastenfeld in der Mitte nicht gewesen wären. Mae ging auf ein Knie runter und tippte rasch einen Code ein.
Der Deckel hob sich zischend.
Ich sah eine Leiter, die hinunter in eine kreisrunde Stahlkammer führte. Die Isotope waren in unterschiedlich großen Metallbehältern verstaut. Ein Blick genügte Mae anscheinend, um zu sagen, was drin war: »Wir haben Selen-172. Sollen wir das nehmen?«
»Klar.«
Mae kletterte in die Kammer hinein.
»Lass doch den Scheiß!« In einer Ecke des Raumes wich David Brooks vor Charley Davenport zurück. Charley hatte eine große Sprühflasche Haushaltsreiniger in der Hand. Er probierte den Druckauslöser aus, und David hatte aus der Flasche was abbekommen. Es sah nicht nach einem Versehen aus. »Gib schon her«, sagte David und riss ihm die Flasche aus der Hand.
»Damit könnte es gehen«, erklärte Charley ungerührt. »Aber wir bräuchten einen ferngesteuerten Mechanismus.«
Aus dem ersten Raum sagte Rosie: »Ginge das hiermit?« Sie hielt einen glänzenden Zylinder hoch, an dem Kabel baumelten. »Ist das nicht ein Solenoidrelais?«
»Ja«, sagte David. »Aber ich glaube nicht, dass es stark genug ist, den Druckmechanismus auszulösen. Steht drauf, wie viel Leistung es hat? Wir brauchen was Größeres.«
»Und denkt dran, ihr braucht auch eine Fernsteuerung«, sagte Charley. »Es sei denn, ihr wollt den Scheißschwarm selbst besprühen.«
Mae kam wieder herauf, eine schwere Metallröhre in der Hand. Sie ging zum Waschbecken und griff nach einer Flasche mit einer strohfarbenen Flüssigkeit. Sie zog sich dicke Gummihandschuhe über und fing an, das Isotop mit der Flüssigkeit zu mischen. Ein Strahlungszähler über dem Waschbecken knatterte.
Im Headset sagte Ricky: »Vergesst ihr da nicht eine Kleinigkeit? Selbst wenn ihr eine Fernsteuerung habt, wie wollt ihr denn die Wolke anlocken? Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Schwarm einfach zu euch kommt und schön brav stehen bleibt, um sich besprühen zu lassen.«
»Uns fällt schon noch was ein, wie wir ihn anlocken können«, sagte ich.
»Was denn zum Beispiel?«
»Sie haben sich von dem Kaninchen anlocken lassen.«
»Wir haben keine Kaninchen.«
Charley sagte: »Mann, Ricky, du bist wirklich so negativ.«
»Ich halte euch nur die Tatsachen vor Augen.«
»Sehr freundlich von dir«, entgegnete Charley.
Wie Mae ließ auch Charley sich nichts vormachen: Ricky hatte die Sache die ganze Zeit über behindert. Als wollte er die Schwärme am Leben erhalten. Was absolut keinen Sinn ergab. Aber genauso verhielt er sich.
Ich hätte Charley gern etwas über Ricky gesagt, aber über unsere Headsets konnten alle mithören. Die Kehrseite moderner Kommunikationsmöglichkeiten: Jeder kriegt alles mit.
»He, Leute?« Es war Bobby Lembeck. »Wie läuft's?«
»Ganz gut. Wieso?«
»Der Wind legt sich.«
»Wie viel Knoten noch?«, fragte ich.
»Fünfzehn. Runter von achtzehn.«
»Das ist immer noch kräftig«, sagte ich. »Wir sind im grünen Bereich.«
»Ich weiß. Ich wollte es euch bloß gesagt haben.«
Von nebenan fragte Rosie: »Was ist Thermit?« In der Hand hatte sie eine Plastikkiste mit daumengroßen Metallröhrchen.
»Vorsichtig damit«, sagte David. »Das ist bestimmt vom Bau der Anlage hier übrig geblieben. Wahrscheinlich hat man hier Thermitschweißarbeiten gemacht.«
»Aber was ist das?«
»Thermit ist Aluminium und Eisenoxid«, sagte David. »Es wird sehr heiß - über fünfzehnhundert Grad - und so hell, dass du nicht direkt reingucken kannst. Und es schmilzt Stahl zum Schweißen.«
»Wie viel haben wir von dem Zeug?«, fragte ich Rosie. »Das könnten wir heute Abend gebrauchen.«
»Hier stehen vier Kisten.« Sie nahm eine der Kapseln aus der Kiste. »Womit zündet man die denn an?«
»Vorsicht, Rosie. Das ist eine Magnesiumhülle. Zum Anzünden reicht jede anständige Hitzequelle.«
»Auch Streichhölzer?«
»Wenn du deine Hand verlieren willst. Am besten sind Leuchtstäbe, irgendwas mit einem Zünder.«
»Verstehe«, sagte sie und verschwand wieder um die Ecke.
Der Strahlungszähler tickte noch immer. Ich wandte mich zum Waschbecken um. Mae hatte die Isotopenröhre wieder verschlossen. Sie goss jetzt die strohfarbene Flüssigkeit in eine Sprühflasche.
»He, Leute?« Es war wieder Bobby Lembeck. »Ich registriere eine gewisse Unbeständigkeit. Der Wind schwankt jetzt bei zwölf Knoten.«
»Okay«, sagte ich. »Du musst uns nicht jede kleine Veränderung durchgeben, Bobby.«
»Ich sehe nur eine gewisse Unbeständigkeit, mehr nicht.«
»Ich glaube, fürs Erste sind wir sicher, Bobby.«
Mae würde auf jeden Fall noch einige Minuten brauchen. Ich ging hinüber zum Computer und schaltete ihn ein. Der Bildschirm wurde hell; ein Optionsmenü erschien. Laut sagte ich: »Ricky, kann ich den Schwarmcode auf diesem Monitor aufrufen?«
»Den Code?«, fragte Ricky. Er klang beunruhigt. »Was willst du denn mit dem Code?«
»Ich will sehen, was ihr da gemacht habt.«
»Wieso?«
»Ricky, zum Donnerwetter, kann ich ihn sehen oder nicht?«
»Klar, natürlich kannst du das. Alle Code-Überprüfungen sind im Verzeichnis >slash codec. Du brauchst ein Passwort.«
Ich tippte schon. Ich fand das Verzeichnis. Aber es war gesichert. »Und das Passwort lautet?«
»L-a-n-g-t-o-n, alles klein.«
»Okay.«
Ich gab das Passwort ein. Ich war jetzt im Verzeichnis und schaute auf eine Liste mit Programm-Modifikationen, jede mit Angabe von Dateigröße und Datum. Der Dokumentenumfang war beträchtlich, was bedeutete, dass es sich hier ausschließlich um Programme für andere Aspekte des Schwarmmechanismus handelte. Denn der Code für die Partikel selbst musste klein sein - nur einige Zeilen, vielleicht acht, zehn Kilobytes, mehr nicht.
»Ricky.«
»Ja, Jack.« »Wo ist der Partikelcode?«
»Ist er nicht da?«
»Verdammt noch mal, Ricky. Hör auf, mich zu verarschen.«
»Hör mal, ich bin nicht verantwortlich für die Archivierung ...«
»Ricky, das sind Arbeitsdateien, keine Archive«, sagte ich. »Sag endlich, wo.«
Kurze Pause. »Es gibt ein Unterverzeichnis >slash C-D-N<. Da müsste er sein.«
Ich scrollte nach unten. »Ich hab's.«
In dem Verzeichnis fand ich eine Liste mit Dateien, alle sehr klein. Die ersten Modifikationsdaten lagen etwa sechs Wochen zurück. In den vergangenen zwei Wochen gab es keine Neuerungen.
»Ricky. Ihr habt den Code seit zwei Wochen nicht verändert?«
»Ja, könnte hinkommen.«
Ich klickte das jüngste Dokument an. »Habt ihr Kommentare geschrieben?« Als sie alle noch für mich arbeiteten, bestand ich immer darauf, dass sie Kommentare zur Programmstruktur in natürlicher Sprache schrieben. So ging die Überarbeitung schneller, als wenn die Dokumentierung im Code selbst erfolgte. Und häufig fanden sie die Lösung für logische Probleme, wenn sie alles kurz ausschreiben mussten.
»Müsste da sein«, sagte Ricky.
Auf dem Bildschirm sah ich:
^Initialisieren*/
For j = l to L x V do
Sj = 0 /*Anfangsbefehl auf 0*/
End For
For i = l to z do
For j = l to L x V do dij = (state (x,y,z)) /*Agenten-Schwellenwert*/