»Was?«
»Er kann sehen, wisst ihr nicht mehr? Los, weg von den Fenstern!«
Gut verstecken konnte man sich im Depot nicht, weiß Gott nicht. Rosie und David krochen unter das Waschbecken. Charley zwängte sich neben sie, ohne auf ihre Proteste zu achten. Mae schlüpfte in eine dunkle Ecke des Raumes, drückte sich in die Lücke zwischen zwei Regalen, die einander nicht ganz berührten. Sie wäre nur vom Westfenster aus zu sehen -und auch dann nicht so ohne weiteres.
Das Funkgerät knisterte. »He, Leute?« Es war Ricky. »Einer ist auf dem Weg zu euch. Und äh ... Nein ... Zwei andere folgen ihm.«
»Ricky«, sagte ich. »Kein Funkkontakt mehr.«
»Was?«
»Kein Funkkontakt mehr.«
»Wieso?«
»Schalt ab, Ricky.«
Ich ließ mich im Hauptraum hinter einem Karton mit Vorräten auf die Knie fallen. Der Karton war nicht groß genug, um mir volle Deckung zu geben - meine Füße lugten hervor -, aber ebenso wie Mae war ich nicht leicht zu sehen. Von draußen musste man schon in einem bestimmten Winkel durch das Nordfenster schauen, um mich zu entdecken. Jedenfalls besser als gar nichts.
Von meiner Kauerposition aus konnte ich die anderen unter dem Waschbecken so eben sehen. Mae gar nicht, dafür musste ich schon den Kopf um die Ecke des Kartons schieben. Als ich nach ihr sah, wirkte sie ruhig, gefasst. Ich zog den Kopf zurück und wartete.
Ich hörte nur das Summen der Klimaanlage. Zehn oder fünfzehn Sekunden verstrichen. Ich konnte das Sonnenlicht durch das Nordfenster über dem Waschbecken fallen sehen. Es warf links von mir ein weißes Rechteck auf den Boden.
Mein Headset knisterte. »Wieso keinen Kontakt?«
»Ich fass es nicht«, knurrte Charley.
Ich legte einen Finger an die Lippen und schüttelte den Kopf.
»Ricky«, sagte ich, »können diese Schwärme nicht auch hören?«
»Klar, vielleicht ein bisschen, aber .«
»Sei still und melde dich nicht mehr.«
»Aber .«
Ich griff nach dem Sender an meinem Gürtel und schaltete ihn ab. Ich gab den anderen unter dem Waschbecken ein Zeichen. Sie stellten ebenfalls ihre Sender ab.
Charley formte etwas mit den Lippen. Ich meinte zu verstehen: »Der verdammte Mistkerl will, dass wir draufgehen.«
Aber sicher war ich mir nicht.
Wir warteten.
Es waren höchstens zwei oder drei Minuten, aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Meine Knie auf dem harten Betonboden schmerzten. Um es mir etwas bequemer zu machen, veränderte ich vorsichtig meine Position; ich war mir sicher, dass der erste Schwarm inzwischen ganz in der Nähe sein musste. Er war noch nicht an den Fenstern aufgetaucht, und ich wunderte mich, wo er blieb. Vielleicht hatte er, weil er unserer Spur folgte, an den parkenden Autos Halt gemacht. Ich fragte mich, was für einen Reim sich Schwarmintelligenz wohl auf ein Auto machen würde. Wie verwirrend es für dieses hochauflösende Auge sein musste. Aber vielleicht würde der Schwarm die Autos, da sie leblos waren, lediglich als große Felsbrocken in leuchtenden Farben einstufen und sie ignorieren.
Aber trotzdem . Wo blieb er nur?
Von Sekunde zu Sekunde schmerzten mir die Knie mehr. Ich veränderte meine Position, verlagerte Gewicht auf die Hände und hob die Knie wie ein Läufer in den Startblöcken. Das brachte eine vorübergehende Erleichterung. Ich war so auf den Schmerz konzentriert, dass ich zunächst nicht merkte, dass das helle, weiße Rechteck auf dem Boden in der Mitte dunkler wurde und sich die Dunkelheit zu den Seiten hin ausbreitete. Gleich darauf wurde das ganze Rechteck mattgrau.
Der Schwarm war da.
Ich war mir nicht sicher, aber ich meinte, unter dem Gesumm der Klimaanlage ein tiefes Trommeln zu hören. Von meinem Versteck hinter dem Karton aus sah ich, dass sich das Fenster oberhalb des Waschbeckens durch die wirbelnden schwarzen Partikel zunehmend verdunkelte. Als würde draußen ein Sandsturm toben. Im Depot wurde es duster. Erstaunlich duster.
Unter dem Waschbecken fing David Brooks an zu stöhnen. Charley hielt ihm mit der Hand den Mund zu. Sie blickten nach oben, obwohl das Waschbecken die Sicht auf das Fenster über ihnen versperrte.
Und dann verschwand der Schwarm vom Fenster, so rasch, wie er gekommen war. Sonnenlicht strömte wieder herein.
Niemand rührte sich.
Wir warteten.
Augenblicke später wurde das Fenster an der Westwand dunkel, auf die gleiche Art. Ich fragte mich, warum der Schwarm nicht hereinkam. Das Fenster war nicht luftdicht. Die Nanopartikel könnten mühelos durch die Ritzen dringen. Aber offenbar machten sie nicht einmal den Versuch.
Möglicherweise war das ein Aspekt des Netzwerklernens, der uns zugute kam. Vielleicht glaubten die Schwärme aufgrund ihrer Erfahrung am Laborgebäude, dass Türen und Fenster undurchdringbar waren. Vielleicht unternahmen sie deshalb keinen Versuch.
Der Gedanke verlieh mir etwas Hoffnung, wodurch ich die Schmerzen in den Knien besser ertragen konnte.
Das Westfenster war noch schwarz, als sich das Nordfenster über dem Waschbecken erneut verdunkelte. Jetzt blickten zwei Schwärme gleichzeitig herein. Ricky hatte gesagt, drei wären auf dem Weg zum Depot. Den vierten hatte er nicht erwähnt. Ich fragte mich, wo der dritte Schwarm war. Gleich darauf wusste ich es.
Wie ein lautloser, schwarzer Nebel kamen Nanopartikel unter der Westtür hindurch in den Raum. Bald darauf folgten noch mehr Partikel, rundherum um die Tür. Sobald sie eingedrungen waren, wirbelten und kreisten sie scheinbar ziellos, doch ich wusste, dass sie sich in wenigen Augenblicken selbst organisieren würden.
Dann sah ich am Nordfenster weitere Teilchen durch die Ritzen strömen. Auch durch die Schlitze der Klimaanlage in der Decke drängten sie sich zuhauf.
Es brachte nichts, länger zu warten. Ich stand auf und trat aus meinem Versteck. Ich rief den anderen zu: »Alle herkommen und in zwei Reihen aufstellen!«
Charley nahm die Sprühflasche Haushaltsreiniger, reihte sich ein und brummte: »Glaubst du im Ernst, wir haben eine Chance?«
»Eine bessere kriegen wir nicht«, sagte ich. »Reynolds-Regeln! Formieren und bei mir bleiben! Und los geht's!«
Wenn wir nicht so große Angst gehabt hätten, wären wir uns vielleicht albern vorgekommen, wie wir so dicht zusammengedrängt im Raum hin und her schlurften und versuchten, unsere Bewegungen zu koordinieren - einen Vogel schwarm zu imitieren. Das Herz schlug mir bis zum Halse, und mir dröhnten die Ohren. Nur mit größter Mühe konnte ich mich auf unsere Schritte konzentrieren. Ich wusste, dass wir uns ungeschickt anstellten, aber wir wurden rasch besser. Wenn wir zu einer Wand kamen, drehten wir uns auf dem Absatz und gingen wieder zurück, bewegten uns im Takt. Ich fing an, bei jedem Schritt die Arme zu schwingen und zu klatschen. Die anderen taten es mir nach. Es war gut für unsere Koordination. Und wir kämpften alle gegen unsere Panik an. Mae sagte später: »Das war Stepp-Aerobic in der Hölle.«
Und die ganze Zeit über sahen wir die schwarzen Nanoparti-kel zischend durch Ritzen in Türen und Fenstern eindringen. Das schien lange Zeit so zu gehen, aber wahrscheinlich dauerte es bloß dreißig oder vierzig Sekunden. Schon bald erfüllte eine Art einheitlicher Nebel den Raum. Ich spürte Nadelstiche am ganzen Körper, und ich war sicher, dass es den anderen auch so erging. David fing wieder an zu stöhnen, aber Rosie war dicht neben ihm, sprach ihm Mut zu, beschwor ihn durchzuhalten.
Plötzlich lichtete sich der Nebel mit erschreckender Geschwindigkeit, die Partikel verdichteten sich zu zwei deutlich konturierten Säulen, die nun unmittelbar vor uns standen und sich in dunklen Wellen hoben und senkten.
Aus dieser Nähe betrachtet, verströmten die Schwärme eine unmissverständliche Bedrohung, fast etwas Bösartiges. Ihr tiefes Trommeln war deutlich zu hören, doch zwischendurch vernahm ich ein wütendes Zischen, wie bei einer Schlange.