Aber sie griffen nicht an. Wie ich gehofft hatte, arbeiteten die Programmdefizite für uns. Angesichts einer dicht gedrängten, koordinierten Beutegruppe waren die Räuber blockiert. Sie taten gar nichts.
Zumindest vorläufig.
Zwischen den Klatschgeräuschen sagte Charley: »Nicht zu glauben - dieser Blödsinn - funktioniert!«
Ich sagte: »Ja, aber vielleicht - nicht lange.« Ich hatte Sorge, dass David seine Angst nicht mehr unter Kontrolle halten konnte. Und ich hatte Sorge wegen der Schwärme. Ich wusste nicht, wie lange sie einfach dastehen würden, bevor sie neues Verhalten ausprobierten. Ich sagte: »Ich schlage vor - wir arbeiten uns - zur Hintertür vor - und dann nichts wie raus hier.«
Als wir mit einer Drehung an der Wand kehrtmachten, steuerte ich etwas schräg auf den hinteren Raum zu. Klatschend und im Gleichschritt bewegte sich unsere Gruppe von den Schwärmen weg, die uns mit diesem tiefen, trommelnden Geräusch folgten.
»Und wenn wir draußen sind, was dann?«, wimmerte David. Er hatte Schwierigkeiten, mit uns Übrigen synchron zu bleiben. In seiner Panik stolperte er immer wieder. Er schwitzte und blinzelte rasch.
»Wir gehen so weiter - als Schwarm - zurück zum Labor -und dann rein - schaffst du das?«
»Oh Gott«, stöhnte er. »Es ist so weit ... Ich weiß nicht, ob ...« Er stolperte wieder, verlor fast das Gleichgewicht. Und er klatschte auch nicht mehr mit uns zusammen. Ich konnte seine Angst förmlich spüren, seinen überwältigenden Drang, die Flucht zu ergreifen.
»David, du bleibst bei uns - allein schaffst du das nicht -hörst du?«
David stöhnte: »Ich weiß nicht . Jack . Ich weiß nicht, ob ich . « Er stolperte erneut, stieß gegen Rosie, die gegen Charley fiel, der sie auffing und wieder hochzog. Doch unser Schwarm war kurz durcheinander geraten, die Koordination dahin.
Sofort wurden die Schwärme tiefschwarz, drehten sich spiralförmig eng zusammen, wie zum Sprung bereit. Ich hörte Charley flüstern: »Ach du Scheiße«, ganz leise, und ja, auch ich dachte einen Augenblick, dass er Recht hatte, jetzt war es aus mit uns.
Doch dann fanden wir unseren Rhythmus wieder, und sofort stiegen die Schwärme auf, normalisierten sich. Das Tiefschwarz verschwand. Sie fielen wieder in ihr gleichmäßiges Pulsieren. Sie folgten uns in den nächsten Raum. Aber noch immer griffen sie nicht an. Wir waren nun etwa sechs Meter von der Hintertür entfernt, dieselbe Tür, durch die wir hereingekommen waren. Allmählich fasste ich Hoffnung. Zum ersten Mal hielt ich es wirklich für möglich, dass wir es schaffen konnten.
Und dann brach von einer Sekunde zur anderen die Hölle los.
David Brooks rannte weg.
Wir waren in der Mitte des Raumes und wollten gerade an den frei stehenden Regalen vorbei, als David losstürmte, zwischen den Schwärmen hindurch und auf die andere Tür zu.
Sofort schnellten sie herum und jagten hinter ihm her.
Rosie schrie ihm zu, er solle zurückkommen, aber David war auf die Tür konzentriert. Die Schwärme verfolgten ihn erstaunlich schnell. David war fast an der Tür - seine Hand griff nach dem Türknauf-, als einer der Schwärme nach unten glitt und sich vor ihm über den Boden ausbreitete, ein schwarzes Tuch.
Als David Brooks auf diese schwarze Fläche trat, rutschten die Füße unter ihm weg, wie auf Eis. Er schrie vor Schmerz auf, als er auf den Beton knallte, und er wollte sich sofort wieder hochrappeln, doch er konnte nicht; er rutschte weg und fiel hin, immer und immer wieder. Seine Brille zerbrach, das Gestell schnitt ihm in die Nase. Seine Lippen waren mit einer wirbelnden, schwarzen Masse bedeckt. Dann bekam er Atembeschwerden.
Rosie schrie noch immer, als der zweite Schwarm über David herfiel und das Schwarz sich auf seinem Gesicht verteilte, ihm in die Augen, ins Haar drang. Seine Bewegungen wurden verzweifelter, er stöhnte erbärmlich wie ein Tier, doch sooft er auch ausglitt und auf Hände und Knie fiel, irgendwie schaffte er es zur Tür. Endlich hechtete er vor, packte den Türknauf und zog sich daran hoch auf die Knie. Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung drehte er den Knauf und stieß die Tür im Fallen auf.
Heißes Sonnenlicht brach in den Raum - und der dritte Schwarm kam von draußen hereingewirbelt.
Rosie schrie: »Wir müssen was tun!« Ich hielt sie am Arm fest, als sie an mir vorbei zu David rennen wollte. Sie wand sich in meinem Griff. »Wir müssen ihm helfen! Wir müssen ihm helfen!«
»Wir können nichts tun.«
»Wir müssen ihm helfen!«
»Rosie. Wir können nichts tun.«
David wälzte sich jetzt auf dem Boden, schwarz von Kopf bis Fuß. Der dritte Schwarm hatte ihn eingehüllt. Es war fast unmöglich, durch die tanzenden Partikel hindurchzuschauen. Davids Mund sah aus wie ein dunkles Loch, seine Augäpfel waren völlig schwarz. Ich dachte, er war vielleicht schon blind. Sein Atem war ein einziges Röcheln, durchbrochen von Würgegeräuschen. Der Schwarm strömte in seinen Mund wie ein schwarzer Fluss.
David begann, am ganzen Körper zu zittern. Er griff sich an den Hals. Seine Füße trommelten auf den Boden. Ich war sicher, er starb gerade.
»Los, Jack«, sagte Charley. »Nichts wie raus hier.«
»Ihr könnt ihn doch nicht einfach zurücklassen!«, rief Rosie. »Nein, nein!«
David glitt jetzt zur Tür hinaus, ins Sonnenlicht. Seine Bewegungen waren nicht mehr so kraftvoll; sein Mund bewegte sich, aber wir hörten nur Keuchen.
Rosie wollte sich losreißen.
Charley packte sie an der Schulter und sagte: »Mach keinen Scheiß, Rosie ...«
»Ihr könnt mich mal!« Mit einem Ruck riss sie sich von ihm los, trat mir fest auf den Fuß, und, darüber so überrascht, ließ ich sie los, und sie rannte in den nächsten Raum und rief: »David! David!«
Seine Hand, schwarz wie bei einem Bergmann, streckte sich ihr entgegen. Sie packte sein Handgelenk. Und im selben Moment rutschte sie genau wie er auf dem schwarzen Boden aus und fiel hin. Sie sagte immer wieder seinen Namen, bis sie anfing zu husten und an ihren Lippen ein schwarzer Rand erschien.
Charley sagte: »Los, weg hier, verdammt. Ich kann das nicht mit ansehen.«
Ich war außer Stande, die Füße zu bewegen, mich von der Stelle zu rühren. Ich wandte mich Mae zu. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie sagte: »Los.«
Rosie rief noch immer Davids Namen, während sie ihn umarmte, seinen Körper an ihre Brust zog. Aber er schien sich schon nicht mehr aus eigener Kraft zu bewegen.
Charley beugte sich nah zu mir und sagte: »Es ist nicht deine Schuld.«
Ich nickte langsam. Ich wusste, dass er Recht hatte.
»Mann, das ist dein erster Arbeitstag.« Charley griff nach unten an meinen Gürtel, schaltete mein Headset an. »Gehen wir.«
Ich drehte mich zu der Tür hinter mir um.
Und wir gingen nach draußen.
6.Tag, 16.12 Uhr
Unter dem Wellblechdach war die Luft heiß und drückend. Vor uns erstreckte sich die Reihe Autos. Ich hörte das Surren einer Videokamera auf dem Dach. Ricky hatte uns wohl auf den Monitoren herauskommen sehen. In meinem Headset rauschte es. Ricky sagte: »Um Himmels willen, was ist denn da los bei euch?«
»Nichts Gutes«, sagte ich. Hinter der Schattenlinie war die Nachmittagssonne noch immer grell.
»Wo sind die anderen?«, fragte Ricky. »Sind alle wohlauf?«
»Nein. Nicht alle.«
»Nun sag schon ...«
»Jetzt nicht.« Im Rückblick waren wir alle durch die Ereignisse wie betäubt. Wir reagierten kaum mehr auf etwas, wollten uns nur noch irgendwie in Sicherheit bringen.
Das Laborgebäude lag gut hundert Meter entfernt, rechts von uns. Die Tür zur Energiestation könnten wir in dreißig oder vierzig Sekunden erreichen. In forschem Laufschritt machten wir uns auf den Weg. Ricky sprach noch immer, aber wir antworteten nicht. Wir hatten alle nur einen Gedanken: In einer halben Minute würden wir an der Tür sein, in Sicherheit.